Wie Óscar Romero SELIG WURDE

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Als er Erzbischof wurde, galt er als Kandidat der Mächtigen. Doch die Ermordung eines Freundes verwandelte sein Leben. Drei Jahre blieben ihm da noch als Apostel der Armen.

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Als er Erzbischof wurde, galt er als Kandidat der Mächtigen. Doch die Ermordung eines Freundes verwandelte sein Leben. Drei Jahre blieben ihm da noch als Apostel der Armen.

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Eine klerikale Bilderbuchkarriere war es nicht. Dafür stammte Óscar Romero aus zu ärmlichen Verhältnissen. Und das Ende hätte anders ausgeschaut. Aber seine Vita wies Züge auf, die ihn aus der Sicht des Vatikans als "sicheren" Kandidaten erschienen ließen: Studium in Rom, Seelsorger und Pfarrer, Bischofssekretär, Redakteur.

Es sollte anders kommen: Romeros Leben spiegelt im Mikrokosmos von El Salvador (dessen Fläche der von Vorarlberg, Tirol und Salzburg entspricht) den Perspektivenwechsel wider, den die Kirche Lateinamerikas nach dem II. Vatikanum vollzog. Er lässt sich an den Versammlungen von Medellín (1968), Puebla (1979) und Aparecida (2007) ablesen, auf denen Bischöfe eine "vorrangige Option für die Armen" forderten. Leben und Tod von Monseñor Romero zeigen die Dramatik dieser Option.

Óscar Arnulfo Romero y Galdámez wurde am 15. August 1917 als zweites von acht Kindern geboren, in Ciudad Barrios an der Grenze zu Honduras. Die Eltern waren Mestizen, Nachkommen der indianischen Ureinwohner wie der Conquistadoren.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 ging auch an El Salvador nicht spurlos vorüber. 1932 setzte sich deswegen der kommunistisch orientierte "Farabundo Martí" an die Spitze eines Bauernaufstandes. Mit US-Hilfe wurde er niedergeschlagen. Die "Matanza" (Schlächterei) forderte 30.000 Tote - ein traumatisches, jahrzehntelang nachwirkendes Ereignis. Bis 1979 wurde El Salvador von Militärdiktaturen regiert. Die Bevölkerung ließ sich durch die pseudodemokratische Fassade nicht blenden. "14 Familien" beherrschten das Land und besaßen mehr als die Hälfte der bebaubaren Fläche.

Die Romeros waren arm. Schon als Kind verdiente Óscar Geld dazu. Mit 13 kam er in das von Claretinern geleitete Kleine Seminar: ein geregeltes Leben mit geistlicher Schulung und täglicher Messe. Von 1937 an besuchte er das Priesterseminar in San Salvador. Wenige Monate später wurde er nach Rom geschickt, um an der Päpstlichen Universität Gregoriana zu studieren. Bei den Jesuiten lernte er die Geistlichen Übungen kennen.

Kurz nach seiner Priesterweihe am 4. April 1942 berief ihn sein Bischof 1943 aus Rom ab. Die Doktorarbeit blieb unvollendet. Zunächst als Dorfpfarrer tätig, wurde Romero bald Sekretär des Bischofs. Daneben war für die Wochenzeitung El Chaparrastique zuständig und wirkte als Seelsorger.

Als Sekretär der Bischofskonferenz (seit 1966) und bald auch des Bischöflichen Sekretariats von Zentralamerika und Panama (SEDCA) war Romero 1968 maßgeblich an der Vorbereitung der Zweiten Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats (CELAM) in Medellín (Kolumbien) beteiligt. Es ging um einen Fahrplan für die Umsetzung des Konzils. Die in Medellín "vorrangige Option für die Armen" wurde für die USA wie lateinamerikanische Oligarchen zum Alarmsignal.

Das "Wunder Romero"

Mit 53 (1970) wurde Romero zunächst Weihbischof der Hauptstadtdiözese San Salvador, dann Bischof von Santiago de María (1974) und am 3. Februar 1977 Erzbischof von San Salvador - als "Wunschkandidat" der Konservativen und Oligarchen, nicht aber des Klerus. Der hatte, wie der Übergangene selbst, mit dem seit 1960 tätigen Weihbischof und Salesianer Arturo Rivera y Damas gerechnet, der Romero als Bischof von Santiago de María nachfolgte und ihn dann 1983 als Erzbischof beerben sollte.

Schon seit den 1960er-Jahren hatte Erzbischof Luis Chávez y González landlose Campesinos unterstützt. Jetzt förderte er zusammen mit Weihbischof Rivera y Damas Priester und Ordensleute, die sich für Arme einsetzten. Zunächst unentschlossen, entschied sich Romero anders: Er stand nicht hinter den Beschlüssen von Medellín. 1971 wurde er Chefredakteur der diözesanen Wochenzeitung Orientación ernannt. Sein Vorgänger Rutilio Sánchez hatte den "Medellín-Kurs" gefahren. Romero nahm eine Wende um 180 Grad vor: Er distanzierte sich von sozial und politisch engagierten Priestern. Als er Bischof von Santiago de María wurde, hinterließ er die Orientación mit einem Schuldenberg: Die Leser hatten die Zeitung scharenweise abbestellt.

Seine Ernennung zum Erzbischof von San Salvador enttäuschte jene, die sich von der Kirche einen Beitrag zu sozialen Veränderungen erhofften. Den Mächtigen waren die Priester suspekt, die sich mit den Volksbewegungen solidarisierten. Das konnten sie nicht zulassen: Eine der blutigsten Christenverfolgungen in der jüngeren Kirchengeschichte nahm ihren Anfang.

