"Wir haben ihn halt sehr verehrt"

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Am 12. Februar 1989 starb Thomas Bernhard. Wie sich "Thomas Bernhards Adabeis", so Egyd Gstättner, an den großen Schriftsteller erinnern.

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Am 12. Februar 1989 starb Thomas Bernhard. Wie sich "Thomas Bernhards Adabeis", so Egyd Gstättner, an den großen Schriftsteller erinnern.

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Folge 1 Prof. Rudolf Brändle, Kapellmeister: Als ich T. B. kennenlernte, war er erst achtzehn, während ich schon siebenundzwanzig war, das ist ein großer Unterschied. Er war damals ein magerer Kaufmannslehrling, aber das schlanke Bürscherl hatte eine profunde Baßstimme. Am liebsten ging er in die Dorfkirche von St. Veit und sang Sarastroarien. Seine Stimme war zwar naturbelassen, aber von klarer Diktion. Er wollte damals allen Ernstes Sänger werden, ich wollte damals allen Ernstes Kapellmeister werden.

Morgen: Ingrid Bühlau Folge 2 Ingrid Bühlau, Mozarteumkollegin: In seiner Jugend hatte T. B. eine innere Schüchternheit, die er zeitlebens nicht abgelegt hat. Wir haben in Hamburg zusammen schwermütige, kraftvolle Lieder im Bauernmilieu gespielt mit stetig wachsender Besessenheit. Dann hat uns meine Mutter zum Essen geholt. Als T. B. immer berühmter wurde, habe ich ihn in Ohlsdorf besucht, und wir haben wunderschöne Reisen gemacht. Aber da war die Jugend schon vorbei.

Morgen: Ulrike und Gabriel O'Donnel Folge 3 Ulrike O'Donnel (lebt mit ihrem Mann Gabriel in Hochkreuth): Bei uns hat T. B. die Extremsituation kennengelernt, die ist, wenn man auf dem Berg ist. Wenn mehr Leute waren, war er eher scheu. Wenn eine kleinere Gruppe war, ist er aus sich herausgegangen. Das ist interessant gewesen. Wen er aufs Korn genommen hat, der ist ganz schön drangekommen. Das war eine Extremsituation, ganz schön eine. Aber man hat ihn ja gekannt, wie er war.

Gabriel O'Donnel: Ja, hähä, schon.

Morgen: Lieselotte Üxküll Folge 4 Lieselotte Üxküll, Brüsseler Quartiergeberin: T. B. hat aus dem Stand heraus erzählen können. Einmal hat er ein Buch gelesen, und da haben wir ihn gebeten, daraus vorzulesen. Er hat daraus vorgelesen, und nach ein paar Minuten haben wir bemerkt, daß er gar nicht aus dem Buch vorgelesen, sondern einfach irgend etwas dahererzählt hat, aber ganz flüssig. Da haben wir gewußt, es ist ein Wunder geschehen.

Ein kurzes Zwischenspiel: T. B.: Von Küste zu Küste - Wenn man das wüßte!

(Krista Fleischmann in stillem Gebet versunken) Morgen: Gerda Maleta Folge 5 Gerda Maleta (schreibt ein Buch über T. B.): Alle meine Freunde umarmen mich, ich umarme alle meine Freunde, außer T. B., weil T. B. nicht immer in der Stimmung war, umarmt zu werden. Wenn T. B. etwas geschrieben hat, hat er immer ein böses Gesicht gemacht, das hat geheißen: Sprich mich nicht an. Da habe ich ihn nicht angesprochen.

Bevor T. B. angefangen hat, etwas zu schreiben, ist er immer zu einem kleinen Friseur gegangen - er mochte keine großen Friseure - und hat sich fast kahl schneiden lassen mit der Begründung, daß er sich jetzt vollkommen in seinen Denkkerker zurückzieht und absolut niemanden sehen will, auch mich nicht. Stell Dir vor, ich müßte mir während des Schreibens plötzlich die Haare schneiden lassen, sagte er einmal, nicht auszudenken. Dann hat er sich eine Woche, zwei Wochen wie ein Igel eingeigelt und geschrieben. Nach zwei Wochen ist T. B. wieder aus seinem Denkkerker herausgekommen, hat ganz lange Haare gehabt, aber er war völlig entigelt, ich habe ihn umarmt, und er hat gesagt: Siehst Du, wie gut, daß ich beim Friseur gewesen bin!

