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Günther Loewits Roman "Kosinsky und die Unsterblichkeit" taucht ein in die NS-Zeit, hebt sich aber ab vom Erklärungseinerlei.

Günther Loewits Geschichte lebt von der Indifferenz, denn wenn der Autor vom Sohn spricht, dann ist nicht immer klar, in welcher Zeitebene der Geschichte sich der Leser befindet, und das ist gut so, auch wenn die Jahreszahl vor jedem Kapitel eine Orientierung gibt. Ist es der Sohn, dessen Vater als Jude nach Innsbruck kam, ein berühmter Biologe wurde und sich taufen ließ, ist es der Sohn, dessen Vater sich vor den Nazis verstecken musste, oder ist es der Sohn, der am tyrannischen Vater, der ein neues Haus für die Familie bauen will, beinahe zerbricht?

Die Wunden, die Verfolgung und Kerker in die Familien gerissen haben, werden mit dem Tod der Betroffenen nicht beerdigt. Diesen rote Faden, der hier ungewiss grauschwarz eingefärbt erscheint wie die Abenddämmerung in den Wäldern des Mittelgebirges, verfolgt der in Innsbruck geborene Autor durch die Familiengeschichte der Kosinskys.

Wieder eine Geschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus, schwer genug einen Ansatz zu finden, der über das bisher Versuchte hinausgeht. Ein neuer Beziehungsrahmen muss her, eine Bedeutungsklammer: Der Autor findet sie beim französischen Physiker Laplace, der davon ausging, das sich alle Ereignisse der Zukunft genau vorhersagen lassen würden, wenn auch die Ausgangssituation und die entsprechenden Naturgesetze bekannt seien. Mit der Unschärferelation durch Heisenberg bekam Gott und/oder die Freiheit des Menschen wieder einen Platz. Hier endet die Physik als Stichwortbringer: "Die persönliche Entwicklung eines Menschen bleibt dem Ort und der Zeit seiner Kindheit ausgesetzt. Die Änderungsmöglichkeit für den erwachsenen Menschen sind gering, so könne aus dem Täter ein Opfer werden oder auch umgekehrt, oder auch beides zugleich."

Klammer auf heißt es in der Mathematik und dann folgt die Geschichte. Vielleicht könnte die Formel dafür lauten: Sohn hoch drei plus Vater hoch 3 und das alles mal die Zeitumstände hoch die Variable x plus ein verleugnetes Judentum. Die weibliche Komponente y spielt auch noch eine Rolle als Frau und Mutter, ist jedoch zu vernachlässigen, hier zumindest.

Mit dem letzten Kapitel wird die Klammer geschlossen. Kriege verlieren mit den Jahren ihren Schrecken, nur wer sich Zeit nimmt, kann einen Einblick in ihren Verlauf gewinnen. "Wie durch eine Lupe ein Stück Zeit vergrößern". Und Zeit ist auch Leid. Und menschliche Schicksale üben eine Kraft aus, die sich abschwächt "aber stetig fortsetzt". Klammer geschlossen und Ende.

Zeit ist auch Leid

Das ist Stoff zum Nachdenken. Denn zwischen den Klammern ist keine mathematische Formel, sondern eine lapidare Geschichte, fast so dürr wie eine Formel, und das ist gut so. Fast könnte noch mehr Fleisch abfallen und die Sprache sich noch mehr der Formelhaftigkeit verschreiben. Loewit setzt nicht nur Klammern, sondern er zerteilt die Zeit, portioniert sie und bringt dem Leser ein neues Kontinuum, durch diesen Wechsel der Zeitebenen werden das Kontinuum, das prägende Muster, die leere Stelle Vater, die ersetzt wird durch Angst, das Schweigen und das Entsprechenwollen deutlich.

Vielleicht ist die Angst des Vaters 2, der Sohn 1 war und fürchtet, kein richtiger Vater sein zu können, der sich von der Gestapo gejagt durch den Wald schleicht, um zumindest einige Stunden am Abend mit der Familie zu verbringen, zu dominant präsentiert. Hier merkt man die Absicht. Weniger wäre mehr. So unbestimmt die Schuld des Vaters ist, nicht geflohen zu sein, die Schuld des Sohnes, die Gestapo fast auf die Fährte des Vaters gehetzt zu haben, so unbestimmt ist auch das Verhältnis zum Judentum. Denn Kosinskys sind keine Juden. In der Verfolgung wie auch bei der Wiedergutmachung wollten auch die Nachkommen keine Juden sein.

Literatur folgt nicht den Regeln der Mathematik und die Befreiung ist keine Null und kein Neuanfang. Dass Loewit Entwicklungsmuster erzählt, aber nicht ableitet, dass er den Faktor der Indifferenz akzeptiert als unbestimmte Größe seiner Erzählformel, hebt diesen Roman ab aus dem Erklärungseinerlei.

Kosinsky und die Unsterblichkeit

Roman von Günther Loewit

Skarabaeus Verlag, Innsbruck 2004

150 Seiten, geb., e 17,-

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