Im März 1977 kam es zum Tabubruch: Auf dem Weg zum Gottesdienst wurde in El Paisnal im Auftrag eines Großgrundbesitzers der Jesuit Rutilio Grande ermordet -ein Freund Romeros aus gemeinsamen Seminarzeiten. Er hatte die Beschlüsse von Medellín in der Pastoral umzusetzen versucht. Romero sah das mit Unbehagen. Doch dieser Mord wurde zur Wende in Romeros Leben. Schockiert stand er vor der aufgebahrten Leiche: "Wenn sie ihn für das umgebracht haben, was er getan hat, dann muss ich denselben Weg gehen. Rutilio hat mir die Augen geöffnet."

Praktisch über Nacht wurde Romero zum Anwalt der Armen. Er prangerte Ungerechtigkeit, Korruption und Terror an. Am Ende jeder Predigt verlas er eine Liste mit den Namen von Ermordeten. Damit nahm seinen Anfang, was später als das "Wunder Romero" bezeichnet wurde: "Ein Bischof muss immer viel von seinem Volk lernen." Er verstand, dass die Probleme El Salvadors mit bloßer Wohltätigkeit nicht gelöst werden konnten.

"Hört auf mit der Unterdrückung!"

Romero brachte Beschimpfungen und Todesdrohungen mit dem Weg Jesu in Verbindung: "Es ist mein einziger Trost, dass auch Christus selbst, der den Menschen diese große Wahrheit mitteilen wollte, nicht verstanden wurde, dass man ihn als Aufrührer bezeichnet und zum Tod verurteilt hat, so wie man mir in den letzten Tagen gedroht hat."

Am 23. März 1980, einem Sonntag, verlas er nach der Predigt wie üblich eine Liste der wöchentlichen Gewaltopfer. Dann wandte er sich an die Soldaten und Sicherheitskräfte: "Im Namen Gottes und im Namen dieses leidenden Volkes, dessen Klagen von Tag zu Tag lauter zum Himmel steigen, bitte ich euch, flehe ich euch an, befehle ich euch in Gottes Namen: Hört auf mit der Unterdrückung!" Damit hatte er sein Todesurteil besiegelt.

Am nächsten Abend feierte Romero eine Messe in der Kapelle des Ospitalito, des Krankenhauses, auf dessen Areal er lebte. Er predigte über das Evangelium vom Weizenkorn, das in die Erde fallen und sterben muss, um Frucht zu bringen. Nach den letzten Worten brach er blutüberströmt hinter dem Altar zusammen: Ein Schuss hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Major Roberto D'Aubuisson, der die Todesschwadronen organisierte, hatte den Mord angeordnet. Bis heute ist das Verbrechen juristisch nicht aufgeklärt.

Das Misstrauen aus Rom besänftigt

Fast eine Million Menschen nahm an Romeros Beerdigung teil. Es kam zum Blutbad, als die hypernervöse Armee wahllos in die Menge schoss: Auftakt eines zwölfjährigen Bürgerkriegs, der 75.000 Tote forderte. Am 16. November 1989 sollten auf dem Campus der Zentralamerikanischen Universität (UCA) auch sechs Jesuiten, ihre Köchin und deren fünfjährige Tochter in einer Kommandoaktion bestialisch ermordet werden. Die Patres galten als das intellektuelle Gehirn der Guerilla, die sich 1980 im "Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional" (FMLN) zusammengeschlossen hatte. Heute stellt der FMLN den Präsidenten.

Als "San Romero de América" verewigte der brasilianische Altbischof Pedro Casaldáliga Monseñor Romero. Als solchen würdigte ihn auch Michael Sievernich SJ zum 35. Todestag in den Stimmen der Zeit: "Die Zeit ist gekommen: Jetzt kann Papst Franziskus den salvadorianischen Erzbischof seligsprechen und damit den Ruf des Volkes erhören."

Bei einem Besuch in San Salvador las ich am Eingang von Romeros Haus: "Monseñor Romero profeta y martir. Los pobres te llaman: sin prevenir el iuicio de la iglesia. (Monseñor Romero - Prophet und Märtyrer: Die Armen nennen dich so, ohne dem Urteil der Kirche vorauszugreifen.)" Der Zusatz war notwendig geworden, um das Misstrauen aus Rom zu besänftigen. Es bedurfte der Wahl des ersten Papstes aus Lateinamerika, Jorge Mario Bergoglio SJ, um vatikanischen Bedenkenträgern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Über dem Westportal der Westminster Abbey in London steht Romeros Statue schon seit Jahren unter den "Märtyrern des 20. Jahrhunderts" - in ökumenischer Eintracht mit Maximilian Kolbe, Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King.

Im Bücherschrank in Romeros Wohnung entdeckte ich im August 2008 auch die spanische Ausgabe eines Buches von Hans Küng: "Ser cristiano"(Christ sein). Óscar A. Romero war bzw. wurde ein Christ par excellence: Repräsentant einer armen Kirche für die Armen, wie Papst Franziskus sie propagiert. Am 23. Mai 2015 wird Monseñor Romero nun - endlich - (zusammen mit drei peruanischen Märtyrern) seliggesprochen. Dieser Akt war überfällig.

Der Autor ist Jesuit und Chefredakteur der "Stimmen der Zeit", München

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