"Wir Sherpa sind stolz darauf, das Gepäck zu tragen"

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Sein Großvater hat den Mount Everest bestiegen. Tashi Tenzing war am höchsten Berg der Welt. Sein Großvater hat die fremden Sahibs auf den Gipfel geführt. Tashi Tenzing ist Bergführer. Sein Großvater hat Geschichte geschrieben. Tashi schreibt die Geschichte der Sherpa. Interview mit Tashi Tenzing, dem Enkel von Tenzing Norgay Sherpa.

Die Furche: Die Eroberung des Unnützen wird das Bergsteigen oft genannt. Stimmt das? War die Erstbesteigung des Everest ohne Nutzen?

Tashi Tenzing: Hillary und Tenzing haben Unglaubliches geleistet, bis dahin Undenkbares denkbar, Unmögliches möglich gemacht. Noch heute ist es schwer, ganz nach oben zu kommen, das weiß ich aus eigenem Erleben. Nur weil es heute viel mehr als früher schaffen, heißt das nicht, dass es leicht ist. Aber vor fünfzig Jahren schien es unmöglich. Ich glaube, dass die beiden mit ihrem Erfolg eine Inspiration für alle Menschen gewesen sind. So wie die großen Entdeckungen, so wie die großen Erfindungen, so wie die Mondlandung. Sie haben allem Menschen erneut gezeigt: Wo ein Wille, da ein Weg.

Die Furche: Was bedeutet es für Sie, ein Tenzing zu sein?

Tenzing: Für mich ist es eine große Ehre, diesen Namen zu tragen. Ich wollte schon von klein auf immer in die Fußstapfen meines Großvaters treten. Ich will, dass er stolz auf mich ist. Ich will sein Erbe weitergeben.

Die Furche: Sie haben den Everest bestiegen, Sie führen Touristen in den Himalaya, Sie haben mit Ihrer Frau ein Buch über die Geschichte der Sherpa geschrieben - ist das das Erbe von Tenzing Norgay Sherpa.

Tenzing: Ja, dem Tenzing-Clan anzugehören bedeutet, mit den Sherpa und dem Himalaya, besonders dem Everest, verbunden zu sein. Es war überfällig, über die Geschichte meines Volkes zu schreiben. Was weiß der Rest der Welt über die Sherpa? Gepäckträger! Stimmt, und wir Sherpa sind stolz darauf, das Gepäck zu tragen. Mein Volk ist aus dem Nichts gekommen und konnte doch in den letzten fünfzig Jahren bewundernswerte Träume erreichen. Sherpa haben nicht nur in der Bergsteigerei Herausragendes geleistet. Sherpa sind Rechtsanwälte, Ärzte, werden heute der Vielfalt des Lebens gerecht. Deswegen erzähle ich die Geschichte meines Großvaters, die Geschichte dieses Volkes, meine Geschichte. Und ich versuche zu zeigen, wo heute die Herausforderungen für die Sherpa liegen.

Die Furche: Nach wie vor ist Nepal eines der ärmsten Länder der Welt. Die Hälfte der Menschen lebt unter der Armutsgrenze, geringe Lebenserwartung, hohe Analphabetenrate. Sie arbeiten im Tourismus, ist das für Sie der Schlüssel zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes?

Tenzing: Tourismus ist für jedes Land eine gute Sache. Und wir besitzen die besten Voraussetzungen dafür. Den Everest im Land zu haben, ist sicher ein immenser Vorteil. Hinzu kommt, dass die Nepalesen gastfreundlich sind, lebensfroh, fleißig und mit einem großen Herzen ... Ich höre schon auf mit dem Selbstlob, aber ich bin mir sicher: Diese Menschen und diese Berge werden uns nach oben bringen.

Die Furche: Und die negativen Auswirkungen des Tourismus?

