Wie Architektur heute funktioniert

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Die interdisziplinäre, lustvoll experimentelle und partizipative Arbeitsweise des jungen Londoner Kollektivs Assemble ist einmalig und erzeugt viele prototypische Lösungen. Das Architekturzentrum Wien widmet ihm eine Ausstellung -die erste Werkschau weltweit.

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Die interdisziplinäre, lustvoll experimentelle und partizipative Arbeitsweise des jungen Londoner Kollektivs Assemble ist einmalig und erzeugt viele prototypische Lösungen. Das Architekturzentrum Wien widmet ihm eine Ausstellung -die erste Werkschau weltweit.

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Immer mehr Vorschriften, Regeln und Zwänge dominieren die Praxis von Architekturschaffenden. Das junge Londoner Architekturkollektiv Assemble wollte sich damit nicht abfinden: "Wir waren Menschen mit verschiedenen Backgrounds und wollten unbedingt ein Projekt realisieren, an dem wir selbst auch Spaß haben", erzählt Gründungsmitglied Lewis Jones. "Die enorme Distanz zwischen Architekturausbildung und Baustelle frustrierte uns. Wir waren begierig, unsere eigenen Ideen umzusetzen, unbeantwortete Fragen zu stellen und anders zu arbeiten."

Im Sommer 2010 begannen also Studierende der Architekturfakultät in Cambridge mit befreundeten Geisteswissenschaftlern, eine aufgelassene Tankstelle in der Clerkenwell Road in London mit viel Kreativität, Fantasie und der Mitarbeit von über hundert Freiwilligen in das temporäre Kino "The Cineroleum" zu verwandeln: Es glückte ihnen, mit billigen Materialien Filmpalast-Flair zu erzeugen. An die 3.000 Meter Dachmembran wurden per Hand zu kunstvoll gerafften Vorhangbahnen vernäht. Sie machten den Raum unterm Tankstellendach zum glamourösen Kinosaal, die Geburtsstunde von Assemble. Ihre interdisziplinäre, lustvoll experimentelle und partizipative Arbeitsweise ist einmalig und erzeugt viele prototypische Lösungen. Ihr Projekt "Granby Four Streets" - die achtsame Wiederbelebung einiger viktorianischer Reihenhäuser in Liverpool, die dem Verfall preisgegeben waren -bekam 2015 den Turner Preis, eine der höchsten Auszeichnungen für zeitgenössische Kunst. Die Initiative zu "Granby Four Streets" geht auf widerständige Bewohnerinnen zurück, die 2011 den "Granby Four Streets Community Land Trust" gründeten, um leere Häuser zu leistbaren Wohnungen zu machen und dafür Assemble ins Boot holten.

Aufwändige Ausstellung

"Die Komplexität ihrer Praxis ist für mich einzigartig", so Angelika Fitz, die Direktorin des Architekturzentrum Wien (Az W). "Assemble produzieren mit der Crowd und involvieren hunderte Leute in das, was sie machen." Das Az W widmet ihnen nun die Ausstellung "Assemble. Wie wir bauen". Sie wurde vom Kollektiv selbst gestaltet und von Angelika Fitz und Katharina Ritter kuratiert. "Es ist die aufwändigste Ausstellung, die wir je gemacht haben", sagt Katharina Ritter.

Zehn Projekte werden hier vorgestellt, zu jedem gibt es ein im Maßstab 1:1 aufgebautes Stück vom Original: So ist hier ein Teil der Fassade des Yardhouse zu bestaunen. Assemble entwickelten diesen Prototypen aus einer demontablen Holzrahmenkonstruktion mit umlaufender Galerie, um kostengünstig Arbeitsraum zu schaffen. Seine Fassade ist mit bunten, handgefertigten Zementfliesen verkleidet. Auch dem Vorhang des "Cineroleums" begegnet man hier. Und einem Stück Wand des "OTO Projects", einem Proberaum für experimentelle Musik: Seine dicke Mauer besteht aus Erde, Schutt und Kies, die in Reissäcke gefüllt, aufeinandergeschlichtet und mit einem Rauputz aus Schuttmaterial versehen wurde.

Das Projekt "Granby Four Streets" ist besonders ausführlich und ungewöhnlich dokumentiert: Die Künstlerin Marie Jacoty stellte den Prozess der Revitalisierung und Aneignung der Häuser zeichnerisch dar. Auch viele Produkte aus dem "Granby Workshop", in dem mit unorthodoxen Materialien und Methoden experimentiert wird, sind zu begutachten. So bekommen Türgriffe, die am Gartengrill geräuchert werden, eine besonders reizvolle Struktur und Bauschutt eignet sich als Zuschlag hervorragend zur Herstellung einer terrazzo-ähnlichen Oberfläche für Kamingesimse.

Freiräume

Die Produktion aus dem "Granby Workshop" schafft Arbeit und finanziert die Renovierung weiterer Gebäude. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen: Derzeit verwandeln Assemble den Freiraum zwischen zwei verfallenden Reihenhäusern in einen Wintergarten. Besonders schön ist es, sich auf Sitzkissen vor dem Film niederzulassen, der den "Baltic Street Adventure Playground" in Glasgow zeigt: Hier kann man beobachten, wie Kinder selbstbestimmt und versunken die Natur des Spielplatzes erkunden.

Assemble setzten sich auch mit der Bauweise Wiens auseinander: Lewis Jones und Maria Lisogorskaya haben im Rahmen einer Gastprofessur an der TU Wien mit 15 Studierenden, die von David Calas betreut wurden, einen experimentellen Pavillon aus Ziegeln entwickelt, der nun im Hof des Az W steht und auch mit Workshops bespielt wird.

Assemble. Wie wir bauen bis 11. Sept., Architekturzentrum Wien täglich 10-19 Uhr www.azw.at

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