Widerstand durch Kultur?

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Vor 25 Jahren starb der rumänische Philosoph Constantin Noica. Ohne ihn lässt sich das heutige Rumänien nicht verstehen. Sein Werk ist nun auch in deutscher Übersetzung zugänglich.

Constantin Noicas Essays und philosophische Schriften waren im Rumänien der 1970er- und 1980er-Jahre Bestseller. Die mächtigsten Literaturkritiker lobten seinen exzellenten Stil, die wichtigsten Kulturinstitutionen luden ihn zu Vorträgen ein, die kommunistische Zensur sah tatenlos zu - immerhin verdankte er seinem Ruf eine gewisse Unantastbarkeit. Und die Philosophen an den Universitäten ignorierten ihn; das war in Rumänien nicht anders als anderswo. Doch gelesen haben ihn alle. Wenige Auserwählte wurden von ihm zu seinen Privatseminaren über Klassiker der Philosophie zugelassen. Sie bilden bis heute das kulturelle Establishment des Landes oder sehen sich jedenfalls - ganz in Noicas Sinne - als geistige Elite Rumäniens. In dieser Hinsicht erweisen sie sich als Noicas gelehrige Schüler (wie sie sich auch selbst bezeichnen). In ihrer Jugend waren sie nach Paltinis gepilgert, einem Kurort unweit von Sibiu/Hermannstadt, wohin sich Constantin Noica nach seiner Pensionierung als Logiker an der Rumänischen Akademie der Wissenschaften zurückgezogen hatte; heute folgt ihnen die intellektuelle Jugend Rumäniens.

Rechtsextreme Irrungen

Constantin Noicas Leben und Wirken nach 1964, als er durch Amnestie aus der politischen Haft entlassen wurde, nimmt sich wie eine Wette mit seinen früheren Freunden wie Emil Cioran aus: dass Kulturschaffen unter allen Bedingungen, selbst in einer Diktatur, möglich sei. Emil Cioran - der Briefwechsel mit ihm hatte Noica 1958 nach einem aufsehenerregenden Prozess in Haft gebracht - war wie Mircea Eliade aus dem diplomatischen Dienst für das faschistische Rumänien nicht mehr nach Rumänien zurückgekehrt. Auch Constantin Noica war zeitweiliger Anhänger der Eisernen Garde und sogar für wenige Wochen Chefredakteur des Parteiblatts gewesen; gezählte 19 Artikel hatte er verfasst. 1946 erstattete er deshalb Selbstanzeige, doch erst 1949 wurde er als ehemaliger Grundbesitzer für zehn Jahre aufs Land verbannt. Seine Freunde waren damals schon längst im Exil oder im Gefängnis (wie der Philosoph Mircea Vulcanescu, der 1952 in der Haft starb) oder hatten sich in die innere Emigration zurückgezogen (wie der Heidegger-Schüler Alexandru Dragomir).

Ab den späten 1960er-Jahren explodierte Constantin Noicas Schaffenskraft; er publizierte etliche Bücher. Sein Hauptwerk bildet eine mehrbändige Ontologie in den 1980er-Jahren und eine Logik 1986, die als "Briefe zur Logik des Hermes“ in der deutschen Übersetzung von Christian Ferencz-Flatz und Stefan Moosdorf im vergangenen Jahr bei Traugott Bautz erschienen ist. Sein letztes Werk erschien posthum 1988 in deutscher Sprache (übersetzt vom rumäniendeutschen Schriftsteller Georg Scherg) in Bukarest: "De dignitate Europae“. Dieser Essayband ist nun heuer (mit einer Einführung von Mˇadˇalina Diaconu; Anm.) ebenfalls bei Traugott Bautz neu aufgelegt worden.

