Wie Wien seine EU-Verantwortung scheut

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Durch den Brexit kommt Österreich in der zweiten Hälfte des Jahres 2018 zu seinem bisher dritten EU-Vorsitz. Warum diese Gelegenheit in zwei Jahren die allerletzte Chance für die österreichische Bundesregierung darstellen wird, sich positiv in der EU zu positionieren.

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Durch den Brexit kommt Österreich in der zweiten Hälfte des Jahres 2018 zu seinem bisher dritten EU-Vorsitz. Warum diese Gelegenheit in zwei Jahren die allerletzte Chance für die österreichische Bundesregierung darstellen wird, sich positiv in der EU zu positionieren.

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Da wurden die europapolitischen Strategen rund um den Minoritenplatz mitten im Sommer offensichtlich auf dem falschen (Ferien-)Fuß erwischt: Kurz bevor das offizielle EU-Brüssel seine Sommerferien beginnt, wurden noch schnell die Weichen für die kommenden EU-Ratspräsidentschaften neu gestellt.

Notwendig wurde dies, da das Vereinigte Königreich in der zweiten Jahreshälfte 2017 routinemäßig den Vorsitz übernommen hätte. Da es politisch jedoch undenkbar ist, als Vorsitzland mit sich selber quasi gleichzeitig die Austrittsmodalitäten für den Brexit zu verhandeln, musste rasch eine Entscheidung fallen. Einsamer Kämpfer -unterstützt von den österreichischen Gratis-Boulevard-Medien -dagegen: Der Ständige Vertreter Österreichs bei der EU. Bis zum Schluss wehrte er sich standhaft gegen das Unvermeidliche: ein simples Nachrücken aller Staaten auf der Vorsitzliste führt nämlich dazu, dass Österreich bereits am 1. 7. 2018 (und nicht erst am 1.1.2019) die Präsidentschaft in den EU-Ratsarbeitsgremien (einschließlich der EU-Ministerräte) übernimmt. Offiziell wurden mögliche Wahlen zum Nationalrat als Argument vorgeschoben. Viel eher zu befürchten ist, dass man im federführenden Außenministerium der irrigen Meinung war, die kommende EU-Ratspräsidentschaft wäre das Problem der nächsten Bundesregierung und daher könnte man das ganze wohl gemächlicher angehen. Hinter den Kulissen brach jedenfalls mitten im Sommer Hektik aus. Gerüchteweise hat man gar versucht, ein anderes EU-Land zum Einspringer für die Briten zu machen. Als Retter in der Not kam man dabei auf Ungarn. Man stelle sich vor: Um sich Arbeit zu ersparen, wollte man lieber Victor Orbán den Vortritt lassen.

Ein unpopulärer Bericht

Wobei: EU-Ratspräsidentschaften passieren nicht alle Tage. Für jeweils ein halbes Jahr übernimmt ein Mitgliedsland die Führung im Ministerrat. Bei aktuell 28 Mitgliedern dauert es also lang genug, bis man wieder an der Reihe ist. Österreich hatte bisher zweimal -1998 und 2006 -den Vorsitz. Natürlich bedeutet das nun beschlossene Vorrücken um ein halbes Jahr politisches Umdenken und sicherlich auch neue Schwerpunktsetzungen im österreichischen Präsidentschaftsprogramm. Aber warum eigentlich sollte Österreich das nicht auf die Reihe bekommen? Umso mehr als Österreich über einschlägige Vorkenntnisse aus seinen früheren Präsidentschaften verfügt. Ganz im Gegensatz zu allen EU-Ratspräsidentschaften von jetzt bis 2018: Weder das aktuelle Vorsitzland Slowakei, noch Malta (1.1.2017), Estland (1.7.2017) oder Bulgarien (1.1.2018) hatten bisher einen EU-Vorsitz.

