"Wien braucht Feldherrn"

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Brigitte Fassbaender im Gespräch vor der Innsbrucker Premiere von Debussys Oper "Pelléas et Mélisande".

Am 28. April hat Claude Debussys Oper Pelléas et Mélisande Premiere; Brigitte Fassbaender inszeniert. Das Tiroler Landestheater befindet sich unter ihrer Intendanz im Höhenflug: 2006 wurden 180.000 Karten abgesetzt, zahlreiche Produktionen des keineswegs nur populären Spielplans sind ausverkauft, mit Auftragswerken, Uraufführungen und starker Jugendarbeit wird der Kulturauftrag aus Überzeugung erfüllt, viel Infrastruktur entsteht. Die FAZ rühmte die herausragende Mozart/daPonte-Trilogie, die Fachzeitschriften Deutsche Bühne und Opernwelt nominierten das Haus im Herbst 2006 für die Kategorien "Bestes Opernhaus" und "Beste künstlerische Gesamtleistung".

Die Furche: Was bewegt Sie, in Innsbruck "Pelléas et Mélisande" anzusetzen?

Brigitte Fassbaender: Es ist eines der bedeutendsten Stücke überhaupt, ein genialer Wurf. Debussy hat hier Wagner überwunden und zu voller eigenständiger Kraft gefunden. Aber man muss sich das Stück erschließen.

Die Furche: Was reizt Sie, dieses Stück selbst zu inszenieren?

Fassbaender: Weil ich von der Sensibilität des Stückes und der Menschen darin nicht genug kriegen kann. "Pelléas" gehört zu den großen Herausforderungen, und die reizen mich immer. Ich möchte diese symbolistische Geschichte so spannend erzählen wie möglich, doch es ist ein Stück der Übergänge, der Pausen, des Fließens, ohne Prototypen und Klischees.

Die Furche: Sie inszenierten u.a. auch "Frau ohne Schatten" und "Tristan und Isolde", Werke mystischen Inhalts. Ihre durchaus mehrschichtigen Inszenierungen versinken aber nicht im Zwielicht, und niemals gibt es Sentimentalität. Sie demontieren gerade in solchem Umfeld gern.

Fassbaender: Ich will hinter die Fassade schauen, andere Dimensionen erkunden, den Text ausdeuten. Das sind ja die Vorteile des Regietheaters. Es ist heute nicht verboten, auch Intellekt in die Oper einzubringen. Ich habe dabei keine Angst vor dem Unterhaltungswert, es geht nie ohne einen Funken Humor. Wir wissen nicht, wer Mélisande ist, doch sie hat durchaus praktische Bezüge. Sie ist auch Kindfrau, auch die Projektion der Männer.

Die Furche: Sie waren als Sängerin abhängig von Regisseuren. Entsteht da die Notwendigkeit, aus eigener Sicht Weltbilder zu korrigieren?

Fassbaender: Überhaupt nicht. Es ging mir darum, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen, nicht nur ein Rädchen im Getriebe zu sein. Ich habe die Führung durch die großen Regisseure gebraucht und geliebt. Jetzt liebe ich es selbst, mit Menschen verantwortlich zu arbeiten.

Die Furche: Hat sich Ihre Einstellung zum Theater mit den Jahren verändert? Was bedeutet es Ihnen heute?

Fassbaender: Ich bin bewusster, bin mir über die Verantwortung und Disziplin, die Theater erfordert, viel mehr im Klaren. Theater ist mein Leben. Wenn die aktive Zeit vorbei ist, mache ich vielleicht einen radikalen Schnitt. Musik wird mich aber immer begleiten.

Die Furche: Sie unterrichten schon sehr lange und erfolgreich. Was wollen Sie geben, was kommt zurück?

Fassbaender: Ich möchte erreichen, dass Singen müheloser und selbstverständlich wird. Körper und Seele und Atem müssen sich im freien Zusammenspiel entfalten. Es geht um Risikobereitschaft, darum, sich nicht an der Glätte und dem Perfektionstrieb von heute zu orientieren. Was zurückkommt, ist künstlerisches und menschliches Vertrauen, im Theater auch das Vertrauen des Ensembles in die Kollegin. Dadurch vermeide ich ein sängerisches Verschlampen.

