Wie böse ist das WACHSTUM?

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Papst Franziskus formuliert in "Laudato Si" eine generelle Kritik an Märkten und Konsum. Wie Ökonomen seine Wirtschaftsideen beurteilen.

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Papst Franziskus formuliert in "Laudato Si" eine generelle Kritik an Märkten und Konsum. Wie Ökonomen seine Wirtschaftsideen beurteilen.

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Die moderne Theologie hat sich in weiten Bereichen mit den Naturwissenschaften versöhnt. Papst Franziskus steht in dieser Tradition und nimmt die Erkenntnisse der naturwissenschaftlich fundierten Forschung zum Klimawandel ernst. In seiner Enzyklika Laudato Si zeichnet er ein zum Teil sehr detailliertes Bild, wie es dem aktuellen Kenntnisstand der Forschung entspricht.

Wie aber steht es mit dem Verhältnis von Papst Franziskus zur Wissenschaft von der Wirtschaft, also der Volkswirtschaftslehre? Wer einen Blick in die bisherigen drei Schreiben des Papstes unternimmt, wird rasch merken, dass hier die Dinge doch deutlich anders liegen. Offensichtlich kümmert sich der Papst nur sehr begrenzt darum, dass seine Aussagen nicht in Widerspruch mit dem herkömmlichen Lehrbuchwissen der Volkswirtschaftslehre geraten. Freilich besteht auch innerhalb der Ökonomenzunft bisweilen eine erstaunliche Uneinigkeit über scheinbar allgemein akzeptierte Lehrinhalte, sodass die folgenden Ausführungen ein bewusst pointiertes Bild eines ökonomischen Mainstreams darstellen.

Jenseits von Gut und Markt?

Der Widerspruch wird besonders deutlich bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit von Märkten. Die Volkswirtschaftslehre stellt deutlich die Vorteile des freien Tausches auf Märkten heraus. Damit zusammenhängend bewertet sie Konkurrenz äußerst positiv: Je stärker die Konkurrenz, desto eher arbeiten die Märkte im Sinne der Gesellschaft. Kein anderes System ist derart effizient in der Verarbeitung von Informationen, weil alleine der Preis als Variable genügt, um optimale Entscheidungen zu treffen. Auch ist der freie Markt ein Garant für die Durchsetzung des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit. Staatliche Eingriffe, abgesehen von Eigentumsrechten, stören nur die Erreichung eines gesellschaftlich optimalen Zustandes. Die Wohlfahrt des Einzelnen hängt nicht vom Wohlwollen der Tauschpartner ab, sondern wird im Gegenteil durch deren Eigennutz noch gesteigert.

Demgegenüber steht Franziskus den Märkten deutlich skeptischer gegenüber. Eine kurze Suche nach dem Begriff Markt in Laudato Si verzeichnet 18 Treffer. Eine Analyse der einzelnen Textabschnitte zeigt, dass Märkte in kaum einem Zusammenhang positiv erwähnt werden. Franziskus warnt vor der "magischen Auffassung" des Marktes und vor dem unvermeidlichen Konsumismus, der mit Märkten einhergeht und der schließlich Menschen in einen "Strudel von unnötigen Anschaffungen und Ausgaben" zwingt. Lösungen von Problemen mittels Marktmechanismen, wie im Bereich Wasserknappheit oder dem Handel mit Verschmutzungsrechten zur Reduktion von CO2-Emissionen, lehnt der Papst ab. Besonders bezeichnend ist seine Zusammenfassung der "Mythen der Moderne": Individualismus, undefinierter Fortschritt, Konkurrenz, Konsumismus, regelloser Markt. In Amoris Laetitia verhindert die "Logik des Marktes" auch ein authentisches Familienleben, und die Vermarktung des Körpers unterwirft Menschen dem Diktat der Pornoindustrie.

Mehr oder weniger Wachstum?

Der von Franziskus propagierte Konsumverzicht steht im Zusammenhang mit einer generellen Wachstumskritik. So wird etwa in Laudato Si behauptet, dass die Lebensqualität in Folge von Wirtschaftswachstum oft (!) abnimmt, an ökologische Grenzen stößt, sich ohne moralische Flankierung letztlich gegen den Menschen selbst richtet und nur einer Minderheit zugutekommt.

