Wiener Denkstil des radikalen Konstruktivismus

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Band XIV der Enzyklopädie des Wiener Wissens ist dem radikaeln Konstruktivismus gewidmet.| Das Buch wird diese Woche zum Auftakt des Heinz von Foerster-Congress 2011 präsentiert.

Der Heinz von Foerster-Congress 2011 "Self-Organization and Emergence“ beginnt diese Woche mit einem Vortrag von Siegfried J. Schmidt an der Universität Wien: "Das Ende der Wirklichkeit im Konstruktivismus?“ Zugleich wird das eben erschienene Buch "Radikaler Konstruktivismus aus Wien“ (s.u.) präsentiert. Herausgeber Hubert Christian Ehalt sprach mit den Autoren Albert Müller und Karl H. Müller.

H. C. Ehalt: Sie schreiben von einem Wiener Denkstil. Was ist darunter zu verstehen?

Die Autoren, Karl und Albert Müller: Dieser besondere Wiener Denkstil sollte zunächst nicht mit einer oder mehreren Eigenschaften verwechselt werden, die für einen Wiener oder eine Wienerin charakteristisch wären wie beispielsweise einen Hang zum endgültig Vorläufigen oder zum Alltagsgrant als Lebensform. Der Begriff des Denkstils - wie das Komplementärkonzept des Denkkollektivs - geht auf den polnischen Wissenschaftsforscher und Arzt Ludwik Fleck (1896-1961) zurück, der darunter Heuristiken sowie Formen des Erwerbs und des Einsatzes von Wissen verstand, die eine spezielle Wissenschaftsgruppierung - das Denkkollektiv - auszeichnen. Denkstile gibt es daher an einem Ort wie Wien zahlreiche - und der besondere Denkstil, um den es im Buch "Radikaler Konstruktivismus aus Wien“ geht, betrifft eine relativ schmale Wiener Tradition, die mit Ernst Mach (1838 -1916) ihren ersten Höhepunkt erreicht, die in der Zwischenkriegszeit eine weitere Blütephase im "Wiener Kreis“ erlebt - und die durch Heinz von Foerster eine späte Fortsetzung findet, obwohl Heinz von Foerster die meiste Zeit seiner akademischen Karriere in den Vereinigten Staaten zubringt.

Ehalt: Im Untertitel des Buches ist vom Ende dieses Denkstils zu lesen, was historisch einen radikalen Einbruch nahelegt?

Die Autoren: Dieser radikale Einbruch erfolgt in den Jahren zwischen 1934 und 1938, als die zentralen Vertreter des Wiener Kreises Österreich verlassen müssen, Moritz Schlick, der universitäre Hauptvertreter des Wiener Kreises, 1936 im Hauptgebäude der Universität Wien ermordet wird und nach 1945 keinerlei Anstrengungen unternommen wurden, diese besondere Denktradition wieder in Wien zu verankern.

Ehalt: Wie beurteilen Sie die Position Heinz von Foersters im Hinblick auf das Wirken von Watzlawick und Ernst von Glasersfeld?

Die Autoren: Alle drei Personen haben jeweils unabhängig voneinander eigenständige, aber - um Ludwig Wittgenstein zu zitieren - familienähnliche wissenschaftliche Perspektiven entwickelt. Persönlich lernten sie einander relativ spät kennen und schätzen. Ernst von Glasersfeld traf Heinz von Foerster in den 1960er Jahren und sie fanden auf der Ebene ihrer altösterreichischen Herkunft, ihrer starken Bindung an Ludwig Wittgenstein und ihrer Interessen am Phänomen Sprache zu einander. Paul Watzlawick, der als Villacher in seinen frühen Jahren kaum Verbindungen nach Wien etablierte, stieß mit Heinz von Foerster durch die Zufälligkeit ihrer Wohnnähe zusammen. Heinz von Foerster ließ sich 1976 in Pescadero südlich von San Francisco nieder - und Paul Watzlawick arbeitete am nahe gelegenen Mental Research Institute in Palo Alto. Paul Watzlawick gewann durch diese Kontakte einen vertieften kognitionstheoretischen Hintergrund und Heinz von Foerster wurde in die systemische Familien-therapie eingeführt.

Ehalt: Wieso haben Konstruktivismus und der Radikale Konstruktivismus ihre wesentlichen Wurzeln in der intellektuellen Kultur der Wiener Moderne?

Die Autoren: Hier kommt der besondere Wiener Denkstil ins Spiel, dessen Anfänge - wie der Kulturhistoriker William M. Johnston betont - bis zum deutschen Frühaufklärer Gottfried Wilhelm Leibniz zurückreichen. Dieser Denkstil - wie die Wiener Moderne - entwickelte sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als radikale Reaktion auf ein wenig durchlässiges aristokratisch-monarchistisches Herrschaftsgefüge und einen Ästhetizismus als Lebensform des schönen Scheins. Der Logische Empirismus wie der Radikale Konstruktivismus erscheinen vor diesem Hintergrund eher als zwei Seiten derselben Medaille, das scheinbare sichere Gefüge einer dominanten Wirklichkeit aufzubrechen: sprachkritisch im Logischen Empirismus, wissens- oder erkenntniskritisch bei Ernst Mach wie im späteren Radikalen Konstruktivismus. Heinz von Foerster wurde in diesen Wiener Denkstil sozialisiert - und Ernst von Glasersfeld bezog seine wichtigsten Referenzpunkte durch Vertreter dieses Denkstils, nämlich Ludwig Wittgenstein und Siegmund Freuds, speziell durch dessen Traumdeutung.

Ehalt: Muss sich Wien mit der Rolle des Geburtshelfers begnügen oder ist es ein Zentrum des Radikalen Konstruktivismus?

Die Autoren: In den letzten zehn Jahren haben die Wiener Beiträge zum Radikalen Konstruktivismus einen Aufschwung genommen. Wien hat die Transformation vom Geburtsort zu einer hoch aktiven Produktionsstätte geschafft. Alleine für die heurige Heinz von Foerster-Konferenz wurden sieben neue Bücher oder Zeitschriften hergestellt. Im Bereich von Wissenschaftsarchiven kam 2001 das Heinz von Foerster-Archiv nach Wien, im Jahre 2007 das Archiv von Gordon Pask (1928-1996), einem genial grenzgängerischen britischen Kybernetiker. Mit dem Richard Jung-Archiv, den Beständen der American Society of Cybernetics oder dem Ludwig von Bertalanffy-Archiv besitzt Wien derzeit den wahrscheinlich dichtesten und kompaktesten Bestand an wissenschaftlichen Dokumenten seitens der Pioniere der seinerzeitigen Kybernetik oder der Systemtheorie. Bei den Kongressen sticht Wien als Zentrum hervor. Und wir als Autoren sehen noch viel Potenzial im Radikalen Konstruktivismus.

Die Serie "Enzyklopädie des Wiener Wissens“ erscheint in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen

Kongress

Von 10. bis 13. November wird in Wien der Heinz von Foerster-Congress 2011 abgehalten. Er ist eine Kooperation der Foerster-Gesellschaft (Karl H. Müller, Präsident, l., und Albert Müller, Generalsekretär), der American Society for Cybernetics (ASC), des Zeitge-schichte-Institutes der Universität Wien u. a. (http://www.univie.ac.at/hvf11/congress).

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