Weihnachten - © Foto: Pixabay

Weihnachten im Gefängnis: Wieder ein Jahr, ein Jahr von vielen ...

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Der Autor dieses Textes ist anonym. Er ist Gefangener in der Justizanstalt Garsten. Über sein Weihnachten in Isolation.

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Der Autor dieses Textes ist anonym. Er ist Gefangener in der Justizanstalt Garsten. Über sein Weihnachten in Isolation.

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Wieder geht ein Jahr zu Ende. Mit all den Feierlichkeiten und Festivitäten, die eben ein ausklingendes Jahr mit sich bringt, und die von Weihnachten bis Neujahr reichen. Ich weiß noch gut, was das alles in Freiheit mit sich bringen kann. Der Streß und die Hektik vor den Feiertagen mit dem Besorgen von Geschenken, noch wichtigen Erledigungen, dem peniblen Baumaufputzen und schließlich erschöpft aber glücklich der Heilige Abend mit der Familie, den geruhsamen Feiertagen und zum Abschluß des Jahres eine fröhliche Silvesternacht im Kreise von ebenso gutgelaunten Freunden.

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Doch wie anders ist es nun geworden. Hier hätte ich fern jeder Hektik jene Zeit zur Ruhe und Besinnlichkeit, die einen Advent prägen sollte, die den Blick auf das Wesentliche richten sollte. Jedoch mag jene Stimmung nicht und nicht in mir hochkommen, auch wenn die Medien noch so sehr auf mich einhämmern, daß nun die Weihnachtszeit, also Glück und Frieden über die Menschheit hereingebrochen sei oder es doch bald so sein würde.

Zugegeben, es ist in der Früh noch finster, wenn ich über den verschneiten Hof zu meiner Arbeitsstelle gehe und den Schnee unter meinen Schuhen knirschen höre. Heuer sind es sogar weiße Weihnachten gewesen. Ja, und? Es waren wieder Weihnachten, wie schon einige, die ich hier verbracht habe - fernab von der Familie und den wenigen, noch verbliebenen Freunden.

Ich habe schon lange begonnen, abzuschalten und sehe nur mehr die Realität vor mir: was sind diese Tage für mich, die draußen so festlich begangen werden? Ein Tagesablauf, wie er so ziemlich jedes Wochenende oder an den zunehmend häufiger werdenden Schließtagen - an denen nicht gearbeitet wird - stattfindet. Ein einstündiger Spaziergang in unserem Hof, so zeitig in der Früh, daß es draußen noch halb finster ist, stellt dabei den Gipfel an Geselligkeit dar. Die restlichen 23 Stunden des Tages habe ich in meiner Zelle verbracht. Eingeschlossen. Alleine. Das war der Hebung meiner ohnedies schon geringen weihnachtlichen Stimmung nicht gerade förderlich. Kurz habe ich daran gedacht, es mit Meditation zu versuchen, doch dann entschloß ich mich doch, den Fernseher einzuschalten, um mich bis zum Überdruß einer Sendung zum Einsammeln von Spenden hinzugeben. Nach dem 100. "Stille Nacht" und dem 500. "Fröhliche Weihnachten" schaltete ich um.

Nun es gibt ja Gott sei Dank verschiedene Möglichkeiten, sich alleine zu beschäftigen, sei es Weihnachten, Ostern oder ein gewöhnlicher Tag, an dem nicht gearbeitet wird. Dennoch mag ich all diese Tage, an denen ich von früh bis spät ohne jede Möglichkeit zur Kommunikation mit anderen eingesperrt bin, nicht. Nicht, daß es mich jetzt noch sonderlich bedrücken würde, nein, es ist schlicht und einfach lästig. Langsam ist auch der Weihnachtstag zu Ende gegangen und schließlich konnte auch ich es nicht lassen, doch ein Kerzerl anzuzünden. Der flackernde Schein verleiht Wärme und gibt einem das Gefühl von ein wenig Geborgenheit. Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen.

War es ein gutes Jahr?

Ich weiß, daß ich viel mehr habe als andere hier. Ich habe zu Weihnachten wieder Post und Geschenke erhalten, Besuch bekommen, und ich weiß, daß es da draußen noch immer Menschen gibt, die mich mögen und die an mich denken. Auch an diesen Tagen. Oder gerade an diesen Tagen. Aber was war das wieder für ein Jahr? War es ein gutes Jahr, war es ein schlechtes Jahr? Nein, es war kein schlechtes Jahr - aber war es deswegen schon ein gutes Jahr? Kann ein Jahr im Gefängnis überhaupt ein gutes Jahr sein? Ich mag mir gar nicht den Kopf darüber zerbrechen. Es war halt ein Jahr, ein Jahr von vielen.

Der Jahreswechsel hat in ein neues Jahrhundert, ja Jahrtausend hinübergeführt. Die Gesellschaft wußte nicht, wie gerade dieser Wechsel noch spektakulärer und noch ausgefallener einhergehen soll. An mir ist er spurlos vorübergegangen, ebenso wie der Heilige Abend. Mehr der Tradition wegen habe ich mir ein besonderes Abendessen zubereitet, mit Lebensmitteln, die ich beim hauseigenen Greißler erwerben konnte. Frohe Weihnachten und ein Gutes Neues Jahr habe ich mir gewünscht und mich danach zum Schlafen niedergelegt. Aber zur Weihnachtszeit ist ja schon oft ein kleines Wunder geschehen. Vielleicht wird dieses Jahr, dieses neue Jahrhundert doch noch ein gutes Jahr und Jahrhundert für mich werden. Wer weiß!

Der Autor ist Gefangener in der Justizanstalt Garsten. Er ist 53 Jahre alt und hat für einen Tötungsdelikt zwölf Jahre Haft bekommen. Wenn er möglicherweise mit etwa 55 Jahren bedingt entlassen wird, stehen ihm wahrscheinlich nur mehr die Möglichkeiten eines selbständigen Gewerbes offen.

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