Wir sind noch NICHT FERTIG!

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Genetik und Biotechnologie verweisen auf einen "neuen Menschen". Unterbelichtet bleibt dagegen die Frage nach geistiger Erneuerung.

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Genetik und Biotechnologie verweisen auf einen "neuen Menschen". Unterbelichtet bleibt dagegen die Frage nach geistiger Erneuerung.

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Diesmal war alles ein bisschen anders. Normalerweise sind beim Philosophicum Lech die Vertreter (wert) konservativer Positionen unter den Referenten klar in der Minderheit, das Gros bezieht Standpunkte, die man gemeinhin als "liberal" bezeichnet. Die also beispielsweise, um auf Themen der letzten Jahre zu rekurrieren, überkommene Begriffe wie "Schuld und Sühne" und das eigenverantwortliche Subjekt ("Ich") tendenziell für obsolet erklären oder die Grenze zwischen Tieren und Menschen weitgehend relativieren.

Antikapitalistische Invektive

Beim Thema des diesjährigen Symposiums verschoben sich die Frontlinien allerdings. Unter dem Titel "Neue Menschen!" ging es um die Möglichkeiten und Chancen, vor allem aber auch Gefahren und Abgründe gegenwärtiger Optimierungs-und Perfektionierungsstrategien - von pharmakologischen und chirurgischen Interventionen bis hin zu genetischen und biotechnologischen Manipulationen, an deren Ende transhumane Wesen stehen könnten. Was bei dieser Thematik (fast) alle einte, war die antikapitalistische Invektive. Zugespitzt formuliert: Während man bei anderen Themen traditionelle Positionen mit dem Furor des Fortschrittlichen hinwegfegen konnte, stellt sich hier nun der Fortschritt als willfähriger Handlanger des notorisch übel beleumundeten "Neoliberalismus'" dar.

Exemplarisch formulierte etwa der Erziehungswissenschafter Thomas Damberger (Frankfurt) die entsprechenden Vorbehalte gegen "human enhancement" (unter diesem Begriff werden die sehr unterschiedlichen menschlichen Optimierungsstrategien zusammengefasst): Dabei, so Damberger, "herrscht ein Bild vom Menschen vor, das diesen als ein gestaltbares, formbares und technisch optimierbares Wesen charakterisiert. [...] Der einzelne soll in die Lage versetzt werden, sich selbst entsprechend den Anforderungen des Arbeitsmarktes so zu gestalten, dass er sich [...] erfolgreich verkaufen kann. Wenn ihm das gelingt, erhält er die monetären Mittel, um an der Gesellschaft, an ihrer Kultur usw. partizipieren zu können."

Man könnte nun fragen, worin genau das Problem besteht. Auch Leute wie Damberger haben es ja offenkundig geschafft, sich "erfolgreich zu verkaufen" und erhalten dafür "die monetären Mittel", um an der Gesellschaft zu partizipieren. Was sollte daran schlecht sein, sich Fähigkeiten anzueignen, die "marktfähig" sind - was ja nichts anderes heißt, als dass es Menschen gibt, die an meinen Produkten oder Dienstleistungen ein Interesse haben, für das sie Geld in die Hand zu nehmen bereit sind; was es mir wiederum ermöglicht, Produkte und Dienstleistungen anderer in Anspruch zu nehmen. Und vor allem: Was wäre die Alternative dazu?

Wahre Standortqualitäten

Richtig ist freilich, dass wir in den gegenwärtigen Bildungsdiskursen so etwas wie eine ökonomistische Engführung erleben, die vermutlich nicht einmal ökonomisch sinnvoll ist: Es ist zu bezweifeln, dass dem vielzitierten "Standort" damit am besten gedient ist, dass die Menschen nur auf das diesem Standort "Nützliche", das "Verwert-" und "Anwendbare" hin konditioniert werden. Vielleicht ist ja der bessere "Wirtschaftsstandort" jener, der sich nicht nur "Wirtschafts-"sondern auch als "Geistesund "Kulturstandort" positioniert. In diesem Sinne hat Dambergers Motto "Bildung versus Perfektion" schon seine Berechtigung.