Morgen: Gerda Maleta, Teil 2 Folge 6 Gerda Maleta (schreibt ein Buch über Thomas Bernhard): Ein Schriftsteller schöpft immer aus seiner Umgebung (siehe dazu auch: Gerda Maleta schreibt ein Buch über Thomas Bernhard. Anm. d. Autors), woher denn sonst! Die "Jagdgesellschaft" spielt fast hier - nur mit anderen Auswirkungen. Wir haben keine Borkenkäfer. Das muß der Phantasie freigelassen sein! Also noch einmal: Wir haben wirklich keine Borkenkäfer hier, ich hab noch keinen gesehen, auch nicht auswirkungsweise. Anderenfalls hätte T. B. die gastfreundliche Atmosphäre im Hause Maleta auch nicht so geschätzt. Aber ein Schriftsteller muß aus seinem Material machen dürfen, was er will (Siehe dazu auch: Gerda Maleta schreibt ein Buch über Thomas Bernhard) Morgen: Anna Brandl und Alfred Morth Folge 7 Alfred Morth, Wirt: T. B. ist so dagesessen und hat sich die Leute angeschaut, die Gegend angeschaut, alles angeschaut. Fünfmal hat er sich umgedreht, bevor er hinausgegangen ist, manchmal sechsmal. Er hat alles irgendwo registriert, im Kopf. Er hat immer zu denen gezählt, die, was sie registrieren, im Kopf registrieren.

Anna Brandl, Wirtin: Er war ein ganz bescheidener Mensch, alles hat er gegessen, was grad da war, und wir haben ihn halt sehr verehrt. Eine Woche vor seinem Tod hat er noch einen Surbraten gegessen, mit einem Knödel dazu, und dann hat er zur Mizzi, der Kellnerin gesagt: Mei, war der wieder gut.

Alfred Morth, Wirt: T. B. hat den Todessurbraten registriert, im Kopf.

Morgen: Familie Altenburg Folge 8 Bei der Familie Altenburg (direkte Nachkommen Kaiser Franz Josephs) lernte T. B. die Probleme einer kinderreichen Familie kennen. Neugierig verfolgte er Schwangerschaften und Geburten. Bei jeder Schwangerschaft fragte er sich, was wohl daraus würde. Jedesmal ist ein Kind daraus geworden. Bei jeder Geburt fragte er sich, was wohl daraus würde. Es ist jedesmal ein Wachstum daraus geworden. Christa Altenburg: Er hat bei uns die Familie gesehen. Das Wachsen der Familie hat ihn schon beeindruckt.

Zweites kleines Zwischenspiel T. B.: Der Lux und sein Luxus Der Mauerlux und sein Mauerluxus (Krista Fleischmann in stillem Gebet versunken) Morgen: Ein holländischer Fernsehfilmer Folge 9 Ein holländischer Fernsehfilmer (schleicht seit Tagen um den Vierkanthof herum): Herr Bernhard, haben Sie sich jetzt für das Leben entschieden?

B.: Weiß ich nicht Holländer: Schreiben Sie jetzt ein neues Stück B.: Vielleicht Holländer: Warum leben Sie so zurückgezogen B.: Ich leb' gar nicht zurückgezogen Holländer: Das Problem ist, daß ich überhaupt keine Fragen habe.

B.: Die Schwierigkeit ist, daß ich überhaupt keine Antworten habe.

Morgen: Krista Fleischmann faßt zusammen Folge 10 Krista Fleischmann (dreht Filme über Thomas Bernhard sowie sämtliche Hinterbliebene mit Ausnahme des Fischkutters in Rotterdam, die sich interviewen lassen, und baut damit ein Wochenendhaus in Niederösterreich) faßt zusammen: 1) Der unveröffentlichte literarische Nachlaß bezeugt T. B.'s Formenwillen (Aha-Erlebnis eins) 2) T. B. sagt: Wichtig ist nicht, was ich schreibe, sondern wie ich es schreibe (= nicht der Inhalt ist das Entscheidende, sondern die Form!) (Aha-Erlebnis zwei, gleichzeitig Nona-Erlebnis 29) 3) T. B. sagt, alles, was ich zu sagen habe, steht in meinen Büchern. Aber das wollen wir noch sehen.

Morgen: Auf vielfachen Wunsch wiederholen wir die Folgen Gerda Maleta und Gerda Maleta Teil 2. (Gerda Maleta hat ein Buch über Thomas Bernhard geschrieben. Es heißt "Wie ich Thomas Bernhard umarmt habe")

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