Wir sind alle Kärntner

Werbung
Werbung
Werbung

Wie unter einem Brennglas werden im Süden Österreichs Deformationen und morsche Strukturen unseres Systems überdeutlich erkennbar. Für viele Menschen ist es wohl nur eine Bestätigung ihres Bildes von Politik und Macht.

Ist Kärnten ein Sonderfall, ein Ausnahmebiotop, sind die Kärntner genetisch in spezifischer Weise für Zustände, wie sie jetzt offenbar wurden, disponiert? Wir kennen solche und ähnliche Fragen auch im größeren Maßstab, eine Verwaltungsebene höher angesiedelt: Was Kärnten für Österreich, wäre demnach Österreich für Europa. Die gängigen Klischees von "provinziell“ über "verhabert“ und "korrupt“ bis "brauner Sumpf“ sind hinlänglich bekannt. Sie helfen nur nicht weiter. Mit ethnisierenden Zuschreibungen ("Nationalcharakter“ u. Ä.) muss man vorsichtig sein, auch wenn sie meist einen wahren Kern haben.

Besser wäre es zu sagen, dass sich derzeit in Kärnten wie unter einem Brennglas überdeutlich Deformationen unseres politischen Systems zeigen, morsche Strukturen, die unter dem Licht der Kärntner Sonne bereits gefährlich zu glosen begonnen haben - Löschwasser steht offenkundig keines bereit.

Jenseits des politmedialen Komplexes

Befürchtet wird eine weitere Unterminierung des Ansehens von Politik weit über Kärnten hinaus. Möglicherweise aber ist es viel schlimmer: Die Leute haben sich der Politik schon so weit entfremdet, dass sie die aktuellen Turbulenzen gar nicht mehr sonderlich tangieren. Gewiss, es reicht für ein wenig Erregung - aber letztlich gilt ihnen auch die Causa Birnbacher nur als Symptom; ein weiterer, mag sein, kräftiger Pinselstrich in einem Sittengemälde, von dem sie meinen, es ohnedies schon seit Langem zu kennen: ein Bild vom Geben und Nehmen, vom Augenzwinkern und Wegschauen, vom Schieben und Richten, vom "Unter der Hand“, die immer die andere wäscht. "Part of the game“ eben - diese präzise Beschreibung wird bleiben von Uwe Scheuch, der nun doch zurückgetreten ist (und dem an der Parteispitze und in der Landesregierung sein Bruder Kurt folgen soll, was man wohl nicht anders denn als glasklares Zeichen eines radikalen Neubeginns deuten kann …).

Alles ein Teil des Spiels, so meinen viele, von dem sie sich eben deswegen längst abgewandt haben. Kann man es ihnen verdenken? Jenseits des politmedialen Komplexes, also des Kosmos, der von Politikern und ihrer Entourage aus professionellen Beratern und Beobachtern, Analytikern, Kommentatoren sieht die Welt ja vermutlich einigermaßen anders aus. Die Frage, ob und wann Neuwahlen in Kärnten stattfinden, nimmt sich in dieser Perspektive dann doch relativ unbedeutend aus.

Nicht zuletzt deswegen, weil das, was in den letzten Monaten und Jahren auf Bundesebene ans Licht gekommen ist - von BUWOG über Telekom bis ÖBB & ASFINAG - deutlich zeigt, dass Kärnten eben kein Sonderfall ist. Dabei muss für Menschen, die aus guten Gründen die großkoalitionäre Struktur des Landes für problematisch halten, besonders schmerzhaft sein, dass immer mehr Schatten auch auf jene Zeit fallen, in der es keine SPÖ-ÖVP-Regierung gab: die Jahre 2000 bis 2006. Gerade wer die politische Reformarbeit der Regierungen Schüssel geschätzt hat, dem stellt sich immer drängender die Frage nach dem Preis dieses Projekts.

Überkommenes geht - aber was kommt?

Gar nicht zu reden von der europäischen Ebene: Wer vollzieht noch all die milliardenschweren Hilfspakete, Rettungsaktionen, Haftungen, "Schirme“ mit? Dabei hat die - vorerst von Frankreich und Italien angedachte - unbegrenzte Ausweitung des "Europäischen Stabilitätsmechanismus’“ ESM viel tiefgreifendere Auswirkungen auch auf jeden Kärntner und jede Kärntnerin als alle carinthischen Machenschaften von Haider, Scheuchs, Dobernig, Martinz & Co.

Die Leute lernen wohl aus all dem, dass sie sich am besten um ihre Dinge selber kümmern. Das ist im Prinip ja auch in Ordnung so. Überkommenes wird abgeschüttelt - auch gut. Aber mit so mancher Form könnte auch der Inhalt - Demokratie und Rechtsstaat - Schaden nehmen. Dass die vielbeschworenen neuen Methoden gesellschaftlich-politischer Organisation greifen, ist noch lange nicht ausgemacht.

* rudolf.mitloehner@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung