Wieder Luft zum Atmen

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Luft als Gemeingut ist Thema im Österreich-Pavillon auf der EXPO in Mailand. Ein Gespräch mit dem Architekten Klaus K. Loenhart über Konzept und Vision.

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Luft als Gemeingut ist Thema im Österreich-Pavillon auf der EXPO in Mailand. Ein Gespräch mit dem Architekten Klaus K. Loenhart über Konzept und Vision.

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Am 1. Mai öffnet die Weltausstellung in Mailand ihre Pforten, mit dem Thema "Feeding the Planet, Energy for Life". Der österreichische Pavillon trägt den Titel "breathe" und beinhaltet ein 560 Quadratmeter großes künstliches Waldstück mit Vegetation, das mit seiner gesamten Blattoberfläche bzw. Verdunstungsoberfläche 62,5 kg frischen Sauerstoff pro Stunde erzeugt - den Bedarf für 1.800 Personen. Ein sinnlich erlebbares Zeichen im ehemaligen Industrieviertel im Nordwesten der Stadt. DIE FURCHE sprach mit dem Architekten Klaus K. Loenhart, der für Generalplanung und Konzeption des Projektes verantwortlich zeichnet.

DIE FURCHE: Was will Österreich mit diesem Projekt aussagen?

Klaus K. Loenhart: Es soll sicherlich eine Außendarstellung für das Land Österreich sein. Dafür wird eine Realität - und zwar die bildhafte - benutzt: Österreich ist grün, Österreich bemüht sich, man zeigt die großartigen Qualitäten im Tourismus und in der Landschaft.

DIE FURCHE: Wie kam es zu dem Thema BREATHE?

Loenhart: Luft ist etwas, das uns - im wörtlichen Sinn mit der Welt als Ganzes - verbindet. Luftverschmutzung hat einen atmosphärischen Abdruck, der uns weltumspannend angeht. Nur sind die Aussagen zu diesem Thema und den Begriffen sehr abstrakt. Wir wollten diesem abstrakten Verständnis eine persönliche Komponente geben und das ist das Atmen. Ich als Einzelner verbinde mich damit mit der Welt.

DIE FURCHE: Ist es der Sinn oder die Aufgabe der EXPO zu sagen, wir verbinden die Welt?

Loenhart: Wir stellen die Frage, ob die Repräsentationen der einzelnen Länder ein Bild von der Welt vermitteln. Das sind absolut editierte Bilder. Sie spiegeln nicht die jeweilige Realität wider. Es geht um die Vorstellung, den Mikrokosmos mit dem Makrokosmos zu verbinden, also das Ganze mit dem Ich. Diesen Gedankengang soll der Pavillon unterstützen. Und das funktioniert auch jetzt, vor der offiziellen Eröffnung, schon überraschend gut. Der Pavillon hat neben der reflexiven, intellektuellen Ebene eine ganz persönliche Erlebnisebene. Wir erlauben uns, das Thema Sinnlichkeit in der Architektur wieder einmal zu thematisieren, und zwar nicht in einer theoretischen oder ästhetischen, sondern in einer erlebbaren Art und Weise.

DIE FURCHE: Wie funktioniert das?

Loenhart: Über den massiven Einsatz von Pflanzenmaterial und das Aktivieren der von uns sogenannten 'Pflanzenperformanz'. Das ist etwas anderes als 'Performance'. Gemeint ist Performanz im Sinne der Leistungsfähigkeit eines Stückes Landschaft. Dieses ist zwar absolut künstlich, aber seine Wirkkraft hat eine natürliche Performanz.

DIE FURCHE: Also stellen Sie mit dem Begriff "breathe" einen globalen Weltzusammenhang, eine Weltdeutung, Weltsicht her?

Loenhart: Im April 2007 wurde der vierte Klimabericht veröffentlicht. Seit diesem Datum ist das Thema Klimaveränderung, Klimawandel auch auf den Titelseiten der Tageszeitungen angekommen. Seit diesem Zeitpunkt - sage ich immer provokativ - haben wir keine Natur mehr auf unserem Planeten, sondern nur noch Landschaft.

DIE FURCHE: Wie funktioniert nun der Pavillon, kann man sich das wie ein künstliches Biotop vorstellen?

Loenhart: Im Pavillon soll es ungefähr fünf bis sieben Grad kühler sein als in der Umgebung. Wenn man das in der Natur verortet, entspricht das einem kreisförmigen, drei Hektar großen Wald. Der ist in der Mitte um fünf bis sieben Grad kühler als am Rand. Diese Performanz des Waldes wollten wir in den Pavillon mit seinen 560 Quadratmetern bringen. Wir benutzen keine klassischen Klimaanlagen, sondern haben in dieser Miniaturlandschaft Ventilatoren, die mit feinen Düsen ausgestattet sind, aufgebaut. Diese Düsen versprühen kleinste Wassertröpfchen. Zusammen mit Bodennebeldüsen entsteht so eine gesättigte Atmosphäre, in der sich das Wasser auf den Blättern absetzt. Hier verdunstet es und über diese Evapo-Transpiration entsteht der Temperaturunterschied.

