"Wir sind sozialer durch MEHR NATUR"

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Die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher plädiert in ihrem neuen Buch für neue Perspektiven in der Siedlungspolitik. Der Mensch sehnt sich nach Grünraum und nach Orten der Entspannung. | Das Gespräch führte Juliane Fischer

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Die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher plädiert in ihrem neuen Buch für neue Perspektiven in der Siedlungspolitik. Der Mensch sehnt sich nach Grünraum und nach Orten der Entspannung. | Das Gespräch führte Juliane Fischer

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Dass der Mensch ein politisches und städtisches Wesen ist, ist ein vielgehegtes Urteil. Dass wir aber mit Savanne und Wald äußerst eng verbunden sind, zeigt sich dort, wo die Natur fehlt. In der Stadt. Elisabeth Oberzaucher ist Verhaltensbiologin und plädiert für ein intelligentes Zurück zur Natur, bei voller Urbanität.

DIE FURCHE: Sie haben für Ihren Buchtitel den Kunstbegriff des ,Homo Urbanus' geschaffen. Was macht uns zu einem solchen?

Elisabeth Oberzaucher: Wir sind immer mehr Stadtwesen geworden und dieses Leben stellt uns vor neue Herausforderungen. Weil wir auf biologischer Ebene keine Antworten darauf haben, sind sie auf sozialer und kultureller Ebene gefragt. Neben den biologischen Systembedingungen ist die Interaktion mit der Umwelt ein zentraler Faktor, der zur Ausbildung von Eigenschaften notwendig ist. Da geht es um hormonelle, ernährungsmäßige und soziale Einflüsse zum Beispiel.

DIE FURCHE: Welchen Unterschied macht da ein städtisches Umfeld im Vergleich zum ländlichen?

Oberzaucher: Städte sind eine junge Erfindung; die ersten sind circa 3500 Jahre vor Christus entstanden. Dementsprechend sind Naturelemente - Pflanzen, Wasser, Grün - etwas, das uns aus der Evolutionsgeschichte her vertrauter ist. Das offene Grasland mit vereinzelten Baumgruppen sowie Wasserstellen, deren Ergiebigkeit in den Regen- und Trockenperioden stark variiert, ist die Bühne, auf der die Evolution der Gattung Homo stattgefunden hat.

DIE FURCHE: Ist die Sehnsucht nach dem Grünen also evolutionstheoretisch erklärbar?

Oberzaucher: Ja, Pflanzen haben eine wichtige Rolle gespielt, einerseits, weil selbst als Ressourcen, andererseits, weil sie unsere Vorfahren auf andere lebensnotwendige Ressourcen hingewiesen haben. Wo sich Vegetation nicht halten kann, kann der Mensch nicht existieren.

DIE FURCHE: Naturlandschaften lösen positive emotionale und physiologische Reaktionen aus. Wie funktioniert das?

Oberzaucher: Wasser und Pflanzen beispielsweise bestimmen die Attraktivität von Stadtlandschaften. Die positiven Auswirkungen der Natur auf den Menschen, auf Wohlbefinden, Kognition, Gesundheit und Gefühlswelt, nennt man Biophilie. Allein das Vorhandensein von Naturelementen kann Interaktionen fördern, was im Stadthabitat von großer Bedeutung ist, weil die soziale Komplexität aufgrund der Populationsdichte das Miteinander dort besonders erschwert.

DIE FURCHE: Was geschieht da anatomisch, wenn wir in der Natur sind?

Oberzaucher: Physiologisch passiert einiges. Auf der emotionalen Ebene wird die allgemeine Zufriedenheit gesteigert. Wir entspannen uns. Stressabbau funktioniert sehr viel besser als in urbanen Umgebungen. Studien zeigen, dass Angstgefühle abnehmen. Beispielsweise hat der Architekturprofessor Roger S. Ulrich bei einem Training zur Vermeidung von Arbeitsunfällen einen Film über solche gezeigt. Die blutigen und schrecklichen Szenen lösten bei den Kursteilnehmern eine Stressreaktion aus, die auch physiologisch messbar war. Danach teilte man die Teilnehmer in zwei Gruppen: Die erste sah einen Film mit Naturaufnahmen und die zweite einen mit Stadtlandschaften. In beiden Gruppen nahmen die Stressindikatoren ab; allerdings normalisierten sich physiologische Parameter wie die Herzrate und die Hautleitfähigkeit bei denjenigen Teilnehmern schneller, die Naturaufnahmen sahen. Auch empfand diese Gruppe weniger Angst und mehr positive Gefühle.

DIE FURCHE: Wir nutzt man die gesundheitlichen Effekte?

Oberzaucher: Je mehr Natur wir zum Beispiel im Krankenhaus um uns haben während der Rekonvaleszenz, desto schneller erholen wir uns. Regelmäßiger Naturgenuss stärkt die Gesundheit, der Körper ist so von vornherein weniger anfällig. Was unserem Immunsystem gar nicht gut tut, ist, wenn wir wie Laborratten unter sterilen Bedingungen aufwachsen. Es muss lernen, mit Allergenen umzugehen. Wenn das im Laufe der Entwicklung nicht passiert, sind wir gefährdet, dass wir später im Leben Unverträglichkeiten entwickeln. Das klassische Im-Dreck-Wühlen und Erde-Essen als Kleinkind ist immunsystemstärkend. Ich bin eine große Anhängerin davon.

