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ÖNB-Chefin Johanna Rachinger über die Zukunft von Bibliotheken und ihre persönlichen Lieblingsbücher.

Zu Gast beim zweiten Abend der gemeinsam mit der Furche veranstalteten Vortrags-und Diskussionsreihe Forum Sacré Coeurur war die Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek, Johanna Rachinger. Sie ist die 39. Leiterin in der mehr als 500-jährigen Geschichte der Nationalbibliothek und in dieser Funktion die zweite Frau. Begonnen hat Rachinger ihre Laufbahn als Lektorin für den Wiener Frauenverlag, danach wurde sie Leiterin der Buchberatungsstelle beim Österreichischen Bibliothekswerk. 1992 wechselte sie zum Verlag Ueberreuter, wo sie zunächst als Programmleiterin für Jugendliteratur tätig war, drei Jahre später avancierte sie zur Geschäftsführerin. Seit Juni 2001 leitet sie die Österreichische Nationalbibliothek.

Rachinger versteht ihr Haus als dienstleistungsorientierte Institution, die Hilfestellung zur wissenschaftlichen Recherche gibt. Eine Bibliothek hat, wie sie meint, eine Dorfbrunnenfunktion - man kann in der Lounge ins Gespräch kommen oder sich auf seine Arbeit konzentrieren. Erstaunlich ist, dass die Besucherzahl steigt, obwohl immer mehr Informationen im Internet zu finden sind. Das Aufgabenspektrum erstreckt sich von der Erhaltung des jahrhundertealten Kulturguts bis hin zur Sammlung von Medien und Online-Publikationen.

Sie sind die zweite Frau, die an der Spitze der Österreichischen Nationalbibliothek steht. In Ihrem Mitarbeiterstand finden sich fast ausschließlich weibliche Mitarbeiter …

Johanna Rachinger: Wir haben insgesamt 50 Prozent Männer und 50 Prozent Frauen. Bei gleicher Qualifikation bevorzuge ich für Führungspositionen Frauen, weil ich meine, dass es in Österreich zu wenige Frauen gibt, die in einer Führungsposition sind.

Inwiefern kann die Österreichische Nationalbibliothek auf internationale Datenpools zugreifen, und inwieweit findet dieser Austausch auch statt?

Rachinger: Wir sind in einem großen Datenverbund, dem Karlsruher Verbundkatalog, wo viele internationale Bibliotheken ihre Informationen zur Verfügung stellen. Wir sind weiters im Bibliothekenverbund Österreich. Dort werden alle Bücher, die in öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken lagern, aufgenommen. Wir arbeiten daran, eine European Digital Library aufzubauen, wo alle Bibliotheken, deren Kataloge über das Internet abrufbar sind, zusammengebracht werden.

Gibt es großes, internationales Interesse an der Österreichischen Nationalbibliothek, und haben Sie Partnerschaften mit einer Bibliothek in einem anderen Land?

Rachinger: Es gibt enormes internationales Interesse, und das liegt vor allem daran, dass wir eine der wertvollsten Bibliotheken weltweit sind. Im Bereich unserer zehn Sondersammlungen - wie der Musiksammlung, der Handschriftensammlung, des Bildarchivs - arbeiten viele Forscher/innen aus dem Ausland. Außerdem haben wir enge Kooperationen mit der Ägyptischen Nationalbibliothek, die an unserer Papyrussammlung interessiert ist. Kontakt mit anderen Institutionen haben wir auch, um neue Methoden zur Restaurierung kennen zu lernen.

