"Wir tragen das Stigma des Terrors"

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Erst die "Provokation" des Papst-Zitates habe eine gemeinsame Reaktion der islamischen Theologen und Schulen zuwege gebracht, kritisiert Prinz Hassan bin Talal im Furche-Gespräch. Das liege daran, dass Mekka als letzte Instanz der Muslime versagt. So wie die politischen Führer im Orient - "von denen sich niemand nach ethischen Grundsätzen richtet".

Die Furche: Ihre Königliche Hoheit, im Westen wird der Islam häufig als eine Religion angesehen, die Terror ermutigt und gewaltsame Reaktionen als Problemlösung lehrt.

Prinz Hassan bin Talal: Ich bin ein Muslim und kein Islamist. Ich privatisiere Religion nicht, wie Osama bin Laden dies tut, der als de-regulierende Kraft wirkt. Doch es wird ein großes Problem, wenn wir Al Kaida in dieselbe Kategorie einordnen wie die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah. Al Kaida ist eine anarchistische Bewegung mit dem Ziel, eine neue internationale Hierarchie unter Führung von skrupellosen Menschen zu errichten. Hamas kam durch nationale Wahlen an die Macht. Doch dann signalisierte der Westen den Palästinensern: Wir wollen Demokratie, aber wir wollen nicht eure Art von Repräsentation. Man gewinnt den Eindruck, dass der Westen nicht das geringste Interesse hat, zwischen Islam und Islamisten zu unterscheiden.

Die Furche: Was kann, was soll der Westen tun, um dem wachsenden Extremismus und der Gewalt im Orient Einhalt zu gebieten?

Prinz Hassan: Man hat uns das Stigma des Terrors aufgeprägt und damit jede Möglichkeit nach den Ursachen zu fragen blockiert: Armut, Ausgrenzung der Machtlosen; wie können wir eine Zivilgesellschaft schaffen, wie die Bürger bilden, wie Redefreiheit fördern? Nirgendwo anders sind die Gefahren zusammengeballt wie hier: atomare Aufrüstung, Terror, Kriminalität. Jene, die die Kriminalität finanzieren, haben heute leichteren Zugang zu Geldquellen als zuvor. So etwa die Kriegs-, die Opiumherren in Afghanistan. Es entwickelt sich eine Art von Anti-Zivilgesellschaft, die allmählich die wahre Zivilgesellschaft wird. Den Menschen im Westen sage ich: Behandelt religiöse Angelegenheiten mit Fairness! Entwickelt Verständnis für Pluralismus auf der Basis des Respekts für die Tradition der anderen! Und akzeptiert, dass diese Region Teil unserer gemeinsamen Vielfalt ist und ihren Beitrag zu einer multi-rassischen, multi-ethnischen Gesellschaft leisten kann, an der wir alle teilhaben.

Die Furche: Aber im Westen macht sich auch Frustration darüber breit, dass die islamische Welt den gewalttätigen Islamismus willfährig duldet.

Prinz Hassan: Das ist Unsinn. Viele Muslime, vor allem in Europa und auf dem Balkan, sind selbst über Generationen vor der Gewalt geflüchtet. Sie flüchteten auch vor der so genannten "heiligen Inquisition". Wenn es dennoch eine Duldung des Dschihadismus zu geben scheint, dann hängt dies mit der mangelnden demokratischen Partizipation zusammen, mit der zum Schweigen verdammten Mehrheit, der man die ihr zustehenden Rechte verwehrt, den Frauen, denen man die Gleichberechtigung vorenthält. Sie dulden willfährig die politischen Realitäten, in denen sie leben, weil sie keinerlei Möglichkeit haben, aktiv daran teilzunehmen, oder gar sie zu verändern. Plötzlich erscheint Bin Laden und redet ihnen ein, dass sie durch Gewalt ihre Rechte gewinnen können. Die Ätherwellen sind voll von Hass. Niemand vermag einen Wandel zu Regierungsformen zu erkennen, die sich nach ethischen Grundsätzen richten. Jene, die hier von einer Demokratisierung von oben herab sprechen, wählen die falsche Strategie.

Die Furche: Tragen die westlichen Medien Verantwortung für ein falsches Islambild, für eine Vergiftung des Klimas zwischen den Kulturen?

Prinz Hassan: Ja. Es wäre dringend nötig, eine Allianz zwischen Medien und Wissenschaft zu bilden. Denn ein großer Teil der Medien wird von Sensationslust geprägt - und es gibt heute so viele sensationslüsterne Politiker. Durch Gewaltakte, durch inhumanes Verhalten schaffen sie Angst. Wir haben drei Phasen der Angst durchschritten: die Angst vor dem anderen; die Angst vor jenen zu Hause und - die schlimmste Form: die Angst vor dem Frieden. Während wir über Koexistenz und gegenseitige Einbeziehung sprechen, sind wir beinahe darauf fixiert, keine Gemeinsamkeiten zu finden, Trennlinien zu ziehen, Mauern zu errichten. Die Berliner Mauer ist eingestürzt und neue Mauern entstehen - zwischen Saudi-Arabien und dem Irak, zwischen Palästinensern und Israelis, zwischen Mexikanern und Amerikanern, aber auch in unserer Psyche, von jenen errichtet, die die Wahrheit monopolisieren. Was können wir, die so genannte zum Schweigen verurteilte Mehrheit, da noch tun?

