Wie in der Antike: Mittelmeer als Binnensee

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Der Grüne Bundesrat Stefan Schennach hat vergangenen Monat den Vorsitz im Ausschuss für Energie und Umwelt im Rahmen der Euromediterranen Parlamentarischen Versammlung übernommen. Ein Gespräch zu Europas partnerschaftlichem Engagement über seine südlichen Grenzen hinweg.

Die Furche: Herr Bundesrat, die EU-Reaktion auf das Kentern eines Flüchtlingsbootes mit hunderten Toten vergangene Woche im Mittelmeer war sehr verhalten: Fürchterlich, aber "es gibt einfach keine magischen Lösungen", heißt es.

Stefan Schennach: Diese Zusammenfassung der EU-Reaktion finde ich zu kurz geraten. Die EU ist da mit ihren Mittelmeer-Mitgliedstaaten besonders herausgefordert. Wir müssen zu europaweiter Solidarität und einem Lastenausgleich finden. Aber leider zeigt sich, dass Europa bzw. der Norden, wenn es um die Bewältigung von Flüchtlingsströmen geht, relativ schnell an seine Grenzen stößt.

Die Furche: Während im Süden die größten Flüchtlingslager sind …

Schennach: Was heißt "die größten"? Der überwältigende Teil des weltweiten Flüchtlingsaufkommens wird im Süden versorgt. In der Debatte wird das immer so dargestellt, als würde der Großteil der Flüchtlinge nach Europa kommen. Das Gegenteil ist der Fall. Allein wenn man sieht, wie viele irakische Flüchtlinge in Syrien oder Jordanien unterkommen. Oder wie viele Darfur-Flüchtlinge Libyen versorgt. Dann erscheint unsere Hilfe in Europa schon oft erbärmlich. Auf der anderen Seite kann man die eigenen Gesellschaften nicht überfordern. Offensichtlich gibt es heute nicht mehr die Bereitschaft, die es 1956 oder 1968 bei den Flüchtlingen aus Osteuropa gegeben hat.

Die Furche: Reich zu sein, bedeutet nicht, mehr Hilfe zu geben. Allerdings ist die Flüchtlingsbetreuung im Süden oft unter jeder Kritik.

Schennach: Da muss man schon zwischen den Möglichkeiten differenzieren. Im Süden ist die Flüchtlingsversorgung weniger staatlich organisiert und entspricht auch oft nicht den letzten sanitären Kriterien. Dort ist Hilfe meist familiengestützt, wird von kleinen Organisationen durchgeführt, von Region zu Region unterschiedlich. Natürlich sind die Zustände oft nicht optimal. Diesbezügliche Warnungen und Hilfsaufrufe internationaler Flüchtlingsorganisationen sind berechtigt. Hier muss den südlichen Staaten geholfen werden.

Die Furche: Sind unsere hohen Standards im Flüchtlingsbereich vielleicht insofern ein Fluch, als sie nicht auf eine sehr große Zahl von Menschen anwendbar sind?

Schennach: Ich meine, wir könnten da manchmal mehr Menschlichkeit zeigen und nicht immer zuerst auf die 100-prozentige Erfüllung aller Standards schauen, so wichtig diese sind.

Die Furche: Sie haben jetzt eine Führungsfunktion in der EU-Mittelmeer-Partnerschaft. Was kann die Politik da leisten?

Schennach: Die EU macht hier eine andere Politik als die USA. Die hat ihren Wirtschaftsraum definiert und betrachtet alles, was nicht dazugehört, als ihre Hinterhöfe.

Die Furche: Und Europa?

Schennach: Die EU weiß, dass sich an ihren Rändern wirtschaftliche und soziale Abbrüche auftun. Diese Kluft gilt es zu verkleinern. Deswegen wurden die EU-Nachbarschaftsprogramme entwickelt. In Richtung Osteuropa und gegenüber dem mediterranen Raum. Diese Programme sehen vor, das Mittelmeer als Binnensee zu betrachten. Seit Jahrtausenden wird das Mittelmeer zum Austausch von Kultur und Wirtschaft genutzt.

Die Furche: … das Gegenteil heutiger Sicht, in der das Mittelmeer vor allem als Grenzmeer erscheint.

Schennach: Jetzt geht es darum, das Gemeinsame wieder in den Vordergrund zu rücken. Europa hilft mit, die Lebensbedingungen im Süden zu verbessern. Die Küsten Europas sind nicht die Festungsmauern dieses Kontinents.

Die Furche: Ihr Ausschuss kümmert sich um Energie, Umwelt und Wasser. In Zeiten von Klimawandel und Klimaflüchtlingen ein Kernbereich.

Schennach: Es muss zu einem Technologietransfer von Nord nach Süd kommen und das Bewusstsein geschärft werden, dass es notwendig ist, aus- und umzusteigen. Wir müssen heute vorsorgen, dass es nicht morgen zu Verteilungskämpfen kommt. Allein in Ägypten leben in zehn Jahren um 20 Millionen Menschen mehr!

Die Furche: Aktionsprogramme kosten Geld - wer zahlt das?

Schennach: Es gibt da Staaten, die viel Geld investieren: Frankreich, aber auch die arabische Seite. Wobei diese Bereitschaft durch den Gaza-Krieg sehr gedämpft ist. Wir waren schon sehr viel weiter. Im Augenblick wird es unsere Kunst sein, die arabischen Staaten wieder in eine konstruktive Zusammenarbeit hineinzubitten.

* Das Gespräch führte Wolfgang Machreich

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