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Aus dem ehemalige "dietheater" wird ein neues Wiener Koproduktionshaus. Sein Name ist "brut".

In der kommenden Spielzeit können in Wien die ersten Auswirkungen der von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny vor gut drei Jahren initiierten Theaterreform beobachtet werden. Mit dem Wiener Schauspielhaus und dem neuen Koproduktionshaus nehmen Anfang November zwei wichtige Mittelbühnen in der Bundeshauptstadt unter neuer künstlerischer Leitung ihren Betrieb auf.

Während Andreas Beck mit dem Schauspielhaus dem Autorentheater das Schwergewicht auf österreichische Gegenwartsdramatik legt (siehe das Interview auf Seite 24), arbeitet das für vier Jahre bestellte neue Leitungsgespann des ehemaligen dietheater, Haiko Pfost und Thomas Frank, seit der Berufung im Dezember 2006 fieberhaft an der ersten Spielzeit für ein internationales Produktionshaus für interdisziplinäre darstellende Kunst.

Wie sich die beiden künstlerischen Leiter den Aufbau eines Koproduktionshauses vorstellen und was sie darunter verstehen, erläuterten sie im Furche-Gespräch.

"brut": brüten, Brut, brute …

Das dietheater wird künftig brut heißen. Der polysemantische Name entspricht nach Ansicht der beiden Theaterleiter sowohl der Situierung des neuen Hauses wie auch der gegenwärtigen Situation der freien Szene. Denn verwandt mit brüten bezeichnet Brut die Nachkommen, die Aufzucht, den Nachwuchs. Im Englischen bezeichnet der Begriff brute alles, was nicht ins etablierte System gehört. Die Assoziation mit der l'art brut als das Rohe, Herbe oder mit österreichisch Bruat für die Ausgestoßenen, die Rotte, die Marginalisierten, die Außenseiter sind ebenso beabsichtigt.

Das Schöne an dem neuen Namen liege, betont Thomas Frank, gerade in diesen Gegensätzen: auf der einen Seite das Edle, der trockene Champagner und auf der anderen Seite das eher Abstoßende, die Ausgeburt oder auch das Unfertige, etwas, was noch der Pflege, Hinwendung und Aufmerksamkeit bedarf. brut ist ein lokales Fundstück, das auch international sehr gut funktioniert.

Genau in dieser Spanne sieht das Leitungsduo auch seine Arbeit. Zunächst sei es wichtig, auch in Wien ein anderes, zeitgemäßeres Verständnis für das, was Off-Kultur heute ist, zu entwickeln. Die Vorstellung nämlich, dass freie Szene semiprofessionelles und einfach nur billiger gemachtes Theater bedeutet, ist falsch. Und andererseits steht gerade in Wien ein Brückenschlag zwischen der Hochkultur und der lokalen Off-Szene noch aus. Stärker als anderswo ist hier die Trennung in freie Szene und Hochkultur noch sehr groß und nach Einschätzung von Pfost gibt es kaum einen Austausch.

Hoch- und Off-Kultur

Auf internationaler Ebene ist es aber längst so, dass zwischen Hoch- und Off-Kultur kaum noch einen Unterschied gemacht werden kann und heute die wesentlichsten Impulse aus der freien Szene kommen. Dass Künstler wie Rimini Protokoll oder René Pollesch heute zum Repertoire des Burgtheaters gehören, ist erst einmal als eine Erfolgsgeschichte der Off-Szene und der dortigen freieren Produktionszusammenhänge zu werten. Deshalb braucht es diese Orte, wo künstlerisch geforscht werden kann, Orte wo etwas ausgetestet werden kann und soll, und nicht einfach unter schlechten Bedingungen das gleiche in klein gemacht wird.

So eine Institution wie es das brut in Wien werden soll, ist ein Teilchenbeschleuniger, ein Labor für künstlerische Versuche, die woanders kaum möglich sind, aber dort weiterverfolgt werden können. Es braucht heute ein anderes, freies Produzieren, jenseits von Repertoirebetrieb und Genregrenzen.

Dem Verständnis von Pfost und Frank nach ist ein Koproduktionshaus ein Haus, wo einzelne Künstler oder auch Kollektive mit konkreten Ideen und Projekten hinkommen, die dort auf professionellem Niveau realisiert werden. Ihr Konzept orientiert sich dabei an international erfolgreichen Häusern wie etwa der Gessnerallee in Zürich, den Sophiensälen in Berlin, Kampnagel Hamburg, dem Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt oder auch dem Kaaitheater Brüssel.