Ob sich jedoch die kühnsten(?) Visionen der Genetiker und Biotechnologen noch als Ausflüsse des Kapitalismus' begreifen lassen, oder ob sich solcherart nicht der Mensch - und damit auch der Kapitalismus - selbst abschaffte, sei dahingestellt. Möglicherweise muss man beide, den Menschen wie den Kapitalismus, vor sich selbst retten. Das ist nun freilich wieder ein typisch konservativer Gedanke, den am schönsten der wissenschaftliche Leiter des Philosophicums, Konrad Paul Liessmann, in seinem Eröffnungsvortrag ausgedrückt hat. Heute stelle sich die Frage, "ob wir überhaupt noch Menschen sein wollen, so Liessmann, um mit einem Plädoyer zu schließen: "Vielleicht ist es an der Zeit, den Menschen, dieses fragile und fragliche Wesen, das nach älteren Lesarten immer zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Geist und Körper, zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, zwischen Natur und Kultur schwanken muss, zumindest gegenüber den Gebildeten unter seinen Verächtern zu verteidigen."

Man kann die ganze Sache aber auch ganz entspannt angehen und versuchen Druck aus der Debatte herauszunehmen. Der Wissenschaftssoziologe Sascha Dickel (München) wirbt für eine solche Sicht der Dinge: "Die Ambivalenzen des Cyborgs (Mensch-Maschine-Mischwesen, cybernetic organism; Anm.) sind unsere Ambivalenzen. Die Zukunft ist schon da. Wir sind bereits technisch erweitert. Durch Autos etwa. Durch Smartphones." Überhaupt die Smartphones -die seien, so zitierte Dickel aus der Süddeutschen Zeitung, "ein solch beherrschender und vereinnahmender Teil des täglichen Lebens" geworden, "dass der sprichwörtliche Besucher vom Mars sie für ein wichtiges Merkmal der menschlichen Anatomie halten könnte".

Alles also wie gehabt, kein Grund zur Aufregung? Bis zu einem gewissen Grad, ja. Der Mensch war schon immer das Wesen, das "enhancement" (Steigerung, Hebung, Verbesserung) betrieben hat. Und immer schon war es so, wie es laut Dickel auch künftig sein wird: "Die Cyborgisierung bringt uns neue, bislang unbekannte Freiheiten. Sie wird unser Leben entlasten. [...] Doch sie wird zugleich neue Formen der Last und der Unfreiheit mit sich bringen."

Moral Enhancement

Offen bleibt indes die Frage, die sich im Anschluss an Liessmanns Plädoyer für die Verteidigung des Menschen stellen ließe und die vielleicht die entscheidende wäre: jene nach geistiger oder moralischer Optimierung oder besser: Erneuerung. Diese Frage blieb mit Ausnahme Liessmanns und des Theologen Dietmar Mieth (siehe Interview nächste Seite) allerdings weitgehend ausgespart.

Welches Bild vom Menschen liegt denn unseren Optimierungsstrategien zugrunde? Von der Antwort darauf könnte es ja nicht unmaßgeblich abhängen, welche Freiheiten und Lasten künftige Entwicklungen mit sich bringen bzw. wie wir mit diesen umgehen. Ein bisschen Kapitalismus- und Technikschelte wird da zuwenig sein. Vielleicht kommt das ja nächstes Jahr, beim Jubiläums-Philosophicum, zur Sprache, wenn über "Gott und die Welt" nachgedacht wird. Fertig sind wir jedenfalls noch lange nicht.

20. Philosophicum Lech

"Über Gott und die Welt. Philosophieren in unruhiger Zeit"

21. bis 25. September 2016 www.philosophicum.com

Der neue Mensch

"Neue Menschen! Bilden, optimieren, perfektionieren": Unter diesem Titel wurde beim diesjährigen Philosophicum Lech über Chancen und Gefahren gegenwärtiger Strategien zur Optimierung und Perfektionierung des Menschen nachgedacht und diskutiert. Die Vorstellung eines neuen Menschen ist freilich eine alte, nicht zuletzt auch biblisch begründete.

Redaktion: Rudolf Mitlöhner

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