Die letzte Version einer Oper muss nicht die überzeugendste sein. Das dachte sich auch Wiens erstes Opernhaus und setzte, ausdrücklich als Neueinstudierung bezeichnet, Mussorgskis "Boris Godunow“ erstmals in seiner ursprünglichen Fassung an. Man adaptierte damit jene problematische Mischversion, die sich der damalige Premierendirigent Daniele Gatti für die Staatsopernneuproduktion im Mai 2007 gewünscht hatte.
Knapp zweieinhalb Stunden dauert die Urfassung, in der Mussorgski in fahlen Farben seine Geschichte vom leidenden russischen Volk erzählt. Episoden, die man sich auch heute vorstellen kann.
So sieht es auch Regisseur Yannis Kokkos. Er hat für diese Produktion seine einstige Inszenierung - bei der er gleichfalls für die auf das Wesentliche konzentrierte Ausstattung verantwortlich zeichnete - zu einer die einzelnen Szenen klar voneinander trennenden Bilderfolge, die durch einen ästhetischen Bogen zu einer Einheit geformt wird, umgearbeitet. Dabei wird der Fokus weniger auf die Charakteristik der Personen gelegt. Vielmehr erscheinen sie jeweils in unterschiedliche, für sie kaum mehr veränderbare Situationen gestellt. Genau darum geht es auch Mussorgski: aufzuzeigen, wie sehr ein System die Massen zu manipulieren versteht und damit seine Geschichte wesentlich prägt. Nicht zuletzt in den großflächig angelegten Chorszenen kommt das immer wieder zwingend zum Ausdruck.
Spannung bis zum Schluss
Auch musikalisch ist dieser neue "Boris“ eine mehr als runde Sache. Angefangen vom neuerlich alle Register seiner überzeugenden Charakterisierungskunst ziehenden Ferruccio Furlanetto in der Titelpartie über Jorma Silvasti als souveränen Schuiskij, Kurt Rydl als nach wie vor idealen Pimen, Marian Talaba als konzise artikulierenden Grigori, Norbert Ernst als exzellenten Gottesnarr bis hin zu Ileana Tonca als untadeliger Xenia oder Stephanie Houtzeels sich ebenso makellos in dieses stimmige Ensemble fügendem Fjodor. Uneitel und stets kompetent führte der bereits zu Wiener philharmonischen Ehren gekommene Tugan Sokhiev die bestens studierten Ensembles, erwies sich als idealer Sängerbegleiter und verstand die Spannung bis zum Schluss unprätentiös zu halten. (Walter Dobner)
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27., 30. April