Die Furche: Sie füttern die Szene mit Nachwuchssängern, vor allem die Wiener Staatsoper. Burkhard Fritz sprang dort kürzlich als Parsifal ein, Janina Baechle ist viel beschäftigt, ebenso Michelle Breedt, die auch in Bayreuth singt, usw. Ioan Holender kauft bei Ihnen ein?

Fassbaender: Nein, aber er hat Vertrauen in mein Urteil und hört sich die Leute an, die ich ihm empfehle. Besonders erfreulich ist, dass Sänger, die in Innsbruck singen, also aus dieser Schmiede kommen, beim Vorsingen auf besonderes Interesse stoßen. Zuletzt Aldo di Toro, der Tenor unserer "Norma".

Die Furche: Ihre Name wurde im Zuge der Holender-Nachfolge genannt. Sie reagierten geehrt, doch ablehnend. Welche Führung braucht die Staatsoper?

Fassbaender: Einen starken, strengen Diktator, um die Menge an Mitarbeitern zu bändigen. Außerdem muss man Platz machen für Jüngere. Die Staatsoper ist ein Aushängeschild Österreichs und ein Exportartikel, sie hat die Verpflichtung, die Sängerelite auftreten zu lassen, sie hat die Philharmoniker, die schwierig sind. - Wien braucht einen Feldherrn. Eine Intendanz besteht nicht nur aus Spielplanmachen. Ich bin glücklich mit meiner Arbeit am Tiroler Landestheater.

Die Furche: Ihr Vertrag in Tirol läuft bis 2010. Sie sind erfolgreich, das Haus hat über 80 Prozent Auslastung. Glauben Sie, denkt die Politik über 2010 hinaus?

Fassbaender: So lange meine Arbeit nicht als langweilig und stagnierend empfunden wird, werde ich zur Verfügung stehen, wenn man das will.

Die Furche: Was, denken Sie, begründet Ihren Erfolg in der Führung des Tiroler Landestheaters?

Fassbaender: Der farbige Spielplan mit Neuem und Ungewöhnlichem im Sandwichprinzip, die verantwortungsbewusste Ensemblepflege und meine starke persönliche Präsenz.

Die Furche: Sie haben im Spielplan und als Regisseurin eine eigene Handschrift entwickelt. Nehmen Sie dabei Rücksicht auf die Region und das Publikum? Gibt es überhaupt noch die Provinz?

Fassbaender: Meiner Meinung nach findet eine provinzielle Haltung nur im Kopf statt, im Denken, als intolerante Haltung. Unser Publikum kommt aus ganz Österreich, Deutschland, der Schweiz, Südtirol. Man liebt große Oper und zeigt Qualitätsbewusstsein. Ich denke, dass man das Publikum mit Liebe und Verständnis erziehen kann für neue Wege und Sichtweisen.

Die Furche: Was bedeuten so herausragende Nominierungen wie "Bestes Opernhaus" und "Beste künstlerische Gesamtleistung"?

Fassbaender: Die Nominierungen sind erfreulich, ziehen Kreise, auch bei der Politik, und dafür bin ich überaus dankbar.

Die Furche: Sie geben Meisterkurse, Sie malen, sind als vorzügliche Rezitatorin gefragt. Am 2. Mai treten Sie rezitierend in Wien im Gläsernen Saal auf, mit Michelle Breedt und Pianist Wolfram Rieger, auf dem Programm Schönbergs "Buch der hängende Gärten".

Fassbaender: Ich bin von einer unstillbaren Kreativität. Spieltrieb und Formwillen haben sich immer schon Bahn gebrochen, ich muss denken, arbeiten, etwas tun, auch mit meinen Händen. Musik drückt das Unnennbare aus, Rezitieren heißt, zu erkunden, was Sprache ohne Musik vermag, wie Sprachklang Emotionen auslöst, wie man durch Sprache verwandeln kann.

Das Gespräch führte Ursula Strohal

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