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Über das Leben im Zeitalter des Schreckens.

Der spontane Applaus zeugte wohl von Erleichterung, als Bundespräsident Heinz Fischer bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele postulierte, wir dürften uns unsere "Werte nicht wegbomben" lassen. Genau das wollen wir hören, darauf richtet sich die anspruchsvolle Hoffnung: dass es gelingen möge, angesichts der immer unheimlicher werdenden Bedrohung durch die Krake Terror an den Prinzipien demokratisch-rechtsstaatlich verfasster, liberaler Gesellschaften festzuhalten.

Im Grunde beschreiben die Worte Fischers freilich ein fundamentales Dilemma: Die Errungenschaft dieser Werte, hinter die wir aus guten Gründen nicht zurück wollen, machen zugleich unsere Stärke wie unsere Schwäche aus. Die Schwäche liegt nicht nur darin, dass sie von Fundamentalisten jedweder Provenienz für eine solche gehalten werden, sondern ist strukturell bedingt: Es sind eben diese Werte, die uns - von den praktischen, logistischen Problemen einmal abgesehen - eine angemessene Antwort auf die bestehende Herausforderung so schwer machen. Die Bekämpfung des Terrors ist latent in Gefahr, das zu unterhöhlen, was verteidigt werden soll. Gerade die ideell durch Christentum, Humanismus und Aufklärung geformten und reell durch die Katastrophen insbesondere des 20. Jahrhunderts geläuterten Europäer haben hier große Probleme. Patentrezepte gibt es nicht, es kann immer nur um eine Güterabwägung zwischen Freiheit und Sicherheit gehen. Strategisch, man könnte auch sagen: zynisch gesehen haben die einen Vorteil, die von derlei Überlegungen nicht angekränkelt sind. Genau deswegen stehen all die Appelle der letzten Tage wie "der liberale Rechtsstaat muss sich wehren", so richtig sie einerseits sind, andererseits doch auch unter einem immanenten Vorbehalt.

Wie konkret diese abstrakt anmutenden Überlegungen sind, hat zuletzt am drastischsten die durch die Todesschüsse auf einen Unschuldigen ausgelöste Diskussion über die "Shoot to kill"-Strategie von Scotland Yard gezeigt. Niemand sollte vorschnell über Polizisten in für Normalbürger wohl unvorstellbaren Stresssituationen urteilen. Man stelle sich nur vor, ein tatsächlicher Terrorist wäre von der Polizei an der Zündung seiner Sprengladung nicht rechtzeitig gehindert worden. Und doch ist die präventive Lizenz zur Exekution auf Verdacht erschreckend; sie zeigt, dass sich etwas im Koordinatensystem unserer Gemeinwesen verschoben hat, dass deren Grundgefüge ins Rutschen gekommen ist. Und es wäre naiv anzunehmen, dies könnte ohne langfristige Folgen bleiben.

"Wir, die Barbaren - Nachrichten aus der Zivilisation" hat Salzburgs Schauspielchef Martin KuÇsej sein diesjähriges Programm überschrieben. Die als provozierende Zeitdiagnose gedachte Formel dringt vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Weltlage schmerzhaft scharf in unser Bewusstsein. Was man unter anderen, besseren Umständen als markante These durchaus mit Erkenntnisgewinn diskutieren hätte können, brennt uns nun unter den Nägeln. Die vielen Erschütterungen zum Trotz letztlich doch für sicher und eindeutig markierbar gehaltene Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei droht zusehends zu verschwimmen. Die Zivilisation greift in ihrer Verteidigung gegen die Barbarei immer bereitwilliger auf deren Arsenal zurück.

Vielleicht aber wächst mit der Not das Rettende auch. Täuscht der Eindruck, dass parallel zu den beschriebenen Entwicklungen auch eine verstärkte Sensibilität der Zivilgesellschaft für ihre akute Bedrohtheit zu verzeichnen ist? Gehört - apropos KuÇsej - nicht auch hier her, dass heuer von den Festspielen wieder verstärkt geistig-existenzielle Impulse jenseits von Glamour und Jetset erwartet werden - was ja auch (unter ganz anderen Vorzeichen) der Gründungsidee von Salzburg entspricht und (wiederum anders) auch in den Jahren nach dem Krieg zum Tragen kam?

Gewiss, das sind recht vage Hoffnungen. Aber Besseres haben wir derzeit nicht. Die "Werte nicht wegbomben lassen": Wir erleben Tag für Tag, wie das den Terroristen allen Bekenntnissen der Politik zum Trotz gelingt - und haben dennoch, Camus' Sisyphus gleich, gar keine andere Wahl, als an diesem Postulat festzuhalten.

rudolf.mitloehner@furche.at

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