Die Furche: 500 islamische Gelehrte zum Beispiel haben im Oktober in Jordanien eine Zusammenstellung von Fatwas (religiösen Edikten) veröffentlicht, in denen sie bekräftigen, dass "der wahre Islam böswilligen Terror und Aggression" verbietet. Aber das Dokument fand im Westen wenig Aufmerksamkeit.

Prinz Hassan: Leider hat es der Provokation (das Zitat über Islam und Gewalt von Papst Benedikt XVI., Anm.) bedurft, damit sich 38 islamische Theologen und Vertreter der acht Schulen der islamischen Jurisprudenz zu einer Erklärung zusammenfinden. Doch diese Antwort hätte durch Konsultationen in Mekka formuliert werden müssen. Aber wir haben dieses Gleichgewicht verloren, weil die moralische Autorität, an die wir Muslime uns wenden können, Mekka, sich für nichts anderes mehr engagiert als für Rituale. Wo bleibt da das Gespräch, wo die Strategie, um einen Dialog zwischen uns und den anderen zu entwickeln? Hier besteht ein Auffassungsproblem und wir brauchen praktische Programme. Wenn Sie sich ein Urteil über meine Religion bilden wollen, dann schauen Sie in die anerkannten Texte. Denn wenn wir Meinungsverschiedenheiten nur durch Gewalt zu lösen versuchen, dann stacheln wir Fanatiker zu ihren schlimmsten Taten auf.

Die Furche: Was hat der Dialog der Kulturen und Religionen erreicht, wo ist er fehlgeschlagen, wo liegen die größten Schwierigkeiten?

Prinz Hassan: Ich habe am Weltfriedensgebet in Assisi teilgenommen - eine wunderbare Demonstration des guten Willens. Manche befürchten, dieser gute Wille führe zu einer Verschmelzung gegensätzlicher religiöser Lehren, aber das hat nichts mit Synkretismus zu tun: Man soll daran festhalten, woran man glaubt, doch dem anderen und seinem Glauben Respekt zollen. Das ist die wichtigste Sicherheitsmaßnahme, die religiöse Autoritäten treffen sollen, wenn sie einen Dialog entwickeln. Unser Ziel muss es sein, den Heiligen Schriften eine analytische Übereinstimmung der Werte zu entnehmen: Was haben wir gemeinsam? Wo gibt es Auffassungsunterschiede? Grundsätzlich sollen wir anerkennen, dass der säkulare Staat Meinungsfreiheit fördert. Das Problem besteht darin, dass es zu viele schriftliche Quellen gibt, Traditionen, die selektiv zitiert und interpretiert werden und sehr verwirrend sind. Was wir brauchen, ist ein Verhaltenskodex und ich versuche dabei, ein gemeinsames ethisches Empfinden zu fördern.

Das Gespräch führte Birgit Cerha.

Arabische Stimme der Vernunft

Prinz Hassan bin Talal, 1947 als jüngster Sohn des jordanischen Königs Talal und direkter Nachkomme des Propheten Mohammed in Amman geboren, genoss in England die beste abendländische Ausbildung, studierte orientalische Sprachen, Geschichte und Politologie in Oxford und stand von 1965 bis 1999 seinem unterdessen verstorbenen Bruder König Hussein als Kronprinz und engster Berater zur Seite.

Nach dem Tod des Königs zog er sich aus der aktiven jordanischen Politik zurück und widmet sich seither voll seinem Herzensanliegen: der Verständigung zwischen den Kulturen, der Entwicklung und Förderung eines gemeinsamen ethischen Bewusstseins. Hassan, der über hervorragende internationale Beziehungen verfügt, bekleidet leitende Positionen in zahlreichen angesehenen internationalen Gremien, wie dem Club of Rome, der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden, der "Initiative gegen atomare Gefahren", oder dem "Arab Thought Forum". Hassan ist als einziger Muslim Mitglied des Führungsgremiums des Zentrums für hebräische Studien an der Universität Oxford. Er engagiert sich aktiv für die neue Initiative "Koexistenz der Kulturen" des "Nordischen Rates" (einem fünf nordeuropäische Länder vertretenden Beratungsgremium). Hassan machte sich durch seine liberalen Ansichten einen Namen. Dabei scheut er auch nicht scharfe Kritik an arabischen Führern. Ihnen warf er jüngst vor, "Milliarden von ihren Völkern zu stehlen, um damit Waffen zu kaufen für den Kampf gegen Israel, das sie nie besiegen werden".BC

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