Auf den Dächern der umliegenden Pavillons stehen riesige Lüftungsgeräte. Oben steht dort also, was unten nicht sichtbar sein soll. Diese Architektur will unten ökologisch sein und oben stehen die Klimageräte. Das ist die Trennung zweier Realitäten, die eine lebe ich und die andere blende ich aus.

DIE FURCHE: Und das bedeutet?

Loenhart: Dass wir in unserem Verständnis von Landschaft mit natürlicher Performanz arbeiten und uns nicht Natur oder Landschaft wie einem heiligen Gral gegenüberstellen. Wir benützen diese natürliche Performanz und erhöhen sie über eine technische Ergänzung. Auf 560 Quadratmetern haben wir 43.200 Quadratmeter Blattfläche, die wir benutzen, um den Verdunstungskörper zu aktivieren und zu vergrößern.

DIE FURCHE: Die Interaktion mit den Besuchern wird also mehr auf der Gefühlsebene stattfinden?

Loenhart: Ja. Zuerst staunen sie, dann versuchen sie zu denken, zu verstehen, was mit ihnen gerade passiert. Es ist eine bemerkenswerte Auseinandersetzung mit dem doch architektonisch sehr einfach gehaltenen Raum. Wir wollten nur auf der Sinnesebene kommunizieren.

DIE FURCHE: Gibt es Möglichkeiten, solche Projekte konkret für Stadtplanung, für Architektur anzuwenden? Oder kommen wir da nicht mit dem Profitdenken in Konflikt - ein Wald bringt ja keinen unmittelbaren Gewinn? Man kann ja - im Gegensatz zu einem Bürohaus - keine Miete verlangen.

Loenhart: Unsere Gesellschaft ist darauf aufgebaut, alles verdinglichen zu können. Jede noch so wenig greifbare Qualität kann eine Verdinglichung erfahren und einen monetären Wert zugeordnet bekommen.

In unseren Städten werden wir bis 2020 einen Temperaturanstieg von bis zu zwei Grad erleben. Diese zwei Grad könnten wir mit 10 Prozent zusätzlichem Grün kompensieren. Wenn wir aber diesen Platz (im Sinne von ausgedehnten Parks) nicht haben, wäre es eine Möglichkeit, solche oder ähnliche Konzepte zu entwickeln.

DIE FURCHE: Wenn nach dem Ende der EXPO der Pavillon als einmaliges sinnliches Erlebnis abgebaut wird und verschwindet, war er dann nicht auch nur ein Feigenblatt von oder für Politik, Wirtschaft etc.?

Loenhart: Ja, das stimmt! Ich glaube und hoffe aber, dass durch das Erleben eines derartigen Projektes - und das werden viele Politiker - in Zukunft eine Änderung bei der Einstellung gegenüber Wissenschaft, Forschung und Realisierung eintreten wird. Mit diesem Projekt öffnet sich eine Tür, denn der Pavillon hat viele verschiedene Ebenen von Wahrheiten.

DIE FURCHE: Sie haben zuerst den Benefit für die österreichische Tourismusszene erwähnt. Da verliert ja die Aussage des Pavillons - dass Luft uns alle verbindet und ernährt - eigentlich ihre Bedeutung und ihren Wert?

Loenhart: Das ist aber unsere Realität. Man darf ja nicht so naiv sein, zu glauben, das eine wird das andere ersetzen, wir werden uns weiterhin in einer Wachstumsgesellschaft befinden. Die Botschaft ist: Verbindung von Technologie mit natürlicher Sphäre. Das Gegensatzpaar 'Natur oder Arbeitsplatz' hat ausgedient. In dem Bereich hybrider Gebäude, Natur - Architektur, kann eine Art Innovationslandschaft entstehen.

DIE FURCHE: Ist die EXPO überhaupt als Rahmen für eine derartig globale Kritik an unserer wachstumsobsessiven Gesellschaft geeignet?

Loenhart: Ja und nein! Nein, weil die einzelnen Länder natürlich darauf bedacht sind, sich im besten Licht darzustellen. Und ja, weil für 30 Millionen Besucher das Thema Nahrung und Ressourcen erlebbar gemacht wird. Eine eindeutige, klare Kritik in der Tiefe ist in diesem offiziellen Rahmen sicher nicht erreichbar.

DIE FURCHE: Vielleicht auch nicht erwünscht?

Loenhart: Natürlich nicht! Jeder Mensch wünscht sich zwar einen kritischen Umgang mit Natur und Ressourcen, schwierig wird es, wenn das eigene Handeln kritisierbar wird. Da braucht man schon als Institution, als Regierung sehr viel Reife um Selbstkritik zuzulassen. Der Natur wurde in der 'Moderne' Passivität zugeordnet, wir machen Natur gerade wieder aktiv! Und diese Performanz gewährleistet unseren globalen Metabolismus, sie erhält ihn aufrecht.

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