Tenzing: Natürlich hat auch diese Medaille zwei Seiten. Schnell wachsender Tourismus kann negative Nebenwirkungen mit sich bringen. Deswegen müssen wir mehr als in der Vergangenheit aufpassen. Und wir müssen aus den Erfahrungen, die in anderen Bergregionen gemacht wurden, lernen. Es ist bei uns diesbezüglich ein großer Lernprozess im Gange. Wir erkennen heute, in welcher Gefahr unsere Wälder sind. Wir haben begonnen, unsere Berge vom Müll zu befreien. Es braucht Zeit und große Anstrengungen sind erforderlich. Aber wir Sherpa haben den Everest bestiegen, wir schaffen auch diese Herausforderung.

Die Furche: Die Sherpa betrachten die Berge als heilige Stätten, die man nicht besteigen darf. Warum war es Tenzing erlaubt, auf den Gipfel zu gehen?

Tenzing: Der Buddhismus der Sherpa ist tief in der uralten animistischen Bon-Religion Tibets verwurzelt, die den Schutz und die Verehrung der Natur fordert. Die Lamas waren in diesen Fragen sehr strikt und lange durften die Sherpa den fremden Bergsteigern zwar helfen, aber die Gipfel selber nicht betreten. Schon zur Zeit meines Großvaters hat sich diese Sichtweise aber verändert. Ich selber denke mir: Wenn wir unseren Göttern nahe sein wollen, dann ist es doch das Beste, auf den Gipfel zu steigen, um dort die Gebete zu verrichten. Auf dem Everest sieht man viele religiöse und spirituelle Dinge. Die Bergsteiger tragen Gebetsfahnen und Glücksschärpen hinauf. Ich selber habe eine kleine Buddha-Statue mitgehabt und für den Frieden gebetet.

Die Furche: Ihr Großvater zeigte die Flaggen Großbritanniens, der vereinten Nationen, Indiens und Nepal in die Kamera von Edmund Hillary.

Tenzing: Ich finde das ein tolles Symbol, aber es war nicht die Idee meines Großvaters, diese Fahnen mitzunehmen. Tenzing Norgay hatte mit Sicherheit noch nie etwas von den Vereinten Nationen gehört. Der Expeditionsleiter John Hunt hat ihm diese Flaggen an den Pickel geheftet. Die vier Fahnen, gleichberechtigt nebeneinander - für mich ist das ein schöner friedlicher Schlusspunkt der Kolonialzeit und zeigt die Emanzipation Indiens und Nepals.

Die Furche: Wieder herunten vom Berg wurde die Besteigung politisch ausgeschlachtet. Der Friede hatte keinen langen Bestand.

Tenzing: Die Kommunisten in Nepal störte der gemeinsame Erfolg von Hillary und Tenzing. Zuerst ein politisch initiierter Streit, blieb aber auch die Beziehung von Hillary und Tenzing davon nicht unbeeinflusst. Mein Großvater glaubte, er könnte sich aus den Streitereien, wer als erster oben war, heraushalten. Das war jedoch naiv. Die nepalesische Regierung benutzte Tenzing und behauptete, er hätte Hillary auf den Gipfel gezerrt. Das war völlig falsch und unnötig. Und es war gut, dass beide schließlich offiziell erklärten Chomolungma gemeinsam bestiegen zu haben.

Die Furche: Weil Sie den ursprünglichen Namen des Everest erwähnen. In Ihrem Buch korrigieren Sie eine weitverbreitete Übersetzung dieses Begriffes.

Tenzing: Chomolungma bedeutet nicht wie immer behauptet "Göttin Mutter der Erde". Denn eigentlich heißt der Everest "Jomolangma", benannt nach einer Göttin, die zu einer Gruppe gehört, die als die "Fünf Schwestern des langen Lebens" bezeichnet werden. Der Berg ist also ein Lebensschützer, so wie der Everest ja auch das Tal, das Land, die Sherpa beschützt.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

BUCHTIPP:

Im Schatten des Everest

Die Geschichte der Sherpa

Von Judy und Tashi Tenzing, Frederking & Thaler Verlag, München 2003, 280 Seiten, 85 Fotos, geb., e 24,70

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