Konzepte der Künstler

Frank und Pfost planen in Wien jeweils von einer lokalen Produktion auszugehen und diese durch andere Arbeiten zu ergänzen. Programmatisch heißt das auch, dass die Themen, die Inhalte nicht von außen vorgeben werden. Ausgang soll immer das bilden, was Künstler beschäftigt und durch sie an brut herangetragen wird. Um eine Produktion, die sich konkret mit einem Thema auseinander setzt, kreieren und platzieren Pfost und Frank dann ein Programm, wobei es darum geht, Bezüge innerhalb des Programms herzustellen.

Ihre Arbeit verstehen die künstlerischen Leiter dabei als eine Arbeit an Kontexten. Dieses Nachdenken, wohin welche Arbeit gehört, wie sie in einem Programm präsentiert wird und in welchem programmatischen Kontext sie sich damit befindet, ist eng mit dem Entwickeln von neuen Formaten, anderen Präsentationsweisen verknüpft.

Arbeit an Kontexten

Die Kontextualisierung, die Platzierung einer Arbeit, einer künstlerischen Position im Gesamtprogramm ist wichtig, denn durch die Stiftung von Nachbarschaftsverhältnissen wird möglicherweise etwas sichtbar, wovon in einer einzelnen Position gar nicht explizit die Rede ist und die vielleicht gar nicht repräsentiert werden kann. Frank und Pfost sehen ihre Rolle als Kuratoren, als Dramaturgen und als künstlerische Leiter darin, den Dialog zwischen verschiedenen Teilnehmern und Positionen zu moderieren. Sie verstehen sich eher als Vermittler unter den Künstlern innerhalb des Programms und auch im Verhältnis zur Öffentlichkeit.

Um Produktionen, die vor Ort entstehen, zu unterstützen und mit Dingen von außen zu flankieren, braucht es Flexibilität, und die ist nur mit einem ausreichenden Budget möglich. Das brut kann aber im Prinzip keine Produktion alleine realisieren, die nicht schon Subventionsgelder bezieht. Daher ist es wichtig, dass die Gruppen bereits über Projektmittel verfügen. Denn das von der Stadt Wien zugesprochene Budget von insgesamt 1,5 Millionen Euro im Jahr reicht nicht aus, um eigenständige Projekte zu finanzieren.

Kein Geld für Projekte

Denn vom Budget sind zirka ein Drittel für künstlerische Ausgaben verfügbar - was ein vergleichsweise hoher Anteil ist, wenn man bedenkt, dass für Miete- und Betriebskosten allein der Immobilien im Künstlerhaus und im Konzerthaus schon 300.000 Euro aufgewendet werden müssen. Pfost und Frank legen Wert darauf festzuhalten, dass von einer Verdoppelung des Budgets, wie das der Wiener Kulturstadtrat in der Vergangenheit versprochen hat, genau genommen nicht die Rede sein.

Zwar sind die von der Stadt Wien zugesprochenen 1,5 Millionen eine Subventionsverdoppelung und damit mehr als dietheater vorher bezogen hatten. Zu der Grundsubvention von etwa 780.000 Euro durch die Stadt Wien hat dietheater früher aber noch Mittel aus der Einzelprojektförderung bekommen. Dazu kamen noch die Zuschüsse vom Bund, die in den letzten Jahren aber sukzessiv gesenkt wurden. Wie sich die Kulturpolitik des Bundes gegenüber brut verhalten wird, ist indessen noch offen.

Eröffnungsfest im November

Beim zweitägigen Eröffnungsfest am 9. und 10. November wird sich das brut mit seinem Namen beschäftigen. Dabei soll man sich keine einzelne Eröffnungsproduktion im klassischen Sinne erwarten. Vielmehr werden die Künstler der ersten Spielzeit in einer Art Open House, wo das Publikum frei herumgeht, dem Begriff in seiner vielfältigen Bedeutung künstlerisch nachfühlen.

Die Installationen, Filme, Ausstellungen, Performances, Konzerte, die Party sind als Teaser zu verstehen, die Appetit machen sollen auf mehr. Auf dass es dann heißt: "Wir gehen heute Abend ins Wiener brut."

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