Wiener Zaungäste der Weltpolitik

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Festvorstellung am 18. Juni 1814. Ort: Theater am Kärntnerthor. Anlass: Rückkehr des Kaisers Franz aus dem von der österreichisch-preußisch-russischen Allianz eroberten Paris nach der ersten Niederlage seines Schwiegersohnes Napoleon - auf den Tag genau ein Jahr vor dessen Desaster bei Waterloo.

Die populären Eipeldauer-Briefe berichteten in vollmundigem Patriotismus. Wien präsentierte sich "aufn neuchen Fürhang" als Panorama der "Gegend bei der Spinnerin am Kreutz" mit zentralem "Stephansthurm". Auf der Bühne Friedenstempel und -statue, zu der die Königreiche und Länder der Habsburgermonarchie pilgern: "Das war'n also lauter recht sauber anzog'ne Weibsbilder, die a jede die Krone auf'n Kopf, und 's Wappen von den Land in der Hand g'habt hab'n, dös vorg'stellt haben."

Allegorie als barocke Apotheose: Krieg, Hass und Zwietracht werden in Eisen geschlagen, die drei Grazien (Eipeldauer: "Grazerinnen"), Gerechtigkeit und Frieden triumphieren. "Hiertzt iß d'G'schichtsgöttinn ang'stochen kummen und hat die Austern (das haßt Oesterreich) ausgefragt, was s'alles g'litten und g'than hat um dass sie's verdient hat daß d'r Friedn bei ihr einloschirt hat."

Das Vielvölkerreich als folkloristische Kostümparade: "da kummen von allen Nazionen, über die unser gnädigster Herr regirt, überall a Paarl aufmarschirt -i hab's wieder g'zählt, es war'n just 50 Paarl, Hanack'n, Schlawacken, Zigeuner und sogar Eipeldauer und Kakraner drunter, aber am meisten hat's mi und alle braven Leut g'freut, daß w'r uns're gueten Tyroler und d'Vorarlberger wieder drunter g'sehen haben. Italiener und Walische hats a wieder d'runter g'geben nur gnue."

Die Regie zielte auf den anwesenden Kaiser, den "Volksabgott mit seiner allgeliebten Famili":"Herr Vetter, das hat no kein Aug g'sehen und kein Ohr g'hört was 's Publicum an den Tag mit sein'n Munarchen triebn hat - was Munarchen! - wir warn alle bei unseren Vadern in Haus, und er ist da g'sessn als wann er in sein'n großen Kindszimmer sitzet, alles hat g'weint, und er selber mit." Das Schönste kommt zuletzt, "daß in Wien, Gott sey Lob und Danck entli a Friedenskungreß soll g'hald'n wer'n, wo alle großen und klein'n Potentaten dabei erscheinen sollen."

In künstlicher Mundart

Die "Briefe eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d'Wienstadt" gab es schon seit 1785, herausgegeben von dem josephinischen Aufklärer Josef Richter (1749-1813). In künstlicher Mundart, wie sie auch der aus Florenz gebürtige gute Kaiser Franz pflegte, vollzogen die Briefe die Wende vom Reform-zum Polizeistaat und sollten die zensurierte öffentliche Meinung lenken.

Im Triumph über Napoleon hatte der Eipeldauer weiterhin kein Blatt, sondern Schaum vor dem Mund: "Wanzenpanadlkoch von Sanckt Helenn", als Erbe der "schundigen Schuester- und Schneider-Republick in Frankreich", "Lumpeng'sindel", "Ragouvolck" und "Mistbagaschi". Man müsse "pfui deutsch! - ausspucken vor einer solch'n in Grund und Bodn verdorbnen Raza".

Das schaulustige Publikum stand zwischen provinzieller Peripherie (Eipeldau = Leopoldau) und Metropole, das "Volk" war zu Hause in den "entern Gründ" der Vorstadt und Vororte. Nicht Staatsbürger, sondern Untertanen waren angesprochen. Der Herold hieß Adolf Bäuerle (1786-1859). Sein Vater war ein aus Schwaben zugezogener "Fabrikant"; den aufgeweckten Sohn füllte ein Beamtenpöstchen -"Bankal-Administrations-Zentral-Examinators-Practicant" - nicht aus. Der 18-Jährige übernahm 1804 die Redaktion der Monatschrift für Theaterfreunde; seit 1806 erschien die Allgemeine Theater-Zeitung, bald reichlich illustriert, täglich.

