Wie die Kunst bescheiden wurde

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Im Linzer Kunstmuseum Lentos zeigt eine Arte-Povera-Überblicksausstellung über 100 Werke der wichtigsten Protagonisten dieser Kunstrichtung. Dabei will sie dem Anliegen dieses italienischen Phänomens nachspüren und die Zeit von 1967 bis 1971 beleuchten.

Eine Mauer aus bunten, mit Stoffresten ummantelten Ziegelsteinen. Daneben ein Haufen aufeinander getürmter Kleidungsstücke. Mitten im Museum. Die Kleideransammlung weckt gerade in Zeiten wie diesen widersprüchliche Assoziationen. Man denkt an vom Tsunami angeschwemmte Gegenstände, an Trümmerhaufen infolge des Erdbebens, auch an Kleidersammlungen von Hilfsorganisationen. Zugleich ist man von der Ästhetik dieses Lumpenhaufens angetan - von der Farbenvielfalt, der Spannung zwischen Ordnung und Chaos, der Gegenüberstellung von weich und hart. Auch wenn diese "Lumpenmauer“ wie ein Kommentar zur derzeitigen weltpolitischen Situation wirkt, ist sie alles andere als neu. Kreiert hat sie Michelangelo Pistoletto im Aufbruchsjahr 1968 - und damit eine Ikone der italienischen Kunstbewegung Arte povera geschaffen. Denn diese wollte einen bewussten Bruch mit der jahrhundertealten Kunsttradition. Statt Marmor und Bronze bevorzugten die Arte-povera-Bildhauer Materialien wie Erde, Feuer, Jute und Wachs. Zugleich ging es ihnen einfach darum, bescheiden und authentisch zu sein.

Künstlerischer Neuanfang

Im Unterschied zu anderen Avantgardebewegungen handelt es sich bei der Arte povera nicht um einen manifestartigen Zusammenschluss von Künstlern. Vielmehr fungierte der italienische Kunstkritiker Germano Celant als Namensgeber. Er sprach 1967 anlässlich einer von ihm kuratierten Schau in der Galerie La Bertesca in Genua erstmals von "armer Kunst“, um gemeinsame Anliegen und Strategien mehrerer Künstler aus Turin, Mailand und Rom zusammenzufassen. Mit dabei waren unter anderem Alighiero Boetti, Luciano Fabro und Jannis Kounellis - später kamen Mario Merz und Michelangelo Pistoletto dazu.

"Che fare?“ (Was tun?) schrieb Mario Merz Ende der 60er Jahre an die Wand einer Galerie - und spielte damit auf den gesuchten künstlerischen Neuanfang an. Eine Frage, die jetzt zum Titel einer Arte-povera-Überblicksschau im Linzer Lentos wurde. Die Ausstellung stellt im großen Saal mit über 100 Werken die wichtigsten Protagonisten dieser Kunstrichtung im räumlichen Nebeneinander vor. Die Präsentation zeigt vor allem Werke aus der Sammlung des Kunstmuseums Liechtenstein. Schließlich besitzt das vor zehn Jahren eröffnete Museum die größte Kollektion der "armen Kunst“ außerhalb Italiens.

Im Unterschied zu zahlreichen früheren Ausstellungen über die Arte povera setzte sich "Che fare?“ zweierlei zum Ziel: Einerseits beleuchtet sie die "historischen Jahre“ von 1967 bis 1971. Anderseits spürt sie den ursprünglichen Anliegen dieses italienischen Phänomens nach - etwa das Ansprechen aller Sinne, den Einbezug der Besucher in den künstlerischen Prozess und das Aufgreifen sozialkritischer Themen.

Um ihre Ziele zu erreichen, arbeiteten die Arte-Povera-Künstler mit Momenten der Irritation und Überraschung. So sahen die Besucher 1969 in der Galerie L’Attico in Rom in einer Kounellis-Schau weder Bilder an den Wänden noch Skulpturen im Raum. Stattdessen waren sie den Gerüchen und der Körperwärme von zwölf an den Galeriewänden angebundenen Pferden ausgesetzt. Im selben Jahr zeigte Kounellis in Paris die Rauminstallation "Margherita di Fuoco“, bei der den Besuchern von drei Seiten des Ausstellungsraumes Feuerflammen aus Gaskartuschen entgegenschlugen. Diese Arbeit ist auch im Lentos zu sehen. Allerdings nur mehr als "Spur“ von einst, denn aufgrund von Sicherheitsvorschriften darf das Feuer nicht entzündet werden.

Aus heutiger Perspektive erscheint die Irritation der Erwartungshaltung als selbstverständliches Merkmal von Ausstellungen. Auch die Transformation alltäglicher Gegenstände in Kunst und die Verwendung von "wertlosen“, kunstfernen Materialien gehört seit Jahren zu zentralen Momenten der Gegenwartskunst. Gerade deshalb verweisen sie auf die Aktualität der Arte Povera für die internationale zeitgenössische Kunst.

Che fare? Arte Povera - Die historischen Jahre

Lentos Kunstmuseum Linz

4020 Linz, Ernst-Koref-Promenade 1

bis 29.5., Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr

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