DIE FURCHE: Mittlerweile ist das Habitat Stadt aber zum vorherrschenden Muster geworden. Welche evolutionsbiologischen Folgen sind zu erwarten?

Oberzaucher: Mir wäre es lieber, wenn wir einen anderen Weg einschlagen würden, als dass wir weiterhin unsere Verstädterung hauptsächlich von ökonomischen Überlegungen leiten lassen. Wir sollten uns konzentrieren auf das, was uns Menschen liegt, worauf wir schon Antworten gefunden haben. Versuchen wir doch die Städte so zu gestalten, dass sich Menschen, die dort leben, nicht verbiegen müssen!

DIE FURCHE: Aber ist das Leben in der Natur für alle leistbar?

Oberzaucher: Der Statuszusammenhang ist ein großes Problem. Das Wohnumfeld von ärmeren Menschen ist im Regelfall ein weniger grünes. Der Architekt Harry Glück hatte ja das Motto "Wohnen wie die Reichen für alle" und für ihn waren Naturelemente ganz zentral. Die Naturnähe war eine der großen Stärken seiner Wohnbauten und Grund, weswegen sie so beliebt sind.

DIE FURCHE: Vor allem das Großstadtleben unterscheidet sich grundlegend vom Jägerund Sammlerdasein unserer menschlichen Vorfahren. Daraus folgen Anpassungsfehler, die teilweise unser Leben verkomplizieren. Was wäre das zum Beispiel?

Oberzaucher: Wenn die Lösung, die wir im Laufe der Evolution entwickelt haben, nicht auf das aktuelle Problem passt, ist das ein evolutionärer Fehlpass. Davon gibt es bei diesem Thema viele. Denn die Rahmenbedingungen sind geprägt durch das Leben in der Savanne. Unsere Vorfahren lebten in relativ kleinen Gruppen mit 100 bis 150 Mitgliedern. Ein Punkt ist also die soziale Komplexität. Auf der biologischen Ebene haben wir keine Antworten, wie wir mit der urbanen Anonymität und großen Gruppen umgehen. Also erfinden wir auf unseren kulturellen Ebenen Strategien.

DIE FURCHE: Und zwar welche?

Oberzaucher: Wir schaffen Kategorien. Das Schubladendenken hilft uns, mit der Stadt umzugehen. Und wir gehen mit Scheuklappen auf der Straße, sonst wäre unser Gehirn überlastet.

DIE FURCHE: Ist die Grätzelbildung auch eine Folge daraus?

Oberzaucher: Genau, und auch hier zeigt sich: Naturelemente machen uns sozialer. Das haben wir in einem Urban-Gardening-Projekt untersucht. Viele Anwohner haben uns Hilfe angeboten. Das war so ein sozialer Ankerpunkt, ein Kristallisationskeim, wo man Dinge entwickeln kann. Durch die Pflanzen sind wir eher geneigt, freundlich positiv miteinander zu interagieren. Passanten kommen rascher miteinander ins Gespräch. Wir investieren Arbeit, Zeit, Energie in die Erhaltung des Gartens. Das steigert unsere territoriale Identifikation und wir übernehmen Verantwortung. Durch die Interaktion mit dem Raum und dem Nachbarn kommt es zu einer Verquickung, die man Nachbarschaft nennen kann.

DIE FURCHE: Welche Effekte hat die innerstädtische Begrünung?

Oberzaucher: Anfang des 20. Jahrhunderts ist eine Sauerstoffpanik in den Städten ausgebrochen. Man bestimmte eine Baumanzahl pro Person und pflanzte viele Alleen. Doch die Messgeräte wurden besser und eine Gasmessung an einem Sommertag im Laubwald brachte das böse Erwachen: Wenn es heiß ist, stellen die Bäume von Photosynthese auf Atmung um, als Schutz vor Wasserverlust. Unter diesen Bedingungen ist die Kohlenstoffdioxidbelastung höher als in der Innenstadt. Damit war die Sauerstoffgeschichte kein hundertprozentiges Argument mehr.

DIE FURCHE: Aber es gibt andere Argumente für Grün in der Stadt.

Oberzaucher: Mit den positiven Auswirkungen des städtischen Grüns auf die Psyche hat sich der Städteplaner Camillo Sitte, der in Wien im Schatten von Otto Wagner stand, beschäftigt. Er sprach von ,sanitärem Grün', das gesundheitlich relevant ist. Es wirkt visuell auf uns. Das Auge kann sich ausruhen. Eine Studie von Omid Kardan und Mitarbeitern in Toronto konnte einen positiven Effekt auf das Herz-Kreislauf-System nachweisen und stellte fest, dass diese Wirkung auf das Grün zurückgeht, dem die Bewohner direkt und visuell ausgesetzt sind.

DIE FURCHE: Wie bekommt man die Biologie in die Stadt hinein?

Oberzaucher: Städteplanerische Maßnahmen umfassen Platzgestaltung genauso wie Bauten mit grünen Fassaden und Dachbegrünungen. Wir haben in allen größeren Städten Österreichs Bereiche, wo es weniger Grün gibt. Da kann man bei den Nachverdichtungsmaßnahmen ausgleichend auch Dachgärten ausbauen.

Homo urbanus

Ein evolutionsbiologischer Blick in die Zukunft der Städte,

Von Elisabeth Oberzaucher, Springer Verlag 2017.

251 Seiten, Softcover, € 17,47

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