Der strenge Germanist Goedeke belegte dies meistgelesene Blatt Österreichs mit den Epitheta drollig, jocos, jovial, hausbacken, mutterwitzig, kaustisch, derb, grotesk, komisch. Charles Sealsfield alias Karl Postl rügte in seiner grimmigen Streitschrift "Austria as it is"(1827) Bäuerle als Fortsetzer des Kasperle-Theaters. Das Österreichische Biographische Lexikon wertet die Theater-Zeitung ungnädig als "Klatsch-und Unterhaltungsblatt ohne politische Richtung und ohne ernsthafte Kritik" ab.

All dies trifft für den vielseitigen Theatermann zu, der mit Josef Alois Gleich und Karl Meisl zu den ,Großen Drei' des Wiener Volkstheaters in der Tradition Schikaneders zählt. Bäuerle ist mit seinen etwa 80 Zauberpossen und Volksstücken der Begründer des Biedermeier-Theaters. Sein Durchbruch war der Parapluiemacher Staberl, den der geniale Komiker Ignaz Schuster, ursprünglich k.k. Hofopernsänger, verkörperte. Die Figur betrat in dem Stück "Die Bürger in Wien" die Bühne der Leopoldstadt, am 23. Oktober 1813, da just die Nachricht von der Völkerschlacht eintraf; während des Wiener Kongresses wurde die "Lokalposse" hundertmal gegeben. Das Stück resümiert die militärischen Aufgebote seit 1797 und 1809 bis zu den Befreiungskriegen. Der "Schwank" wurde 1814 zu "Staberls Hochzeit oder der Courier" (von Leipzig) umgeformt, unzählige Staberliaden folgten.

Staberl und seine Mit(klein)bürger, voran die Vaterfigur des bürgerlichen Bindermeisters Josef Redlich, bewähren sich im Dienst des Vaterlandes und machen die Ränke des ausländischen Negozianten Müller zunichte. Im gemütlichen Philistertum des gefräßigen und trinkfesten Staberl mit seiner stehenden Redewendung "wenn ich nur was davon hätt'" erkannte sich das Publikum.

"Ich kann alles, weiß alles, versteh' alles, begreif alles, beurtheil' alles" meint der Bruder des Eipeldauer. Und: "Ich bin ein kleiner Mensch, ein guter Mensch, wenn ich aber anfang, so bin ich ein Vieh."

Die lustige Figur hatte ihre Nachfolger: Richard Nimmerrichter (Jg. 1920,1964-2001, letztes Comeback 2011), meinungsbildender Kolumnist der Kronen-Zeitung, wählte das Pseudonym, und Merz/Qualtingers "Herr Karl" kannte die Seele des ,kleinen Mannes' nur allzu gut. Elfriede Jelineks Stück "Stecken, Stab und Stangl"(1996) spielt auf die Manipulation von Fremdenverkehr und Fremdenhass an.

Kulturgeschichte des Biedermeier

"Die falsche Primadonna" (1818) zielte auf den Starkult um die Sängerin Catalani. Die Parodie des Kulturbetriebes stand in der Nachfolge Kotzebues ("Die deutschen Kleinstädter" 1803 -der Schauplatz Krähwinkel führt zu Nestroys 1848-Satire!). Köstlich die "Gestalt des Runkelrüben-Kommissionsassessors Sperling, Dichter und Direktor des gelehrten Klubs auf dem Kaffeehaus zu Krähwinkel". Bäuerles Bühnenprodukte umspannen die Kultur-und Sozialgeschichte des Wiener Biedermeier; der Regierungszeit des Kaisers Franz widmete er ein Huldigungsbuch. "Der Untergang der Welt" mag als Vorahnung gelten, jedenfalls als Vorläufer des "Lumpazivagabundus".

Die Revolution 1848 schritt über Bäuerle, den "conservativsten der Conservativen" (Wurzbach) hinweg. In Romanen über Therese Krones, Ferdinand Raimund, Direktor Carl arbeitete er die Vergangenheit auf. Seine Autobiografie geriet nicht über den ersten Band hinaus. Der von Gläubigern verfolgte Bonvivant starb einsam in Basel, "halb verhungert, halb am gebrochenen Herzen".

Der Refrain aus dem Volks-und Zauberstück "Aline oder Wien in einem anderen Welttheile" (1822) wurde zum geflügelten Wort: "Das muß ja prächtig sein, dort möcht' ich hin! / Ja nur ein' Kaiserstadt, ja nur ein Wien!" Ebenso Zillis Jodelarie im selben Stück: "Noch einmal die schöne Gegend / Meiner Heimat möcht' ich sehn ( ) Jaheiha, ja ih he! Östreich Vivat und Juhe!"

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