Wir Narren in CHRISTO

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Der wahre Narr stört die schöne Ordnung - und lenkt den Blick auf die Brüchigkeit der bunten Idylle. Über den Glauben als Narretei.

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Der wahre Narr stört die schöne Ordnung - und lenkt den Blick auf die Brüchigkeit der bunten Idylle. Über den Glauben als Narretei.

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Man imaginiere folgende Szenerie: Traditionelle Fronleichnamsprozession, Bischof im barocken Goldornat, ebenso der Klerus, Ritterorden in bunten Mänteln, akademische Würdenträger im schwarz-lila Talar, christliche Kartellverbandsjünger mit Kappen und Bändern, Ritterfräulein mit Schleier - und kurz vor dem Zielpunkt der Prozession springt ein nackter, verdreckter Mann mit wirrem, verlaustem Barthaar wild gestikulierend und einen toten Hund hinter sich herschleifend in den feierlichen Zug. Was wie eine "deleted scene" aus einem Monty Python's Film klingt, ist eine Zusammenschau religiöser Narretei in ihren unterschiedlichen Erscheinungs- und Rezeptionsformen.

Auch wenn es fromme Zeitgenossen erschüttern mag: Die theologisch ältere und korrekte Ausprägung des Narren Christi ist der dreckige Alte mit dem toten Hund: Simeon von Emesa (6. Jahrhundert) pflegte seine asketische Existenz nicht zuletzt durch oben beschriebenes Verhalten zum Ausdruck zu bringen und tat so seine Bereitschaft kund, in der radikalen Nachfolge Christi mit wirklich allen Konventionen zu brechen und die scheinbar schöne Ordnung der Welt als vergänglichen Trug zu entlarven.

Als Paulus sich zum Narren machte

Christsein als Narretei ist ein Topos, den wir Paulus verdanken: "Wir sind Narren um Christi willen" schreibt er im ersten Korintherbrief (4,10), und wer Paulus und seine missionarische Biographie ein wenig kennt, wird ihm zustimmen: Die meisten Zeitgenossen, wohl auch manche Mitchristen, werden den kleinen Juden aus Tarsos als "nicht ganz dicht" erlebt haben, wie er sich in seinem fanatischen Bekenntnis zu einem gekreuzigten Gott am Areopag und anderswo lächerlich, "zum Narren" gemacht hat. Ein Narr ist, wer die Konvention bricht, ein Grenzüberschreiter ohne klassischen Heroismus, einer, der zunächst zum verschämten Lachen reizt und vor allem peinlich berührt. Ein Narr zeigt uns die engen Grenzen unserer kleinen, innerweltlichen Ordnung auf, die bereits durch dreckige nackte Haut in Frage gestellt wird. Ein Narr tut, was andere nicht zu tun wagen, und - anders als der Held - ohne scheinbaren Nutzen für seine Umgebung. Der Grad zwischen religiöser Ergriffenheit und Narrheit ist ein äußerst schmaler und offenbart uns die ganze Abgründigkeit von Religion als radikalem Verweis aus der innerweltlichen Ordnung heraus. Um diese närrischen Angriffe auf die Ordnung in den Griff zu bekommen, gab und gibt es zwei Strategien für religiöse wie weltliche Ordnungshüter: Man kann sie institutionalisieren und damit kollektivieren -oder marginalisieren. Verordnete Narretei ist im Grunde das Gegenteil ihrer selbst, ob bei den Saturnalien im alten Rom, wo die Sklaven einen Tag lang Herren spielen durften, oder am Faschingsdienstag, wenn auf der Titelseite diverser Kleinformate die "Herrschaft der Narren" ausgerufen wird. Ein Narr und eine Närrin ist, wer an diesem Tag keiner sein will und "normal" in die Schule kommt (wie die Autorin aus eigener Kindheitserfahrung berichten kann). Die Subversivität närrischen Auftretens begründet sich in ihrer Differenz zur Umgebung und geht somit verloren, wenn alle nackt und dreckig einen toten Hund hinter sich her schleifen - oder eben in grellbunten Kostümen grölend und torkelnd durch die Stadt ziehen. Das berühmte Narrenschiff des frühneuzeitlichen Schriftstellers Sebastian Brant ist streng genommen keines mehr, denn wo Narren unter sich sind, fallen sie nicht mehr als solche auf. Wer es indes nicht schafft, mit zeitlich befristetem und gesellschaftlich verordnetem Narrentum sein Auslangen zu finden, wird marginalisiert und je nach gesellschaftlichem Ordnungsdiskurs kriminalisiert oder psychiatriert und nach Narragonien geschickt, wie es bei Brant heißt. Die christliche Pastoralmacht hat bei dieser Zwangsverschickung der Narren trotz der paulinischen und asketischen Tradition eifrig mitgemacht und den Narren oft genug mit dem Gottesleugner und Sünder (wie übrigens letztlich auch in Brants "Narrenschiff") gleichgesetzt, der zu dumm und verstockt ist, die göttliche Ordnung in ihrer weltlichen Umsetzung unter aktiver Beteiligung der Kirche anzuerkennen. Wohl nicht wenige hochrangige Geistliche sehen insgeheim eine solche ungeordnete Narretei derzeit im Gange, wenn der höchste kirchliche Würdenträger in schwarzen Straßenschuhen zum weißen Amtsgewand durch die Straßen geht und liebgewordene Würdentitel, die mit roten und lila Verbrämungen, Knöpfen und Socken zum klerikalen Gewand einhergehen, abzuschaffen droht.