Wenngleich kaum ein Ökonom Lebensqualität und Wachstum als ident betrachtet, so herrscht dennoch die Meinung vor, dass es kaum einen besseren Indikator für Lebensqualität als das Sozialprodukt und dessen Wachstum gibt. Das Wachstum von Gütern ermöglicht nach dieser Sicht auch eine bessere Gesundheitsversorgung, Bildungsinfrastruktur und Umweltqualität. Auch die Grenzen des Wachstums lassen sich immer weiter hinausschieben, weil die Märkte über Preissignale anzeigen, wenn eine Ressource knapp wird. Damit steigt deren Preis und Unternehmen beginnen, nach billigeren Alternativen Ausschau zu halten oder wechseln in neue Märkte, welche diese knappe Ressource weniger nutzen. Letztlich wird von einigen Ökonomen Wachstum selbst als Quelle von Moral betrachtet: Wachstumskrisen fördern intolerantes Verhalten gegenüber Ausländern, reduzieren soziale Mobilität und bedrohen das demokratische System. Größer könnten die Differenzen wohl nicht sein.

Ist angesichts dieser Differenzen ein Dialog zwischen Wirtschaftswissenschaft und katholischer Sozialethik überhaupt möglich? Jedenfalls muss sich auch die Ökonomie den Vorwurf gefallen lassen, dass ihre Modelle zwar logisch korrekt sind, aber die getroffenen Annahmen häufig zu sehr von der Realität abweichen. Tatsächlich dürfte das Auseinanderfallen von sozialen und privaten Kosten und Nutzen viel eher die Regel als die Ausnahme sein, womit aber auch gesagt ist, dass Märkte nur unter sehr optimistischen Annahmen ein soziales Optimum erreichen. Papst Franziskus spricht mit der Frage nach der Macht in der Wirtschaft eine weitere Schwachstelle der Ökonomie an, hat diese doch dieses zentrale Thema stets nur am Rand behandelt und damit der Ungleichheit in Markttransaktionen zu wenig Beachtung geschenkt. Darauf hat bereits der große österreichische Ökonom Kurt Rothschild mehrmals hingewiesen. Nicht zuletzt sind die Zeichen der Zeit einfach zu deutlich: Klimawandel, Finanzkrise und Globalisierungskrise sollten einen Reflexionsprozess auf Seiten der Ökonomie auslösen. Die aktuelle Kritik der Weltbankökonomen am Neoliberalismus lässt jedenfalls hoffen.

Dialog um Alternativen

Demgegenüber kann aber auch Franziskus vom Wissen über die Vorteile von intelligent regulierten Märkten profitieren. So ist etwa nicht der Emissionshandel selbst das Problem, sondern das Versagen dieses Marktes aufgrund mangelhafter Rahmenbedingungen. Eine signifikante Reduktion von CO2-Emissionen verlangt dringend nach einem wirksamen Emissionsmarkt, weil ansonsten andere klimapolitische Maßnahmen nur begrenzte Wirkung entfalten können. Hier hat Franziskus sogar Kritik aus den eigenen Reihen einstecken müssen. Der Mainzer Sozialethiker Gerhard Kruip identifizierte in der Herder Korrespondez eine "gewisse Unkenntnis der positiven Wirkungen von Marktmechanismen" auf Seiten von Franziskus.

Bleibt nur die Frage, ob die katholische Soziallehre noch die Wirkkraft entfaltet, die sie zu einem ernstzunehmenden Dialogpartner für die Ökonomik macht. Es scheint jedenfalls, als ob die anfängliche Kritik von Ökonomen am franziskanischen Wirtschaftsdenken mittlerweile bereits der Indifferenz Platz machen musste. Das wäre sehr schade, erscheint doch ein "dritter Weg" (Frambach) zwischen Kapitalismus und Sozialismus nach wie vor als interessante Denkfigur am Markt für Ideen, der ansonsten im Moment eher keinen besonders dynamischen Eindruck hinterlässt. Und ein steigendes Angebot ist doch in der Regel gut für die Konsumenten, oder?

Der Autor ist Ökonom. Er war Mitarbeiter am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist für die Ronald Lauder Foundation tätig.

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