Wir reißen uns für Sie den ... auf

Werbung
Werbung
Werbung

Sie glaubt es nicht, die Gesellschaft oder das, was man landläufig so nennt. Aber es ist so. Sie selber, die Gesellschaft also, hat rund um uns einen riesigen Haufen von Tabus errichtet, während sie gleichzeitig beteuert, es gebe keine mehr. Um diese auf ziemlich schwachen Beinchen stehende Behauptung zu untermauern, ist es modern geworden, mit kräftigen Ausdrücken um sich zu werfen. Seht her, heißt das, wir kennen keine Tabus.

Also sind diese Ausdrücke schon eher als extra ordinär statt als ordinär zu bezeichnen und rekrutieren sich demnach fast ausnahmslos aus den Bereichen unterhalb der Gürtellinie, wo der brave Bürger den Wohnort alles Schlechten und Bösen vermutet, wiewohl auch dieser Teil unseres Körpers untadelige und vor allem äußerst notwendige Arbeit leistet. Dennoch gibt's gerade hier die verwegensten Bezeichnungen für durchaus Ehrenwertes und bringt es in Mißkredit, indem sich so manche Gliedmaße und auch so manche hier angesiedelte Tätigkeit eher unflätige Bezeichnungen gefallen lassen müssen.

Sieht man aber in einem Wort nicht nur eine Aneinanderreihung von Buchstaben, sondern achtet man auf die ihm unterlegte Bedeutung, kann man ohne weiteres zwischen recht hübschen und anmutigen, ja durchaus edlen Wörtern und solchen unterscheiden, die der Gosse zuzuordnen sind.

Man hat es, was diese Worte betrifft, mit der Zeit zu einem Übereinkommen gebracht, und findet man sie zwar sogar im Duden, so stehen sie hier lediglich um der Vollständigkeit willen und werden in Klammer aber sofort dorthin verwiesen, wo sie hingehören. Umgangssprachlich steht dann dort oder derb oder gar vulgär. Sie kennen das.

So weit die bis vor wenigen Jahren gepflegte Konvention. Wollte man früher solcherlei hören oder selber sprechen, mußte man einschlägige Plätze aufsuchen, wo die Leute sich dieses Idioms bedienten. Wollte man solcherlei lesen, gab's hiezu einschlägiges, eher unter der Budel verkauftes Gedrucktes.

Seit einiger Zeit hat sich das Bild jedoch verändert. Die Untergrund-Vokabel streben, immer noch den Geruch des Pöbels an sich, aus ihren bisherigen Kellerwohnungen hinauf ins Licht und begnügen sich nicht mit seltenen, wenngleich hochliterarischen Zitaten.

Und so kommt es, daß man neuerdings auch in ehrenwerten Gazetten, besonders aber in der Werbung mit Vokabeln konfrontiert ist, die in Olims Zeiten bestenfalls mit einigen Punkterln angedeutet worden sind, noch dazu in Redewendungen, die, gleichermaßen unlogisch und unappetitlich, nicht eben anziehend sind.

Was kontraproduktiv sein sollte. Werbung will doch, wem sag' ich's, anziehend wirken. Kann der Käufer also mit Lustgefühlen in Verkaufslokale gehen, die sich in der genannten Weise anbieten?

Dem Autor liegt's fern, einer verlogenen, dem Volke abgewandten Sprache das Wort zu reden. Doch es geht ihm um die hinter dem bewußt Gewöhnlichen steckende Gesinnung. Und letztlich um die daraus resultierenden Sitten. Die nämlich werden, jeder hat's schon am eigenen Leib erfahren, zusehends rauher. Ausdrücke wie Rücksicht oder Höflichkeit sind im Begriff, auszusterben, und sie tun es nicht nur als Worte. Was statt dessen nachwächst, ist oben Genanntes. Vielleicht können wir uns noch kurze Zeit aussuchen, was uns lieber ist. Das aber sollten wir sehr aktiv tun. Der Geheimrat Goethe hat uns in einem seiner bekanntesten Aussprüche einen sehr verständlichen Wegweiser dazu geliefert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung