"Wie war das damals eigentlich?“

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Katja Fleischmann ist fasziniert von den Geschichten, die das Leben schreibt. Sie besucht Menschen zu Hause, hört ihnen zu und packt das Erzählte in ein Buch wertvoller Erinnerungen. Über die Vergangenheit als Schlüssel zur eigenen Identität.

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Katja Fleischmann ist fasziniert von den Geschichten, die das Leben schreibt. Sie besucht Menschen zu Hause, hört ihnen zu und packt das Erzählte in ein Buch wertvoller Erinnerungen. Über die Vergangenheit als Schlüssel zur eigenen Identität.

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Was für eine Geschichte! Was für ein Schicksal! Geboren im Hermannstadt des Jahres 1936 - wenige Augenblicke, bevor die eigene Mutter im Kindbett stirbt. Drei Jahre in einem Kinderheim, bevor es zurück zu Großeltern und Bruder geht. Und dann auch noch der Krieg: Angst, Trennung vom Vater, der als Siebenbürger Sachse 1945 Rumänien verlassen muss, Enteignung und 1959 die Vertreibung der gesamten Familie nach Österreich, wo man endlich so etwas wie Heimat findet.

Würde der alte Mann eine Berühmtheit sein, seine bewegende Vita wäre heute längst in einem Buch oder Film verewigt sein. Doch er ist nur einer von vielen, einer dieser ungezählten Namenlosen, deren Lebensgeschichte wohl dereinst mit ihnen von dieser Welt verschwindet.

Geschichte von Generation zu Generation

Wenn seine Tochter nicht rechtzeitig dafür gesorgt hätte, dass es anders kommt. Als ihr Vater 75 Jahre alt wird, wendet sie sich an Katja Fleischmann und bittet sie, ihn zu treffen, ihm zuzuhören und seine Erinnerungen in Buchform zu gießen. Es sollte ein Geschenk für ihn werden, ein Zeichen der Wertschätzung und Dankbarkeit. "Die Tochter ist auch an mich herangetreten, weil sie für ihr eigenes Kind festhalten wollte, was der Großvater erlebt hat“, erzählt Fleischmann im Wiener Augarten mit dem alten Flakturm im Rücken. In einer Zeit, in der die Generationen oft nicht mehr miteinander wohnen und mündliche Überlieferung rar geworden ist, sei es naheliegend, das gemeinsame Erbe schriftlich zu bewahren, meint sie. Durch die eigene Familiengeschichte erfahre man schließlich nicht nur viel über die eigenen Wurzeln - sondern auch jede Menge über die eigene Identität.

"Persönliche Worte“ nennt sich diese etwas andere Dienstleistung, die Katja Fleischmann seit Februar dieses Jahres anbietet - neben ihrem Halbtagsjob als Deutsch- und Spanischlehrerin in einem Erwachsenenbildungsinstitut. Die ausgebildete Sozialpädagogin und studierte Romanistin besucht Interessierte zu Hause, leiht ihnen ihr Ohr, nimmt das Erzählte auf, transkribiert es, formuliert aus dieser Vorlage eine Lebensgeschichte und packt sie - gemeinsam mit einem Grafiker - in ein Buch persönlicher Erinnerungen. Fünf Biografien sind bisher auf diese Art entstanden. Kostenpunkt: ab 3500 Euro.

Ihr erstes, vor zwei Jahren verfasstes Werk war ihrem eigenen Vater gewidmet - besser gesagt seinem Lebenswerk: einem erfolgreichen Elektroinstallationsbetrieb im nördlichen Weinviertel, den aber letztlich keines der vier Kinder weiterführen wollte. "Meinem Vater ist es schwergefallen, loszulassen“, erinnert sich seine heute 31-jährige Tochter. "Da sollte ihm dieses Buch zumindest unsere Wertschätzung verdeutlichen.“

Die Idee, die Lebensgeschichten anderer Menschen für die Nachwelt zu erhalten, ist ihr freilich schon fünf Jahre zuvor gekommen. Damals, man schreibt das Jahr 2004, stirbt ihr geliebter Großvater - ein leidenschaftlicher Weinbauer, der oft und gern aus seinem Leben erzählt hat. "Ich bin als Kind schon gern bei diversen Kellerrunden gesessen und habe einfach nur zugehört“, erinnert sich Katja Fleischmann. Durch die Erzählungen ihres Opas bekommt Geschichte plötzlich ein Gesicht. Und durch ihn lernt sie auch die Emotionen verstehen, mit denen die Leute hier in Unterretzbach, direkt an der tschechischen Grenze, von den einst vertriebenen "Südmährern“ sprechen. Dass auch ihre eigenen Vorfahren aus Südmähren ins Weinviertel gekommen sind, erfährt sie erst nach dem Tod des Großvaters. Von seinem Krebsleiden gezeichnet stirbt er in der Nacht nach seinem 75. Geburtstag. Die ganze Familie ist gekommen, um sich zu verabschieden - auch Enkelin Katja. "Das war sehr beeindruckend für mich“, sagt sie heute. "Später ist mir klar geworden, wie schade es ist, seine Geschichte nicht von ihm selbst gehört zu haben.“ Was bleibt, ist die Erinnerung. Doch Erinnerungen verblassen mit der Zeit.

Wo komme ich her? Wo gehe ich hin?

Mit "Persönliche Worte“ will Fleischmann nun Menschen helfen, rechtzeitig Antworten auf ihre ganz persönlichen Fragen zu finden: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was erzähle ich meinen Kindern? "Mit 20 Jahren ist man noch sehr auf sein eigenes Fortkommen fixiert“, sagt sie ernst. "Aber mit Anfang 30 kommt der Punkt, wo man langsam auch zurückschaut und sich eine wichtige Frage stellt: Wie war das damals eigentlich?“ Sie selbst habe jedenfalls ihre Leidenschaften zum Beruf gemacht: ihr lebhaftes Interesse an Menschen; und ihre Liebe zum Schreiben, der sie bis heute mit dem Verfassen von Tagebüchern und Reiseberichten frönt. Diese Schriften irgendwann durchzusehen und womöglich gar zu publizieren, spuke als reizvoller Gedanke in ihrem Kopf herum. Das eigene Leben als Roman? "Ideen gibt es viele“, meint die junge Frau mit dem Flakturm im Rücken. "Schließlich vergeht die Zeit ja wie im Flug.“

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