"Wir leben in einem Irrenhaus"

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Er sucht die "Inseln der Vernunft im Cyberstrom" - und wird nur selten fündig: joseph weizenbaum, Schöpfer des Com-puterprogrammes "Eliza" und seither schärfster Kritiker der "programmierten Gesellschaft". Ein Gespräch über die Perlen im "Misthaufen" Internet und fehlende Zivilcourage.

Die Furche: Herr Professor Weizenbaum, gerade wird ein Film über Ihr Leben mit dem Titel "Weizenbaum. Rebel at Work" produziert. Wogegen rebellieren Sie?

Joseph Weizenbaum: Das ist eine gute Frage, auf die es mehrere kurze Antworten gibt: gegen den Zeitgeist, gegen die Mechanisierung unseres Denkens, gegen den Triumph der Rationalität. Es ist ja eine Illusion, dass jeder Aspekt der Realität berechenbar ist und dass auch politische, menschliche, emotionale Probleme lösbar sind - wir haben schließlich Millionen Menschen, die Psychiater besuchen. Deshalb ist es auch außerordentlich dumm, wenn man fragt: "Wenn wir zum Mond fliegen können - warum können wir das Armutsproblem nicht lösen?" Als ob diese beiden Aufgaben zur selben Kategorie zählten und wir nur bessere Techniker bräuchten. Ich rebelliere dagegen, dass die Quelle aller Wahrheiten die Naturwissenschaften sein sollen. Und der Computer sowie all das, was mit ihm verbunden ist, verkörpert die Krone dieser Idee.

Die Furche: Sie sprechen von einer "programmierten Gesellschaft". Andererseits gibt es gerade eine gegenläufige Entwicklung: die religiös-fundamentalistische Aufheizung von Gesellschaften - Stichwort Mohammed-Karikaturen ...

Weizenbaum: Ich fürchte aber, dass diese scheinbar neue Religiosität oder Spiritualität einfach nur die andere Seite jener Münze ist, von der ich gesprochen habe. Manche Leute haben vielleicht eingesehen, dass "High Tech" nicht immer funktioniert, dass es jedenfalls unsere Probleme nicht löst. Und dann suchen sie Sicherheit. Ich meine hier nicht nur Sicherheit im Sinn von "security", sondern vor allem im Sinn von "certainty".

Die Furche: Also Wahrheit?

Weizenbaum: Ich würde sagen "Truth". Und dahinter steckt wieder einmal - versteckter noch als beim Glauben an die Naturwissenschaft als Quelle allen Wissens - die Idee, dass wir doch alles wissen könnten, und dass die Welt doch irgendwie berechenbar ist. Vielleicht nicht mit den intellektuellen und technischen Instrumenten, die wir im Moment haben. Aber der Glaube an eine Gottheit ist, fast unbewusst, auch ein Glaube an eine Art Maschine, die alles reguliert.

Die Furche: Eine Gottmaschine?

Weizenbaum: Ja. Aber eine Kernwahrheit, die einem solchen Glauben widerspricht, ist, dass wir Menschen viel mehr wissen, als wir sagen und ausdrücken können - außer vielleicht in der Kunst, aber auch da kann nicht alles gesagt werden. Das Unsagbare ist ja vielleicht das Allerwichtigste, was wir wissen.

Die Furche: Wo das Wissen sicher nicht zu finden ist, ist Ihrer Ansicht nach das Internet. Sie vergleichen es mit einem Misthaufen, der nur einzelne Perlen in sich birgt ...

Weizenbaum: Das Internet, wie es heute existiert, gleicht wirklich einem Haufen - aber nicht von Information, sondern von Nachrichten oder Sätzen, von denen eine riesige Menge wertlos ist, weil sie falsch oder unsinnig sind. Der allergrößte Teil des Internets ist falsch - wie in allen anderen Massenmedien auch. Da erinnere ich mich an Gandhi, der an Bord eines Schiffes nach England gefragt wurde: Was denken Sie über die westliche Zivilisation? Da hat er lange nachgedacht und schließlich geantwortet: "Ich denke, das wäre eine gute Idee." Es tut mir leid, aber man muss es einfach sagen: Wir leben in einem Irrenhaus. Das meiste, was Leute als Faktum annehmen, ist entweder falsch oder irrelevant. Das, worüber die Männer in Europa etwa im Moment am meisten wissen, ist Fußball. Wobei es nicht so ist, dass Sport absolut unwichtig oder unsinnig wäre, aber es hat wenig mit unseren dringenden Problemen, mit Krieg oder Hunger, zu tun.

Die Furche: Das klingt recht pessimistisch - nach dem Motto: Die Welt ist schlecht ...

Weizenbaum: Naja, wenn man diesen Satz als Übersetzung der Aussage versteht, dass wir in einem Irrenhaus leben, dann müsste man auch dazusagen, dass die Irren ja auch die gute Seite verkörpern können ...

Die Furche: Gab oder gibt es bei Ihnen Momente der Verzweiflung?

