Wie der Hai zu Kunst wird

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Zehn Jahre Kunsthaus Bregenz: Das 20. Jahrhundert auf dem Prüfstand.

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Wie die konkrete Feier dann ausfällt - ob bloß fest gefeiert wird oder ob tatsächlich ein Fest gefeiert wird -, das hängt dann schon sehr von den jeweiligen Jubilaren ab. Das Kunsthaus Bregenz feiert seine ersten zehn Jahre. Und weil so ein Fest wie eine Visitenkarte fungiert, hat man sich einiges vorgenommen. Und weil zehn Jahre Präsentation von hochwertigen Ausstellungen auch ein Angelpunkt zwischen Rückblick und Vorausschau sein kann, hat man sich ein fulminantes Jahresprogramm verpasst.

Drei Ausstellungen 2007

In drei großen Produktionen jubiliert man über das gesamte Jahr hinweg. Die beiden ersten Ausstellungen vergewissern sich in programmatischer Weise über das Erbe, das uns das 20. Jahrhundert als Basis für den Start ins neue Jahrtausend mitgegeben hat. Die dritte Ausstellung versteht sich als Hommage an den Architekten des Hauses, Peter Zumthor, dessen bauliche Vorgaben auch den perfekten Grundstein dafür gelegt haben, dass man die Räume während des letzten Jahrzehnts derart spannend bespielen konnte.

Die ersten beiden Schauen, Re-Object und Mythos, konfrontieren jeweils einen markanten Ahnherrn der Kunst des letzten Jahrhunderts mit drei aktuell Schaffenden. In der Ausstellung Mythos wird so Joseph Beuys auf Matthew Barney, Douglas Gordon und Cy Twombly treffen. In der aktuellen Präsentation Re-Object begegnen einander Marcel Duchamp, Damien Hirst, Jeff Koons und Gerhard Merz. Jeder der Künstler bespielt ein Stockwerk des Kunsthauses, bekommt also eine eigene Schau mit ausgewählten Schlüsselwerken, und dennoch treten die vier Stockwerke in einen intensiven Dialog, mitunter in ein Streitgespräch.

Die künstlerischen Handlungsanweisungen, die Marcel Duchamp entwickelt hat, führten ihn in den Jahren 1913/14 zu einer radikalen Erweiterungsform der Malerei. Er stellte Objekte des Alltags als Kunstwerke aus. Die Veränderungen, die diese banalen Gegenstände erfuhren, um zu Readymades zu werden, waren minimal: Eine Fahrradgabel mit Rad etwa wurde von Duchamp verkehrt auf einen Hocker montiert, ein Urinoir legte er flach auf einen Sockel und signierte es mit dem Namen der Herstellerfirma. Damit begann ein intensives Spiel zwischen Kunstwerk und in Massenproduktion hergestelltem Gebrauchsgut. Duchamps letztes gemaltes Bild aus dem Jahr 1918 trägt als Titel einen begonnenen Satz, das Tu m' fordert einen Dialog mit den Betrachtern heraus, die sich mit dem "Du" direkt angesprochen fühlen, zugleich sich aber auch seiner Aufmerksamkeit sicher sein dürfen, wie das angedeutete Reflexivpronomen klar macht.

Im Bild selbst lässt Duchamp mehrere Realitäten, die vielleicht an das Reale schlechthin erinnern sollen, aufeinander prallen. Eine Reihe von Farbmustertäfelchen hat er fein säuberlich aufgemalt, anstatt sich für die Technik der Collage zu entscheiden und sie tatsächlich aufzukleben. Ebenso verfährt er mit dem tiefen Riss, der sich schräg von oben nach unten über das extrem längliche Bildformat zieht. Die Zerreißprobe ist aber nur vorgetäuscht, auch der Riss ist gemalt. Bloß ein ganz kleines Loch bietet einer tatsächlich angebrachten Flaschenbürste Durchlass, sodass sie aus der Bildfläche heraus in den Raum ragen kann. Andere Readymades, wie Rad, Korkenzieher und Flaschentrockner - oder ist es doch ein Hutständer oder gar ein Kleiderhaken - erscheinen auf der Bildfläche wiederum gemalt, diesmal allerdings nur als Schatten.

Duchamps Kunst-Ironie

Indem Duchamp die unterschiedlichen Bildebenen, von denen wir nicht einmal sagen können, wo sie bereits Bildebenen geworden sind oder wo sie noch bloße Realitätsebenen sind - indem er also an sich Getrenntes zusammenfasst, und zwar bruchlos in ein Stück zusammenfasst, lässt er seine Arbeiten in ihrer Überbestimmtheit beinahe implodieren.

