"Wir denken die Zeit des I. Weltkriegs in Schwarzweiß"

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Regisseur François Ozon über seinen Film "Frantz", einen Suspense-Thriller aus dem Ersten Weltkrieg.

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Regisseur François Ozon über seinen Film "Frantz", einen Suspense-Thriller aus dem Ersten Weltkrieg.

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François Ozon bedient sich der Suspense-Methoden von Hitchcock, erzählt in seinem neuen Film "Frantz" allerdings keinen Thriller, sondern ein Drama rund um einen im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten: Die Verlobte von Frantz, Anna (Paula Beer) besucht dessen Grab jeden Tag, und als eines Tages ein junger Franzose namens Adrien (Pierre Niney) ebendort auftaucht, beginnt diese Geschichte: Adrien erzählt Anna und ihren Eltern von seiner intensiven Freundschaft zu Frantz, die er vor dem Krieg in Paris hegte -und lässt damit deren Erinnerung an ihn lebendig werden. Doch bald schon mischen sich seltsame Untertöne in die Erzählungen, denn Adrien verbirgt noch ein Geheimnis, dessen Auflösung Regisseur Ozon nicht zu verraten ersucht -dank des stimmig inszenierten, überwiegend in gediegenem Schwarzweiß gefilmten Dramas kommt man diesem Wunsch gerne nach. Schon länger hat Ozon nicht so feinfühlig und emotional inszeniert.

Die Furche: "Frantz" klaut bei Hitchcock, ist aber auch eine sensibel erzählte Geschichte vom Umgang mit Schuld und Emotion.

François Ozon: Mich faszinierte der Umgang mit einem Perspektivenwechsel. Ich wollte als Franzose einmal die andere Sicht schildern: Es war mir überaus wichtig, diese Geschichte vom Standpunkt der Deutschen aus zu erzählen, der Verlierer, die durch den Friedensvertrag von Versailles gedemütigt wurden. Ich wollte auch erzählen, wie in Deutschland damals der Nationalsozialismus entstand. Was mich an Hitchcock interessiert hat, ist, wie er mit der Erwartungshaltung des Publikums gespielt hat. Denn darum geht es ja beim Regieführen: Um Manipulation. Um die Lenkung von Aufmerksamkeit. Was ich bei "Frantz" versucht habe, ist, falsche Fährten zu legen und dann die Wahrheit durch die Lügen enttarnen zu lassen.

Die Furche: Wieso Schwarzweiß?

Ozon: Zunächst wollten wir den Film in Farbe drehen, denn die Welt damals war ja nicht schwarzweiß, sondern genauso bunt wie heute, auch, wenn wir uns das aufgrund der Aufzeichnungen nur schwer vorstellen können. Schwarzweiß ist das Bild, das wir aus der Zeit des Ersten Weltkriegs kennen. Wir haben heute kaum farbige Darstellungen des Ersten Weltkrieges. Das hat die Ästhetik dieses Geschehens geprägt. Deshalb drehten wir ohne Farbe, das macht den Film loyaler gegenüber dem Publikum, das diese Zeit nur so kennt. "Frantz" ist auch ein Film über Trauer, und dafür eignet sich Schwarzweiß besser als Farbe. Es geht mir nicht zu sehr um Realität, sondern um eine Idee von Realität, die wir alle haben, wenn wir an die Vergangenheit denken. Wir denken diese Zeit in Schwarzweiß.

Die Furche: "Frantz" ist auch ein Film über die Gegenwart, weil darin die Wurzeln von vielem zu sehen sind, was heute beschäftigt. Dasselbe hat auch Michael Haneke gesagt, als er in "Das weiße Band" die Stimmung vor dem I. Weltkrieg einfing.

Ozon: Natürlich gibt es Parallelen bei der Idee, aber die waren mir nicht bewusst, weil ich von Beginn an nicht daran dachte, mit dem Film auch über unsere heutige Zeit zu sprechen. Das war zunächst keine Absicht. Ich wollte dagegen sehr realistisch und wahrhaftig von dieser damaligen Zeit erzählen. Was mir aber half, war der Umstand, dass meine Produzenten mich in Schwarzweiß drehen ließen, weil sie anhand von Hanekes Film sahen, dass es auch andere Schwarzweiß-Filme gab, die erfolgreich liefen. Was mich an "Das weiße Band" faszinierte, war die Akribie, mit der Haneke das Milieu und die Umstände der damaligen Zeit mit einer akkuraten Abbildung völlig wahrhaftig in den Film brachte. Ich habe die Crew vor dem Dreh beauftragt, drei Filme als Inspiration zu sehen:"Das weiße Band","Tess" von Polanski und "Barry Lyndon" von Kubrik. All diese Filme geben sich besonders viel Mühe mit der Rekonstruktion einer Epoche.

Die Furche: Wie zeitgenössisch ist der Film für Sie eigentlich?

Ozon: Als ich die Idee den Produzenten vorschlug, stöhnten die: Oh Gott, nicht noch ein Film über den Ersten Weltkrieg! Aber dieser Film ist auch ein indirekter Weg, über unsere heutige Gesellschaft zu sprechen. Denn damals wie heute kam es zu einem Aufwind für Nationalismen und aggressive Politik, es gab Angst und neue nationale Grenzen, hinter denen man sich verstecken und abschotten wollte. Ich konnte so etwas wie den "Brexit" beim Dreh des Films ja nicht vorhersehen, aber das erinnert uns schon sehr an die Abschottungsbestrebungen der damaligen Zeit.

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