Oder dienen nicht gerade diese Gewandungen dazu, die wahren Christen in einer allzu nüchtern bekleideten oder gar schamlos entblößten Welt hervorzuheben? Sind nicht jene Männer, die heute in langen purpurnen Roben durch die Stadt ziehen, die aktuellen Narren Gottes, wahre Bekenner in einer heidnischen Umwelt, wie 2008 eine ebensolche Titulierung des Kölner Kardinals Meisner durch den Spiegel nahelegt?

Wir nähern uns also wieder unmerklich unserer eingangs geschilderten Szenerie: der bunte Fronleichnamszug und der nackte Wirrkopf. Zumindest in Graz ist die Assoziation der Fronleichnamsprozession zum Narrenzug am Faschingsdienstag allein aufgrund der teilweise gleichen Streckenführung und der eben dort aufgereihten Schaulustigen schwer zu unterdrücken. Die einen heben sich durch Gewänder und Bewegungsmuster vom Alltag und den Umstehenden ab, die anderen bestaunen und fotografieren die so freiwillig Exponierten und meinen nicht selten im Stillen, dass sich die bunt Gewandeten zum Narren machen. Beides sind freilich konventionelle Narreteien im wahrsten Sinn, solche, die helfen sollen, gesellschaftliche Übereinkünfte aufrecht zu erhalten und durch ihre zeitliche, örtliche und kausale Begrenzung zu verstärken. Nur der nackte, dreckige Mann mit totem Hund stört da wie dort die wohldosierte Idylle organisierten Narrentums.

Gott als Absurdität schlechthin

Der wahre Narr erinnert eher an den Aschermittwoch als an den Faschingsdienstag. Er lenkt unseren Blick auf die Brüchigkeit der bunten Idylle, darauf, was bleibt, wenn die Schminke und die Gewänder weg sind, wenn unsere Ordnung von kalkuliertem Exzess und normalem Leben zusammenbricht: Eine schmerzhafte Irritation der Leere. Der Narr Christi zeigt uns (vor allem uns gescheiten Theologen) auch unmissverständlich, dass noble Weginterpretationen an die Grenze des Absurden stoßen und von dort vielleicht noch vom Narren mit einem letzten Schubs in die Absurdität schlechthin, in Gott, hineinbefördert werden. Der Narr Christi ist kein verbissener Märtyrer (ob in Blut oder feinem Purpur), er ist kein trockener Missionar, er ist einer, der um die Narrheit seines Glaubens weiß und in der Narretei die letzte Möglichkeit sieht, diesem Glauben in der Welt gerecht zu werden. Christsein ist eine von Feiern und Jahreszeiten unabhängige Form des Narrentums, welche die Lüge der in Konventionen geordneten Welt in ihrer Selbstgenügsamkeit aufbricht und die Mitmenschen dazu zwingt, über ihre eigene begrenzte Lächerlichkeit, die sie im Narren gespiegelt sehen, zumindest kurz nachzudenken. Nur wer auf Gott vertraut, hat den Mut, vor der Welt ein Narr zu sein. Als wichtiges Kriterium zur Unterscheidung der Geister sei noch hinzugefügt: Simeon von Emesa wusste, was er tat und warum. Dies wäre für Narren in bunten Talaren und mit toten Hunden gleichermaßen zu wünschen.

Die Autorin lehrt Religionswissenschaft an der Kath.-Theol. Fakultät der Univ. Graz

Die Freiheit des Narren

Im Fasching herrschen die Narren, heißt es. Doch was hat es mit dieser Figur wirklich auf sich, die sich schon Paulus zum Vorbild nimmt und die bei Shakespeare selbst den König narrt? Sie ist einfach so frei, mit Konventionen zu brechen. Über das hohe Gut der Narrenfreiheit - und ihre Grenzen.

Redaktion: Doris Helmberger

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