Dabei ist die rein künstlerische Frage, wie man denn für die jeweilige Zeitgenossenschaft ein glaubwürdiges Bild malen könne, keineswegs auf den Kreis der Spezialisten, die Kunstschaffenden beschränkt. Diese Art von Kunstwerken stellt vielleicht noch unmissverständlicher als die sogenannte klassische Malerei jedem Besucher die Frage: Und wie hältst du es mit der Welt? Bist du schon dort angekommen, oder weißt du auch nicht so recht, wie das geschehen kann?

Duchamps Arbeiten stellen einige zentrale Fragen des Lebens, es ist daher nur folgerichtig, dass er sie als Objekte des Alltagslebens formuliert. Er erteilt damit jedem Kunstwerkfetischismus eine zornig-ironische Absage, reduziert aber umgekehrt die Kunst nicht auf ein bloßes Kommunikationssystem; dazu sind seine "Werke" - und seien sie nur die Faksimiledrucke seiner Notizblätter oder die Übersicht über sein gesamtes Werk en miniature in einem Koffer -, dazu sind alle diese Sichtbarkeitsgebilde viel zu perfekt gearbeitet.

In den Stockwerken, die Damien Hirst und Jeff Koons bespielen, wird die Verwandtschaft mit Duchamps künstlerischer Handlungsanweisung schnell offensichtlich. Auch sie bedienen sich mehr oder minder wohlbekannter Objekte und stellen diese mit leichten, aber entscheidenden Veränderungen in einen eindeutig der Kunst zugewiesenen Raum. Und dennoch ereignet sich hier keine einfache Erbfolge.

Hirst bedient sich häufig einer der "Ikonen" der zeitgenössischen Kunst, der Leiche. Manchmal menschlicher Überreste, wenn er in Stripteaser zwei Skelette gemeinsam mit einer großen Anzahl chirurgischer Instrumente in einen Glasschrank stellt.

Noch eindringlicher sind seine Arbeiten mit Tieren. Der in Formaldehyd schwimmende Tigerhai schreit stumm den Titel mit weit aufgerissenem Maul, dass es einem Lebenden unmöglich sei, den Tod physisch zu denken. Penetrant die Zeitanalyse in A Thousand Years. Die in die Glasvitrine eingebrachten Maden laben sich an einem toten Rinderkopf und entwickeln sich dadurch zu Fliegen, um dann vom daneben hängenden Insectecutor irgendwann einmal exekutiert zu werden. Hirsts Arbeiten sind trockene, mit großer Ernsthaftigkeit vorgebrachte Kommentare über die ewige Wiederkehr des Gleichen, das sich niemals gleich ereignet.

Zweites Paradies gebastelt

Im Gegensatz zu Hirsts gruselig vorgetragener Schönheit der Welt setzt Jeff Koons voll auf die glänzende Oberfläche. Sein vorgetäuscht naiver Blick auf die Welt registriert die heimlichen Begehren der Menschen, ganz egal ob sie aus dem Kinderzimmer, aus der Welt der Stars oder aus dem Reich der erotischen Fantasie kommen. Mit seinen auf die höchste Stufe des Schimmerns polierten Objekte bastelt er ein zweites Paradies, in dem man nicht zuletzt deshalb nicht freiwillig leben möchte, weil man von seinen Bäumen der Erkenntnis nicht naschen kann.

In scharfer Abgrenzung zu Koons Paradiesvisionen richtet es sich Gerhard Merz in der alltäglichen Hölle gemütlich ein, so weit das eben geht. Die drei großen Monochrome in Grau und gebrochenem Weiß, betitelt nach den beiden Oberteufeln Luzifer und Malacoda und schlicht nach der verwendenten Lachfarbe Bian-co rotto, sind in gleißendes Licht getaucht. Eine ganze Phalanx von Leuchtstoffröhren macht den Lichtträger Luzifer unmittelbar sichtbar. Öffnen sonst großformatige Monochrome für die Betrachter einen bergenden Raum und bieten Schutz und Heimat an, so vernichtet das Licht in Merz' Installation jegliche Paradiesesidee für die Jetztzeit.

Nun könnte man zum Schluss gelangen, dass alle diese künstlerisch formulierten Handlungsanweisungen für die allgemeinen Weltaneigungserfindungen keine weiterführende Basis abgeben. Jene von Koons nicht, weil die Welt gar nie so unerträglich schön sein kann, die anderen, weil sie teils ironisch, teils makaber, teils hoffnungslos ständig darum bemüht sind, einem den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Die Welt als das große Reale kann gar nicht anders als in Entzogenheit existieren, und wir können auf unserem Lebensweg gar nicht anders, als bei jedem Schritt den Platz, den wir eben besetzt hielten, zu verlassen.

Re-Object. Marcel Duchamp,

Damien Hirst, Jeff Koons, Gerhard Merz

Kunsthaus Bregenz

www.kunsthaus-bregenz.at

Karl-Tizian-Platz, 6900 Bregenz

Bis 13.5. Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog hg. v. Eckhard Schneider, € 48,-

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