Weizenbaum: Ja, immer dann, wenn ich die Augen öffne ... Das ist vielleicht eine Übertreibung, aber keine Unwahrheit. Erst vor wenigen Monaten hat der us-Kongress ein neues Gesetz debattiert, das Foltern verbieten soll - und der Präsident der usa, des mächtigsten Landes der Welt, hat gedroht, es abzulehnen (mittlerweile wurde es beschlossen; Anm.). Wenn man versucht, diese Tatsache zu begreifen, dann muss man doch eher zu dem Schluss kommen, dass wir in einer Hölle leben. Wie kann ein vernünftiger Mensch und besonders einer mit der Verantwortung eines us-Präsidenten, gegen ein Folter-Verbot sein? Das ist doch unbegreiflich! Ich bin ein Amerikaner, aber in Deutschland geboren und 1936 weggegangen. Damals, im Dritten Reich, sind die furchtbarsten Sachen passiert, und das deutsche Volk hat das - zum allergrößten Teil - zwölf Jahre lang mit Gleichgültigkeit erduldet. Es gibt also viele Momente der Verzweiflung. Aber genauso gibt es Momente des Triumphes.

Die Furche: Welche?

Weizenbaum: Etwa 2003, als überall auf der Welt Millionen Menschen auf die Straße gegangen sind, um gegen den Irak-Krieg zu demonstrieren. Wenn man das mit 1914 vergleicht, als alle gejubelt haben, dann sind das Sternstunden. Es gibt sie also, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom, und die Perlen im Internet. Ich bin ja selbst jeden Tag im Internet.

Die Furche: Warum gelingt es nicht, so etwas wie eine "Gebrauchsanleitung" zu schaffen, um diese Perlen zu finden?

Weizenbaum: Haben Sie die Gebrauchsanleitung für Ihr Aufnahmegerät gelesen? Das beantwortet die Frage. Die meisten wissen ohnehin ziemlich genau, was sie tun müssen oder sollen. Die Leute, die ein Auto mit 400 ps kaufen, wissen, dass es absolut unnötig und dumm ist, dass ein Auto 250 Stundenkilometer fahren kann. Und wir alle wissen, was wir mit unserem Klima anstellen und dass die Erde, wie wir sie kennen, in 200 Jahren oder schon früher nicht mehr existiert. All diese Schwierigkeiten sind nicht darauf zurückzuführen, dass wir irgend etwas nicht wissen. In einem gewissen Sinn brauchen wir auch keine Forschung - zumindest nicht für Fragen wie ethisches Verhalten, Freundschaft, Gnade oder Gerechtigkeit. Wo ist sie also, die Gebrauchsanweisung für die Erde? Das ist die Bergpredigt. Wenn sich auch nur die Christen daran hielten, sähe unsere Welt anders aus.

Die Furche: Ist das der Ausweg, den Sie aus der "programmierten Gesellschaft" sehen - oder gibt es noch einen anderen?

Weizenbaum: Ich sehe eigentlich nur einen, und das ist die Fähigkeit des Menschen, kritisch zu denken und unter den Teppich der angeblichen Wahrheiten zu blicken, die uns gelehrt werden - etwa "mehr ist immer besser". Vielleicht folgt daraus in der Praxis Zivilcourage. Das bedeutet nicht eine Abschaffung der Angst - aber es bedeutet Angst nur dort, wo sie berechtigt ist.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Pionier und Dissident

Es war vor 40 Jahren, als er "Eliza" erschuf - jenes Programm, das die Kommunikation zwischen Mensch und Computer über natürliche Sprache ermöglichen sollte und als Meilenstein der "künstlichen

Intelligenz" gefeiert wurde. Irgendwann sollte "Eliza" sogar menschliche Psychologen ablösen können - eine Vision, die Joseph Weizenbaum entsetzte und zu einem der schärfsten Kritiker blinder Technologiegläubigkeit werden ließ. Auch sein jüngstes Buch, "Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom?", wurde eine Abrechnung mit dem Glauben an die Allmacht der Computer - eingebettet in Weizenbaums eigene Lebensgeschichte. 1923 als Sohn einer jüdischen Familie in Berlin geboren, musste er 1936 in die USA fliehen. Dort

studierte er Mathematik - unterbrochen während des Krieges durch den Dienst in der US-Airforce. Von 1955 bis 1963 war Weizenbaum an der Konzeption des ersten Computer-Banksystems beteiligt. 1963 begann er schließlich seine Tätigkeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er 1966 "Eliza" entwickelte. Seither formulierte er - sowohl als Professor für Computerwissenschaften am MIT wie auch als Referent - stets seine gesellschaftskritische Position. Heute lebt Weizenbaum wieder in Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist u.a. auch Schauplatz des Films "Weizenbaum. Rebel at Work", der vom Filmemacher-Duo Peter Haas und Silvia Holzinger als "künstlerische Dokumentation" konzipiert wurde und Ende August fertiggestellt sein wird. "In dem Film gibt es meist kurze Fragen und lange Antworten", erzählt Weizenbaum - und illustriert seinen Hang zum Geschichten-Erzählen mit einer Anekdote: "Eine meiner Töchter ist einmal zu mir gekommen und hat gesagt: ,Daddy, wie spät ist es - und ich will nicht wissen, wie eine Uhr funktioniert...'"

BUCHTIPP:

WO SIND SIE, DIE INSELN DER VERNUNFT IM CYBERSTROM?

Auswege aus der programmierten Gesellschaft. Von Joseph Weizenbaum. Mit Gunna Wendt. Verlag Herder, Freiburg/Br. 2006, 207 S., geb., e 20,50

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