"Wir sind nicht das Gewissen der Nation"

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Anfang November ist die Bioethikkommission - personell unverändert - in ihre zweite Amtszeit gestartet. Auf Einladung der Furche diskutieren zwei alte/neue Mitglieder, der evangelische Theologe Ulrich Körtner und der Philosoph Günther Pöltner, über das Ja des EU-Parlaments zur Förderung "verbrauchender" Embryonenforschung, das Scheitern eines weltweiten Klonverbots, Österreichs Haltung zur Präimplantationsdiagnostik und die Kritik von Behindertenvertretern am bioethischen Think-Tank des Bundeskanzlers.

Die Furche: Mittwoch vergangener Woche hat sich das EU-Parlament mehrheitlich dafür ausgesprochen, die Forschung an Stammzellen, die aus menschlichen Embryonen gewonnen werden, mit EU-Mitteln zu fördern. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Ulrich Körtner: Grundsätzlich begrüße ich die Entscheidung des Parlaments. Im Unterschied zum Vorschlag der Kommission ist freilich keine Stichtagsregelung vorgesehen. (Anm. d. Red.: Laut EU-Kommission soll nur die Forschung an Stammzellen gefördert werden, die aus Embryonen gewonnen wurden, die vor dem 27. Juni 2002 entstanden sind.) Dafür wird die Herstellung und Verwendung von neuen Stammzelllinien an strenge Bedingungen geknüpft. Außerdem wird nochmals klargestellt, was unsere Bundesregierung gern verschweigt: dass nämlich die Förderung der Forschung an bereits existierenden Stammzelllinien schon jetzt möglich ist. Das zum Jahresende auslaufende Moratorium ist also eine Mogelpackung.

Günther Pöltner: Ich finde es bedauerlich, dass sogar die Stichtagsregelung für überzählige Embryonen nicht mehr enthalten ist. Das ist ein weiterer Schritt in eine Richtung, von der ich befürchte, dass wir sie rechtspolitisch nicht mehr in den Griff bekommen. Für mich hat diese Abstimmung eine bedenkliche Signalwirkung - obwohl damit nicht in die nationale Gesetzgebung eingegriffen wird. Jetzt ist am 3. Dezember der Forschungsministerrat an der Reihe. Und wie der entscheiden wird, ist offen.

Die Furche: Die zuständige österreichische Ministerin, Elisabeth Gehrer, die das bestehende Moratorium erwirkt hat, möchte es gern verlängern...

Körtner: Ich habe diese Moratoriumslösung nie für glücklich gehalten. Eine Verlängerung wäre auch für die Kritiker der Stammzellforschung kontraproduktiv. Zur Zeit gibt es aber ein Zweckbündnis zwischen Österreich, Deutschland, Italien und Portugal. Man wird sehen, ob diese Länder eine Sperrminorität zusammenbringen. Ich selbst hätte es für besser gehalten, wenn man sich in Europa rechtzeitig auf klare Regeln für eine kontrollierte Forschung an embryonalen Stammzellen verständigt hätte. Stattdessen gibt es jetzt unkoordinierte Aktionen auf verschiedenen Ebenen der Politik. Ich hätte es für sinnvoll gehalten, auf eine Europäische Stammzellbank hinzuarbeiten, wo man über einen begrenzten Pool verfügt - und damit einer zügellosen Nachzüchtung Einhalt geboten hätte. In diese Richtung weist auch der Vorschlag des EU-Parlaments für ein europäisches Register für embryonale Stammzellen.

Pöltner: Ich glaube nicht, dass es je gelingen wird, in diesem Bereich eine einheitliche Regelung zu erzielen. Das zeigt schon die durch Jahre hindurch weltweit geführte Debatte. Die Argumente liegen alle auf dem Tisch. Es geht um die gesellschaftspolitische Gewichtung dieser Argumente. Die Würde eines Menschen achten, kann nur heißen, sie die ganze Zeit seines Lebens zu achten. Wir haben für die Frühestphasen menschlichen Lebens keine Anhaltspunkte, die uns sicher machen, dass wir es hier nicht mit einem schützenswerten Phänomen zu tun haben. Angesichts dieser Unsicherheit gilt für mich: in dubio pro embryone (im Zweifel für den Embryo). Das Schlimme ist, dass man jetzt zum ersten Mal darangeht, Frühestphasen menschlichen Lebens im Zeichen fremd-therapeutischer Zwecke zu instrumentalisieren: sei es zur Herstellung von Geweben - Stichwort therapeutisches Klonen - oder zur Forschung mit embryonalen Stammzellen, von der Kritiker sagen, dass sie sich der normativen Kraft der Fiktionen unterwirft. Außerdem gibt es Alternativen, die ethisch unbedenklich sind.

Körtner: Auch ich bin grundsätzlich für einen starken Schutz des Embryos. Nur gibt es Situationen, in denen ein Embryo in vitro keine Entwicklungsmöglichkeit zum Menschen oder als Mensch mehr hat. Wir werden nicht erzwingen können, dass sich Frauen, von denen die "überzähligen" Embryonen stammen, diese auch implantieren lassen. Ich glaube auch nicht, dass die Embryonen-Adoption oder das "Absterben-lassen" die bessere Alternative ist. Mir geht es nicht darum, das Leben von künftigen Kranken gegen das Leben heutiger Embryonen abzuwägen. Sondern wie man es ethisch für zulässig halten kann, an Fehlgeburten oder abgetriebenen Föten Material zu gewinnen, wenn die Abtreibung nicht zum Zweck der Materialgewinnung geschieht, so halte ich es für zulässig, aus Embryonen Stammzellen zu gewinnen, wenn klar ist, dass diese Embryonen niemals mehr irgend einem Menschen eingepflanzt werden können. In diesem Fall kann man nicht mehr von einem werdenden Menschen sprechen, und darum greift für mich auch nicht das Instrumentalisierungsverbot.

