Wie steht es um die ÜBERSETZUNG?

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Manche Bücher überwinden erfolgreich Grenzen im vielsprachigen Europa, andere nicht. Der soeben vorgestellte "Diversity Report" versucht zu ergründen, woran das liegt.

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Manche Bücher überwinden erfolgreich Grenzen im vielsprachigen Europa, andere nicht. Der soeben vorgestellte "Diversity Report" versucht zu ergründen, woran das liegt.

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Erfolg oder Misserfolg von Literatur ist selbst für die wunderbarsten Autoren so unberechenbar wie das Glück, das sprichwörtlich flüchtige Vogerl. Elena Ferrante etwa könnte ein Lied davon singen. Ihr Roman "Meine geniale Freundin" verzaubert in diesen Wochen Leserinnen zwischen Kiel und Bad Radkersburg. "Ein epochales literaturgeschichtliches Ereignis", feiert Iris Radisch die dediziert "feministische Poetik" des ersten von vier Bänden, "in dem Männer durchaus ihren Platz haben -in glanzvollen Nebenrollen". Radischs männlicher Kritikerkollege Arno Widmann, keineswegs ein Nebenrollen-Rezensent, hatte schon 2003 Ferrantes "Tage des Verlassenwerdens" regelrecht verschlungen.

Eigentlich, möchte man meinen, wären deutsche Verleger gut vorbereitet gewesen, als der erste der vier Bände von Ferrantes nunmehrigem Welterfolg, "Meine geniale Freundin", 2011 im italienischen Original erschien. Doch das Gegenteil war der Fall. Erst wurden die vier Romane zu Bestsellern in Italien, dann gleich im Folgejahr 2012 in den USA, dann nahezu überall. Erst im Herbst 2016 durfte sich auch das deutschsprachige Feuilleton mehrheitlich dem "unheimlichen Sog"(Radisch) ergeben.

Professionelle Kleinkraftwerke

Die Weltkarriere der bis vor kurzem nur unter ihrem Pseudonym Elena Ferrante bekannten Schriftstellerin stellt auf den Kopf, was gemeinhin als festes Regelwerk gilt im internationalen Literaturbetrieb: Bestseller, zumal globale, so meint man gemeinhin zu wissen, werden in aller Regel auf Englisch verfasst, von geheimnisvollen Agenten in London oder New York in aberwitzigen Auktionen rund um die Frankfurter Buchmesse lanciert und dann während der hysterischen Messetage im Frankfurter Hof spätabends reihum geraunt - um dann im kommenden Jahr von Armeen von PR-Leuten immenser Verlagskonzerne den nichtsahnenden Leserinnen aufs ratlose Leseauge gedrückt zu werden.

Dies geschieht auch tatsächlich, Jahr für Jahr, mit viel Getöse rund um eine Reihe letztlich hoch gepokerter Bücher, von denen einige durchaus das Umsatzfundament dieser international aufgestellten Konzernverlage darstellen. Aber die Vielfalt an Lesestoff, welche eine gut sortierte kleine oder große Buchhandlung in Regalen und Stapeln auf den Büchertischen einem zusehends eigenwilligen wie gut informierten Käuferpublikum anbietet, funktioniert auch genau andersherum. Ferrantes Bücher werden seit 2006 von dem römischen Kleinverlag Editioni E/O betreut, der seit jeher eine durchaus ungewöhnliche Partnerschaft mit der US-amerikanischen, ebenfalls konzernunabhängigen Europa Editions pflegt. Diese beiden Kleinkraftwerke brachten, in transatlantischer Eintracht und mit hohem professionellem Geschick - und nicht wegen ein paar Zufällen -das "Ferrante Fieber"(The Guardian) in Wallung.

Der deutsche Buchmarkt verschlief das alles erst einmal, möglicherweise gerade weil Ferrante vor mehr als zehn Jahren schon, abgesehen von Arno Widmann, mit gerade einmal gelangweilter Routine abgewiesen worden war. Dies passiert nicht zum ersten Mal. Schon der schwedische Weltknüller Millennium von Stieg Larsson war in Deutschland zwar frühzeitig übersetzt, aber von Medien und Handel als unerheblich verkannt worden -und dann über zwei mittelgroße, wiederum konzernunabhängige Verlage in Frankreich (Actes Sud) und die eben erst neu gegründete MacLehose Press in England in eine globale Umlaufbahn geschossen worden.

