Wie im Kosovo so auch hier ...

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Das Schweigen nach den Todesmärschen des Jahres 1945.

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Das Schweigen nach den Todesmärschen des Jahres 1945.

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Dreizehn Autoren schreiben über verschiedene Themen der jüdischen Geschichte und der Judenfeindschaft in Österreich. Vom Mittelalter bis zu den Nazis und nachher. Am aktuellsten scheint mir der Beitrag über die Todesmärsche jüdischer Gefangener durch Österreich 1945: "Nur net dran rührn!" von Günther Burczik. Denn die Todesmärsche der Juden führten in die vielen kleineren, größeren und Massengräber am Wege - wie sie nun allenthalben im Kosovo entdeckt werden. Und wenn der Genozid der Nazis mit den Massenmorden an Albanern auch keinesfalls verglichen werden kann: Das Wegschauen großer Teile der Bevölkerung, das Einsetzen des Verdrängungsprozesses bei vielen fast noch vor der Tat, die Mechanismen der Verdrängung: All das kann sehr wohl verglichen werden.

Diese Vergleichbarkeit macht die Todesmärsche von 1945 aktuell. Die Empörung über die heutigen Täter ist berechtigt und nötig, wäre aber ohne die Erinnerung an die "Endphasenverbrechen" der Nazis in unserem Land unvollständig und verlogen. Erinnern wir uns also. Burczik beschreibt, was von ungezählten Österreichern gesehen wurde: Tausende entkräftete Juden, die - mit gewaltigen Todesraten - im Burgenland und östlichen Niederösterreich als Zwangsarbeiter beim Bau des nutzlosen "Südostwalles" eingesetzt gewesen waren, wurden nun westwärts getrieben, mit Mauthausen als Ziel. Wer umfiel, nicht mitkam, rasten wollte, Schwäche zeigte, wurde erschossen oder erschlagen und am Weg verscharrt. Burczik schreibt über den Massenmord am Prebichl, über den vor einem britischen Militärgericht verhandelt wurde, und über weitere Prozesse, die Engerauer Prozesse, zitiert dabei auch mich, und breitet eine Fülle von Belegen dafür aus, daß diese Morde - im Gegensatz zum Genozid in den Lagern - in aller Öffentlichkeit begangen wurden.

Wobei sich die Frage aufdrängt: Warum haben die Zeugen, die wegschauen und schweigen mußten, wenn ihnen ihr Leben lieb war, weitergeschwiegen, als die Gefahr vorbei war? Wieso gingen diese Untaten nicht in die kollektive Erinnerung ein, wieso werden sie nicht in den Wirtshäusern erwähnt, wenn von "diesen Zeiten" die Rede ist, wieso ist die Erinnerung an sie nicht Allgemeingut? Können wir wirklich über die von Serben begangenen Massenmorde im Kosovo urteilen, oder auch nur reden, ohne uns das zu fragen? Können wir die Tätigkeit der internationalen Strafverfolger mit Befriedigung zur Kentnnis nehmen, ohne den Bann aufzuheben, der auf der Erinnerung an alliierte und österreichische Strafprozesse gegen österreichische Massenmörder von genau demselben Schlage liegt? Die Schlüsse, die er daraus zieht, sind Sache des einzelnen. Aber der Schluß, daß ungezählte Tausende von Österreichern mit solchem Wissen und solchen Erinnerungen geschwiegen haben und dabei, vorsichtig ausgedrückt, Österreich keineswegs resistent gegen nationale Verirrungen wurde, ist nicht zu umgehen. Kosovo ist nicht überall, aber Kosovo war, nachzulesen bei Günther Burczik, 1945 auch in Österreich.

Buch

Studien zur Geschichte der Juden in Österreich

Handbuch zur Geschichte der Juden in Österreich,
Reihe B, Band 2, Herausgeber: Martha Keil,
Eleonore Lappin Philo Verlag, Bodenheim 1999
222 Seiten, brosch., 24,41 Euro

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