Wie morgen Kirche wird

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„Die Hirten tun, als sähen sie nichts“: Für den Salzburger Pastoralamtsleiter Balthasar Sieberer hat dieser Ausspruch der Katharina von Siena nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil: Wo überall es an der Zeit wäre, Neues zu pflanzen, war Thema des Symposiums „ZukunftsBilder“.

„Die Kirche der Zukunft muss eine demütige Institution sein, die die Abgründe ihrer Geschichte reflektiert und um die verpassten Chancen weiß.“ Und man müsse der Kirche ihren Glauben anmerken und auch abnehmen können, so der Salzburger Dompfarrer und Pastoralamtsleiter Balthasar Sieberer. Voraussetzung dafür sei Lernbereitschaft und der Wille, Fehler einzugestehen. Dazu gehöre auch, die guten Ideen und Entwicklungen, die außerhalb der Kirche entstehen – etwa Menschen- und Frauenrechte –, wertzuschätzen.

Die Kirche von morgen ist einer der Forschungsschwerpunkte des Wiener Pastoraltheologen Paul M. Zulehner, zu dessen Emeritierung im Wiener Kardinal König Haus das Symposium „ZukunftsBilder“ veranstaltet wurde. Balthasar Sieberer schilderte dabei seine Vision von Kirche im Jahr 2030. Er kritisierte vieles an der heutigen Gestalt der katholischen Kirche, etwa ihren Umgang mit Ämtern und der Berufung zu diesen Ämtern: Darauf zu warten, dass Gott ruft, und währenddessen nur im Stillen dafür zu beten, hält er für eine Sackgasse.

Sieberer wurde deutlich: Jungen Männern, die den Wunsch verspüren, Priester zu werden, würden eine Vielzahl von Hürden in den Weg gelegt. Der Priestermangel sei somit ein „hausgemachtes Problem“. Aus seiner Sicht solle das entscheidende Kriterium für die Berufung in ein Amt das „In-Christus-Sein“ werden, ein Verweis auf den Brief an die Galater (3,28), wo Paulus schreibt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau: Denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus.“ Daraus leitete Sieberer den Auftrag zu einer neuen Form der Berufung ab, die sich an alle Christen richtet.

Wie geht Barmherzigkeit?

Auch für das christliche Handeln im Alltag müsse die Kirche neue Zugänge finden: Von Nächstenliebe und Barmherzigkeit zu sprechen, sei nicht genug. Es müsse auch „immer neu durchbuchstabiert“ werden, was diese Begriffe in der Gegenwart meinen. Als Beispiel dafür nannte Sieberer die Initiative „Sieben Werke der Barmherzigkeit für Thüringen heute“, in der im Elisabethjahr 2007 anhand einer Umfrage erarbeitet wurde, welche Werke der Barmherzigkeit heute gebraucht würden. Das Ergebnis waren sieben Sätze, die anderen gesagt und selbst gelebt werden sollen: „Du gehörst dazu. Ich höre dir zu. Ich rede gut über dich. Ich gehe ein Stück mit dir. Ich teile mit dir. Ich besuche dich. Ich bete für dich.“ Diese Aktion ist für Sieberer ein guter Ansatz, um eines von vielen christlichen Konzepten neu zu adaptieren und heute alltagstauglich zu machen. Auch an der eigenen Einstellung müsse die Kirche arbeiten. In Sieberers Vision wird die Kirche 2030 eine „freie und befreite“ sein. Sie werde sich – nach einer Formulierung des Theologen Josef Dillersberger – von der „Knechtschaft des Buchstabens“ befreien. Damit könne Kirche dann auch „ihre Selbstfesselung lösen und frei werden für die Liebe zu den Menschen“. Die derzeit statt findenden Erneuerungen, im Speziellen die Strukturreformen auf Ebene der Pfarren, qualifizierte Sieberer als wenig voranbringend: „Leben braucht zwar Strukturen, Strukturen schaffen aber kein Leben.“ Stattdessen beschwor er die Notwendigkeit einer Kirche, „die sich den Menschen zuwendet“. Dafür dürfe man sich aber nicht hinter einem „die Kirche hat immer schon …“ verstecken. Die Liste der Herausforderungen, vor denen die Kirche 2030 und in den Jahren bis dahin stehen werde, sei jedenfalls lang und reiche von theologischen Details über praktische Überlegungen bis hin zu regelrechten Überlebensfragen.

Die Kirche könnte zur Sekte verkommen

Es werde in Zukunft noch viel wichtiger sein, wie mit Vielfalt umgegangen wird: „Klar ist, dass die Kirche von morgen noch unübersichtlicher und unbeherrschbarer sein wird, als das heute schon der Fall ist.“ Darin liegen Balthasar Sieberer zufolge aber auch Chancen. Kleine Gemeinschaften können aufblühen. Gleichzeitig führe diese schwer überschaubare Vielfältigkeit wieder zu der Entstehung von Vernetzungen, die zu einem großen Miteinander verbinden würden.

Solche Perspektiven könne es aber nur geben, wenn aktiv und bewusst daraufhin gearbeitet werde. Nahezu beschwörend sprach Sieberer von der Zukunft, die bevorstehe, wenn seine Kirche diese dringend notwendige Öffnung nicht schaffe. In diesem Fall sieht er sie zur Sekte verkommen und das Evangelium freikirchlichen Gruppierungen überlassen. Sieberer: „Ich bin mir sicher, dass Kirche auch in Zukunft immer bestehen wird. Darauf, dass dies in der zentralistisch römisch-katholischen Form der Fall ist, würde ich aber nicht wetten.“ Sieberer hatte seinen Ausführungen ein Zitat der Katharina von Siena vorangestellt: „Die Hirten tun, als sähen sie nichts.“ Und er ergänzte: „Ich habe manchmal das Gefühl, sie wollen das auch gar nicht.“

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