Doch weder Ferrante noch Millennium von Stieg Larsson sind wirre Ausnahmeerscheinungen. Die ganze "Nordic Crime"-Welle verrät beispielsweise recht gut, auf welch vielfältigen und doch von deutlichen Regeln und Triebkräften geprägten Mustern Storys und Übersetzungen von Geschichten über vielfältige Hindernisse, etwa Sprachund Kulturgrenzen, "funktionieren" - oder auch nicht. Dies sind die Themen, welche wir in einem Autorenteam seit bald zehn Jahren unter der Überschrift "Diversity reports" verfolgen. Selbstverständlich geht es dabei nicht nur um spektakuläre Fälle von Bestsellern. Für die neueste Ausgabe, erschienen im September 2016, haben wir für rund 250 Autoren in zehn Sprachen quer durch Europa recherchiert, was übersetzt wurde, und was nicht.

Von den vielen Literaturpreisen etwa gibt es nur ganz wenige, die einen nachweislichen Einfluss auf die grenzüberschreitende Wirkung von Büchern haben. Kaum ein Preis beeinflusst die bestinformierten Scouts und Agenten bei ihrem Aufspüren interessanter Bücher. Und auch Förderprogramme erscheinen in einer Analyse nach empirischen Daten als selten taugliche Instrumente, die Laufbahn einzelner Autoren auf einen guten Weg zu bringen. Dies gilt für europäische Förderprogramme ebenso wie für österreichische ministerielle Zuwendungen. Wobei allerdings auch unbedingt angefügt werden muss: Gäbe es all die gut gemeinten, wenn auch nicht immer sehr effizient und überprüfbar eingesetzten öffentlichen Mittel nicht, lässt sich mit Sicherheit voraussagen, dass sehr viele Übersetzungen von Büchern gerade auch wichtiger - später erfolgreicher Autoren - nie auf den Weg kommen würden.

Mit anderen Worten: Die Förderung mag dem Prinzip der Fortpflanzungen von Bäumen gehorchen, welche auch tausende Samen produzieren, um wenige neue Nachfolger zu pflanzen. Aber das Ergebnis ist ein ökologisch vielfältiger Wald, in dem, neben den Bäumen selbst, noch viel weiteres Leben gedeiht.

Gerade auf Buchmessen und anderen Großveranstaltungen ist in Eröffnungsreden gerne von der hohen Bedeutung von Literatur - und von deren Übersetzungen - in der vielsprachigen Diversität Europas die Rede. Doch gleichen diese Aussagen in aller Regel nicht nur einem höchst mangelhaft gedeckten Scheck. Vielmehr mangelt es selbst an grundlegenden Informationen, was überhaupt in Europa übersetzt wird, und was nicht. Als wir 2008 den ersten Diversity Report recherchierten, war ein wichtiger Ausgangspunkt, dass es keinerlei Überblick gab, aus welchen und in welche Sprachen wie viel an belletristischer Literatur übersetzt wird. Nach vier Ausgaben unserer Studie gibt es wenigstens ein grobes Koordinatensystem, wenn schon keine detaillierte Landkarte.

Minimaler Konsens

Für Österreich ist die Bilanz eine Art Reality Check. Denn das Land kann die gerne behauptete Rolle als Drehscheibe zwischen Ost und West auch nicht annähernd einlösen. Vielmehr hat es den Anschein, als würde dies auch nicht so wichtig sein. Das hat, indirekt, sogar sein Gutes. Denn beim Stricken von grenzüberschreitenden Netzwerken geht es ja genau nicht um nationale Sonderschauen, sondern um die gute Organisation des Verkehrs zwischen den einzelnen teilhabenden Knoten und Akteuren. Hinsichtlich der Übersetzungen von Literatur allerdings scheint man sich gut und gerne mit einem minimalen Konsens abgefunden zu haben -einiges Geld beizusteuern, doch andererseits auch nicht mehr allzu genau hinsehen zu wollen.

Für ein kleines Land mit einem großen Nachbarn gleicher Sprache ist das eine faule, wenn auch wenig auffällige Option. Denn die Lücke wird durch den zehnmal größeren Nachbarn ohne viel Aufhebens ausgefüllt. Bloß, man verzichtet darauf mitzugestalten -und das ist bei einem so wesentlichen Thema der kulturellen Produktion ein sehr realer Verlust.

Der Diversity Report von Rüdiger Wischenbart, Miha Kovac und Yana Genova wurde bei den Europäischen Literaturtagen in Spitz am vergangenen Wochenende vorgestellt und ist ab sofort zum kostenfreien Download verfügbar auf www.wischenbart.com/diversity

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