Welche Möglichkeiten wird es in Zukunft geben, Bücher, Zeitschriften und Handschriften zu archivieren? Mit digitalen Speichermöglichkeiten hat man noch nicht so lange Erfahrung …

Rachinger: Jene Bücher, die zum Beispiel auf Pergament gedruckt sind, werden auch die nächsten Jahrhunderte überdauern. Sorge haben wir um die Bücher und Zeitungen, die um die Jahrhundertwende gedruckt worden sind. Damals wurde auf sehr schlechter Qualität gearbeitet, und dieses Papier ist besonders säureanfällig. Diese Zeitungen zerfallen schon. Deshalb haben wir vor einigen Jahren ein großes Digitalisierungsprojekt gestartet, bei dem wir Zeitungen scannen und sie dann ins Netz stellen. Das machen wir auch mit anderen gefährdeten Objekten. Das ist sozusagen die Demokratisierung des Wissens.

Welches ist das älteste Buch der Nationalbibliothek?

Rachinger: Wenn wir vom Gründungsbuch der Nationalbibliothek sprechen, handelt es sich um ein Evangeliar, welches das Leben der vier Evangelisten beschreibt. Es ist 1368 erschienen, und es ist eine illuminierte Handschrift; dieses Werk wird mit der Gründung der Bibliothek in Zusammenhang gebracht.

Glauben Sie, dass in Zukunft die Bibliothek im klassischen Sinn weiter bestehen wird?

Rachinger: Ich denke, dass die Bibliothek der Zukunft in zwei Richtungen gehen wird: Zum einen wird es eine virtuelle Bibliothek geben, die, wie man auch am Beispiel Google sieht, immer mehr an Bedeutung gewinnt; zum anderen wird auch die physische Bibliothek weiterbestehen, weil Menschen Orte brauchen, wo sie hingehen können, Ruhe finden oder sich mit anderen Menschen austauschen können. Diese steigende Hinwendung zum Internet bedeutet eine Vereinsamung der Menschen. Ich hoffe, dass die Lesesäle weiter bestehen, da aber unsere Besucherzahlen tendenziell steigend sind, bin ich sehr zuversichtlich.

Wie sieht der Alltag Ihres Berufslebens aus?

Rachinger: Meine Aufgabe ist stark managementorientiert. Ich entwickle Strategien für die nächsten Jahre, formuliere Ziele für meine Mitarbeiter und achte darauf, dass diese umgesetzt werden. Ich habe eine sehr öffentliche Position - Staatsbesuche müssen herumgeführt werden, Termine im Ministerium stehen an der Tagesordnung …

Sie waren Programmleiterin für Jugendbücher. Liegen da spezielle Interessen?

Rachinger: Nein, nicht unbedingt. Ich habe in Salzburg die Buchberatungsstelle geleitet, nach knapp fünf Jahren bin ich aber nach Wien zurückgekommen. Mich hat die Abteilung für Erwachsenenbücher immer mehr interessiert, aber ich dachte, das ist so ein großer Verlag, wer weiß, was sich da noch ergibt. Was ich für mich als Erfahrung mitgenommen habe, war, mich bei beruflichen Entscheidungen immer auf mich selbst zu verlassen. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, dass meine Freunde und Bekannten meinen Beruf als Jugendbuchverlegerin eher belächelt haben. Hätte ich mich da nicht auf mich selbst verlassen, hätte sich vieles vielleicht nicht ergeben.

Gibt es drei Bücher, die das Leben der Johanna Rachinger besonders treffend beschreiben könnten?

Rachinger: Ich kann nur sagen, welche Bücher für mich besonders prägend waren: Das war als Kind eindeutig die Pippi Langstrumpf, weil sie so ein starkes Mädchen war und zaubern konnte. Ein ganz wichtiges Buch war für mich auch Väter und Söhne von Iwan Turgenjew - das hab ich bestimmt sechs Mal gelesen. Das dritte Werk ist Masse und Macht von Elias Canetti. Bei diesem Buch habe ich begriffen, wie sich bestimmte Machtphänomäne entwickeln. Wer so etwas wie den Nationalsozialismus verstehen will, dem gelingt das durch ein Buch wie das von Canetti sehr gut.

Transkription: Barbara Sandtner (8a)

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