Kulturtrainer der geistigen Elite

Während Mircea Eliade und Emil Cioran den Absturz in die Zeit und somit die Geschichte als Wurzel des Bösen verurteilt hatten, betrachtete sie Noica vielmehr als die Entfaltung eines logischen Modells. In "De dignitate Europae“ begreift Noica die europäische Kultur als eine synthetische Einheit, weshalb sie für ihn - bei aller gegenteiligen Beteuerung doch recht eurozentristisch - die einzige "vollgültige Kultur“ ist, und stellt ihre Geschichte als eine Aufeinanderfolge von Epochen dar, die jeweils im Zeichen einer grammatikalischen morphologischen Kategorie stehen: vom Substantiv des Mittelalters und dem Adjektiv der Renaissance bis hin zur Konjunktion in unserem positivistischen Zeitalter der äußerlichen, inhaltsleeren Beziehungen. Noica postuliert schließlich den Aufbruch eines Zeitalters der Präposition, die dann die europäische Kultur vor dem Nihilismus bewahren soll. Eine solche Geschichtsdialektik ordnet allerdings alles (andere) einer absoluten Idee unter. Bei Noica war es die Idee des Kulturschaffens, die unter allen Bedingungen verwirklicht werden sollte.

Constantin Noica war zweifelsohne ein Idealist. Zeit seines Lebens setzte er sich für die jungen Kulturschaffenden ein. Für ihn sollten sie dieselbe offizielle Anerkennung und Förderung genießen wie Extremsportler (der Stolz des sozialistischen Rumäniens). Die Rolle, die sich Noica dabei zuschrieb, war die eines "Kulturtrainers“ der geistigen Elite des Landes. Jeder Philosoph, der diesen Namen verdient, sollte zumindest Deutsch und Griechisch beherrschen, forderte Noica, der Platon, Augustinus, Descartes und Hegel ins Rumänische übersetzt hatte, in einem Land, das noch immer von Frankreich geprägt war und zunehmend dem American Way of Life nacheiferte. Die Aufgabe einer kleinen Kultur am Rande Europas wie Rumänien sah er darin, Europa dazu zu verhelfen, zu sich selbst zu kommen. Trieb Noica die Sorge um, dass seine Schüler der politischen Verführung verfielen wie die sogenannte "Generation 1927“ in der großrumänischen Zwischenkriegszeit, der er selbst angehört hatte? Oder bekannte sich auch Noica später zur gnostizistischen Verachtung der Geschichte, da das Land ohnedies nicht gerettet werden könne - außer durch Geist? Immerhin überleben auch Sportler in allen Regimen, wenn sie (nur) ihre Leistung erbringen.

Christologie und Europa

In den 1990er-Jahren wurden Constantin Noicas Werke wiederaufgelegt, zählen doch seine Schüler zu den führenden Kulturschaffenden des postrevolutionären Rumäniens. Seine Person und zwiespältige Haltung lösten zahlreiche Debatten aus, auch dank der Einsicht in seinen Securitate-Akt und der Lebenszeugnisse von Zeitgenossen. Dabei meinten Exegeten eine Hinwendung zur christlichen Philosophie mit der Annäherung an die Eiserne Garde zu erkennen. Doch Noicas Beschäftigung mit dem Christentum ging philosophisch viel tiefer - vor seinem Tod sah er gar in der Christologie den Beginn der europäischen Kultur. Als 1971 Cioran hörte, wie Noica das Buch Hiob und die Psalmen liest, notierte der verlorene Sohn Cioran über seinen zu Hause gebliebenen Bruder Noica: "Tout est possible avec ce sacré bonhomme.“ Freilich kann man sich auch an den "anderen Noica“ halten, den leiblichen Sohn Rafail, der 1993 als orthodoxer Mönch aus Großbritannien zurückgekehrt ist und in Rumänien ein Eremitenleben führt. Auch dieser Lebensweg ist ein Teil der rumänischen Zeitgeschichte.

Die Autorin ist Dozentin für Philosophie an der Universität Wien

Widerstand durch Kultur?

Constantin Noica und das europäische Erbe

Vortrag v. M. Diaconu, Mo, 17. Sept., 19 Uhr, O.-Mauer-Zentrum, 1090, Währinger Str. 2-4

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