Wiedergeburt einer Metropole

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In Carnuntum gibt ein wiederaufgebautes römisches Stadtviertel ein realitätsnahes Zeugnis vom Leben in der Antike und der politischen und kulturellen Bedeutung der Stadt im vierten Jahrhundert nach Christus.

In den Villen der Oberschicht in der Zivilstadt jagt am 11. November 308 nach Christus ein Gelage das andere, bei den Händlern rollt der Rubel trotz des kühlen Herbstwetters noch mehr als sonst, auf dem Forum und den Straßen drängen sich Soldaten und Zivilisten – und es wird Weltgeschichte geschrieben. Denn an diesem Tag findet in Carnuntum unter der Leitung von Diokletian die Kaiserkonferenz statt, bei der das Römische Reich neu geordnet wurde. Eine neue Tetrarchie wurde etabliert: Galerius, der im April 311 mit dem Toleranzedikt von Nikomedia erstmals das Christentum duldete, wurde als Augustus zum Herrscher im Osten bestellt, Maximinius wurde Cäsar; im Westen regierten künftig Licinius als Augustus und Konstantin als Cäsar.

„Carnuntum war eine Metropole“, betont Markus Wachter, Geschäftsführer des Archäologischen Parks Carnuntum. Rund 50.000 Bewohner zählte die Zivilstadt, die sich auf rund zehn Quadratkilometern Fläche ausdehnte, in ihrer Blütezeit. Nicht nur Diokletian und die Tetrarchen waren in Carnuntum, das zum ersten Mal sechs nach Christus schriftlich erwähnt wurde, zu Gast: Zwischen 171 und 173 nach Christus hielt sich Kaiser Marc Aurel hier auf – ein Teil seiner „Selbstbetrachtungen“ entstand in Carnuntum. 193 wurde Septimius Severus, der oberpannonische Statthalter, in Carnuntum zum Kaiser ausgerufen. Und auch Kaiser Valentinian (364–375) hielt sich in Carnuntum, das damals schon von einem schweren Erdbeben nahezu zerstört worden war, auf.

Kompromisslose Liebe zum Detail

Jetzt erlebt die Stadt der Kaiser eine Wiedergeburt – im wahrsten Sinn des Wortes. In einem einzigartigen Projekt wurden das Stadthaus des Tuchhändlers Lucius sowie ein prunkvolles römisches Stadthaus, die villa urbana, bereits rekonstruiert, die Arbeiten an der Therme sind noch in Gange. „Das Besondere ist, dass ein ganzes Stadtviertel in antiker Bautechnik, Handarbeit und voller Funktionsfähigkeit wieder aufgebaut wird“, erzählt Wachter. „Wir wollen den Besuchern zeigen, was sie nicht sehen, sie an der Hand nehmen und in ein Thema einführen.“ Mit einer kompromisslosen Liebe zum Detail wurden die Gebäude an den Originalstandorten, teils sogar auf den Originalfundamenten, errichtet. Mörtel, Dachziegel, Fußböden, Möbel und vieles andere wurde entsprechend antiker Vorgaben hergestellt. So wurde beispielsweise bei den Holzteilen darauf geachtet, keine gesägten Balken zu verwenden – „nur dort, wo es aus Sicherheitsgründen notwendig war, haben wir ganz neue Balken genommen“, erläutert der Carnuntum-Chef, der mit diesem Projekt ein Zeitfenster ins vierte Jahrhundert öffnen will. „Wir haben sogar die Pflanzen für die Gärten rückgezüchtet und keine Hybriden ausgepflanzt.“ Alles, was sichtbar ist, sei archäologisch vertretbar – darauf achtet auch ein internationaler Fachbeirat.

Bereinigung der Vergangenheit

Wachters Ziel ist es, in einer weltweit einzigartigen Inszenierung dreidimensionale, mit allen Sinnen erlebbare Erlebnisräume zu schaffen. Und damit Carnuntum, wo nächstes Jahr die Niederösterreichische Landesausstellung über die Bühne geht, „sexy“ zu machen. „Wir lassen die Information bewusst draußen; die Besucher sollen vielmehr das Gefühl haben, durch die Stadt zu flanieren und ‚bei Römers‘ zu Besuch zu sein“, sagt Wachter.

Aber nicht nur das: Der Wiederaufbau dieser drei Gebäude hat auch konservatorische Zwecke – die in der Vergangenheit freigelegten antiken Mauern sollen vor Umwelteinflüssen und Zerfall geschützt werden. „Damit bereinigen wir ein bisschen die Sünden der Vergangenheit“, sagt Wachter. Damals sei drauf los gegraben worden, oft sei auch Beton zum Schutz der freigelegten Mauern zum Einsatz gekommen. „Aber unter dem Beton ist das alte Mauerwerk zerbröselt“, erzählt er. Jetzt müsse vor Beginn von Grabungsarbeiten klar sein, was danach mit der Fläche passiere. „Sonst wird nicht gegraben.“

Kein „Kasperltheater“

Für Wachter heißt das, sich in Zukunft möglicherweise noch vieles überlegen zu müssen: Zehn Hektar groß ist der Archäologische Park Carnuntum, der neben der Militär- auch die zivile Stadt umfasst. Die antike Stadt belegt eine Fläche von rund zehn Quadratkilometern. Bisher sind allerdings nur 0,5 Prozent davon ergraben. „Die Zivilstadt würde das reichste Betätigungsfeld bieten“, so Wachter. Sie ist erst vor einigen Jahren eindeutig mittels Bodenproben, Geoarchäologie und anderen Methoden lokalisiert worden.

In der Küche des Tuchhändlers Lucius duftet es nach Rauch. Zwiebeln, Knoblauch, Kraut und Sellerie liegen in Körben herum und scheinen nur auf die Köchin zu warten. Weniger die Köchin, sondern vielmehr ein Koch betätigt sich tatsächlich gelegentlich in der villa urbana – wenn Spitzenkoch Roland Lukesch römische Gaumenfreuden bereitet. Der Abend beginnt mit römischem Rosenwein als Aperitif, es folgt ein fünfgängiges Menü nach antiken Rezepten, die Apicius, ein Gourmet aus der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts nach Christus, gesammelt hat. Allerdings: Statt Flamingozungen, Kamelfersen oder frischen Hahnenkämmen speisen die Gäste unter anderem Wild und Fisch. Verzichten müssen sie dabei auch auf römische Gewänder: Denn Carnuntum soll – so Wachter – nicht zum „Kasperltheater“ werden.

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