Pöltner: Es ist völlig klar, dass man keine Frau zwingen kann, sich Embryonen implantieren zu lassen. Und auch ich stehe der Embryonenadoption sehr skeptisch gegenüber, weil wir damit das Problem der Leihmutterschaft heraufbeschwören. Wenn aber das Leben überzähliger Embryonen nicht zu retten ist, dann greift die Achtung des Instrumentalisierungsverbots. Deshalb ist das "Absterben-lassen" der Embryonen die ethisch bessere Alternative, als sie der Forschung zuzuführen.

Die Furche: Die selbe Meinung vertritt die katholische Kirche. So hat Kardinal Christoph Schönborn sich über die Abstimmung des EU-Parlaments enttäuscht gezeigt - ebenso wie über die Verschiebung der UN-Abstimmung über ein weltweites umfassendes Klonverbot. Sind auch Sie darüber unglücklich?

Körtner: Ganz unerwartet kam das nicht. Der Streit geht ja nach wie vor darum: Soll es ein totales Klonverbot geben? Oder soll man unterscheiden zwischen dem so genannten reproduktiven Klonen, also dem Klonen mit dem Ziel, einen Menschen zur Welt zu bringen, und dem so genannten therapeutischen Klonen zu Forschungszwecken? Man kann argumentieren, dass hier die Technik und der Status der Zellen gleich sind und daher beides zu verbieten ist. Um wenigstens das reproduktive Klonen zu ächten, bin ich aber für einen politischen Kompromiss.

Pöltner: Es ist eine semantische Irreführung, von reproduktivem und therapeutischem Klonen zu sprechen, weil in beiden Fällen reproduziert wird: Der Unterschied ist nur, dass der produzierte Klon einmal in eine Gebärmutter implantiert wird und einmal nicht. Die Türöffnerfunktion des "therapeutischen" Klonens liegt für mich auf der Hand. Es wäre für mich also wünschenswert, diese beiden Verbote zu koppeln. Wenngleich mir bewusst ist, dass ein umfassendes Verbot geringe Chancen auf Verwirklichung hat.

Die Furche: Sie beide sind vom Bundeskanzler wieder in die Bioethikkommission berufen worden, die Anfang November ihre zweite Amtszeit begonnen hat. Als erstes wird das Thema Präimplantationsdiagnostik (PID) auf der Tagesordnung stehen, also die Selektion von Embryonen in vitro. Würden Sie diese Methode weiter verbieten - oder begrenzt zulassen?

Pöltner: Ich bin für die Beibehaltung des Verbots, weil sich eine limitierte Zugangsregelung auf Grund der sachimmanenten Dynamik erfahrungsgemäß nicht halten lässt. Wenn man die PID nur bei den Hochrisikopaaren zulässt, dann fragen die anderen: Warum nicht auch wir? Auch die Pränataldiagnostik wurde am Anfang restriktiv gehandhabt - und ist nun weit verbreitet. Außerdem muss man sich fragen, für wie viele Paare in Österreich die PID in Frage kommt. Wenn man strenge Bestimmungen vorsieht, sollen es angeblich nur neun sein.

Körtner: Ich teile über weite Strecken diese Skepsis, denke aber darüber nach, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, die PID in begrenztem Maße zuzulassen - und zwar für solche Fälle, wo es einen genetisch bedingten Defekt gibt, der dazu führt, dass ein Kind während der Schwangerschaft, während oder kurz nach der Geburt sterben muss. Man muss doch auch die Not der betroffenen Menschen sehen.

Die Furche: Gerade angesichts der bevorstehenden PID-Debatten kritisieren Behindertenverbände, dass wieder kein Vertreter aus ihren Reihen in die Kommission berufen wurde...

Pöltner: Wenn ein Thema auf den Tisch kommt, das die Behindertenproblematik behandelt, dann wird der Kommissionsvorsitzende Vertreter dieser Organisationen einladen. So wichtig aber die Behindertenproblematik ist: Es gibt auch andere Probleme. Dann erhebt sich die Frage: Warum sitzen Vertreter von Behindertenorganisationen als Mitglieder in der Kommission und nicht andere Vertreter?

Körtner: Die Frage war, ob man die Kommission lediglich erweitern oder in ihrer Grundstuktur verändern will. Im Sinne der Kontinuität halte ich es für eine gute Entscheidung, sie in ihrer Besetzung zu belassen. Für die biopolitische Diskussion in Österreich ist es aber wichtig, noch andere Diskursformen und Gremien zu haben, die miteinander kooperieren sollten. Die Kommission des Bundeskanzlers hat sicher keinen Alleinvertretungsanspruch in ethischen Fragen. Und sie ist auch nicht das Gewissen der Nation.

Das Gespräch moderierte Doris Helmberger.

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