Und dann gibt es da noch einen Rechnungshofbericht aus dem Jahr 2010, der sich mit der Performance der letzten EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2006 befasst. Ein Bericht, über den man nicht gerne spricht. Am Prüfstand stand dabei die Ständige Vertretung Österreichs bei der EU in Brüssel, also Österreichs Anlaufstelle bei der EU. Die Ergebnisse des Berichts sind wenig schmeichelhaft und lassen eine Menge Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des hauptsächlich mit der EU-Koordinierung beschäftigten Außenministeriums zu. Und besonders bemerkenswert: bis heute wurden keine Konsequenzen aus dem Bericht gezogen.

Der Rechnungshof sieht jedenfalls Handlungsbedarf in Brüssel und der Gesamtorganisation der österreichischen EU-Koordinierung: Er empfiehlt etwa Zuständigkeiten in Anlehnung an die existierende EU-Ratsformationen. Dies würde jedoch - insbesondere seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages Ende 2009 -eine existenzielle Bedrohung für die bis jetzt in diesem Bereich dominierenden Außenministeriumsmitarbeiter bedeuten.

Leerlauf im Außenministerium

Von den im Jahr 2006 während der letzten Präsidentschaft mit EU-Koordinierungsaufgaben befassten Personen in Österreich waren lediglich 23 im Außenministerium beheimatet. 122 stammen aus anderen Ministerien. Dazu kamen noch 19 weitere, die sich in den Bundesländern mit EU-Themen auseinandersetzten. Lediglich 14 Prozent aller mit EU-Koordinierungsaufgaben in Österreich befassten Personen stammen also aus dem Ministerium, dass "Europa" im Titel führt.

Noch ungünstiger wird die Angelegenheit, wenn man sich vor Augen führt, dass das BMEIA seine Hauptaufgabe in einer "Koordinierungsfunktion" sieht. Einer Tätigkeit, die vielfach darin besteht, in anderen Ministerien fachlichen Input einzufordern und diesen dann -in bewährter "Copy-and-Paste"-Methode - weiter zu schicken. Würde man thematische (sprich inhaltliche) Arbeit als Maßstab anlegen, so lag der Anteil an der inhaltlichen EU-Arbeit des Außenministeriums bei der letzten Präsidentschaft weit unter zehn Prozent.

Dem nicht genug, hat selbst der Rechnungshof in seinem Bericht geraten, das Außenministerium möge sich doch verstärkt Möglichkeiten und Bereiche suchen, in die es sich stärker einbringen kann. Denn das Ressort sei nur zu einem Bruchteil thematisch in EU-Belangen auch wirklich tangiert. Verschärft wird diese damalige Bewertung noch durch die Tatsache, dass zwischenzeitlich der Lissaboner EU-Vertrag in Kraft getreten ist. Damit entfallen viele Arbeiten im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik für das jeweilige Vorsitzland. Diese Funktionen werden seither vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und ihrer Chefin wahrgenommen. So hat diese etwa dauerhaft den Vorsitz im EU-Außenministerrat.

Chance Brexit

Die neue Regierung in London zielt offensichtlich darauf ab, dass die Austrittsverhandlungen tatsächlich nur zwei Jahre dauern und bereits Ende 2018 abgeschlossen sein könnten. Österreich käme dabei als Vorsitzland in dieser sensiblen Phase eine Schlüsselrolle zu. An diese einmalige Chance hat in Wien bisher nur niemand gedacht. Stattdessen hat man sich lieber mit Händen und Füßen gegen ein Vorrücken in der Vorsitzführung ausgesprochen. Der Einwand möglicher Nationalratswahlen scheint jedenfalls vorgeschoben. Sollten diese wirklich erst im Herbst 2018 stattfinden, hätte die Regierung zumindest noch einmal die Chance, sich geschlossen als erfolgreicher Macher auf der EU-Bühne zu präsentieren. Warum wehrt sich die Bundesregierung so gegen diese allerletzte Chance?

Der Autor ist Experte für Europarecht, lehrt an der Uni Salzburg und hat an den beiden bisherigen EU-Ratspräsidentschaften Österreichs mitgearbeitet

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