"Wir wollen nur noch jung und gesund sein“

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Anti-Aging-Forschung steht heute hoch im Kurs: Philosoph Robert Pfaller über den neuen Schrecken des Alters und das gute Leben vor dem Tod.

Das Gespräch führte Martin Tauss

Die alte Suche nach dem Jungbrunnen steht heute ganz im Zeichen der Wissenschaft. Aufgrund moderner Medizin und verbesserter Lebensbedingungen hat sich die Lebenserwartung in den letzten 170 Jahren verdoppelt, und weltweit versuchen Wissenschafter zu erforschen, wie der Alterungsprozess weiter hinausgezögert werden kann. Das Spektrum der Anti-Aging-Medizin reicht von der Prävention altersbedingter Krankheiten bis hin zu Kosmetik und Schönheitschirurgie. Ein Kongress in Wien präsentierte hierzu aktuelle Entwicklungen, wobei auch Raum für philosophische Reflexion geboten wurde. Der Kulturphilosoph Robert Pfaller plädierte dafür, sich das "gute Leben nicht schon vor dem Tod nehmen zu lassen“ - DIE FURCHE traf ihn vor Ort zum Gespräch.

Die Furche: Wie bewerten Sie in unserer Gesellschaft die Einstellung zum Alter?

Robert Pfaller: Mein Eindruck ist, dass sich unser Verhältnis zum Alter in den letzten Jahrzehnten dramatisch verschlechtert hat. Wir wollen nur noch jung und gesund sein - oder zumindest so aussehen -; aber am besten ewig leben. Das steht im Widerspruch zur Bemerkung des Philosophen Epikur, wonach der Weise sich nicht das größte Brot aussuche, sondern das süßeste. Zugleich widerspricht es dem für die 1970er-Jahre maßgebenden Prinzip: "It’s better to burn out than to fade away“. Für unsere Zeit müsste man hingegen formulieren: "Es ist besser, einzufrieren und ängstlich und verblasst dahinzuvegetieren als jenes Risiko zu nehmen, das man früher Leben nannte.“ Und darum will man auch keine Spuren davon sehen.

Die Furche: Welche Indizien deuten auf einen Wandel in der kulturellen Wahrnehmung des Alters?

Pfaller: Ähnlich wie die "Lesbian & Gay Pride“-Bewegungen in den 1970er-Jahren formieren sich heute Bewegungen, die man als "Aging Pride“ - "Stolz auf das Alter“ - bezeichnen kann. Es ist schon sehr verwunderlich, dass so etwas nötig geworden ist. Generell haben wir bei vielen Dingen, die wir früher zu bewundern und zu lieben imstande waren - etwa auch bei bestimmten Genussmitteln, beim Flirten, beim Aufbauen von Geschlechterspannung, beim Müßiggang, oder bei der Großzügigkeit etc. - völlig die Fähigkeit verloren, aus dem Schwierigen, Zwiespältigen, etwas Grandioses zu machen. So eben auch beim Altern.

Die Furche: Welche Hoffnungen sind heute mit Langlebigkeit verbunden?

Pfaller: Ich glaube, keine. Wir wollen nicht alt werden um des Lebens willen, sondern nur um dem Tod auszuweichen.

Die Furche: Inwiefern ist das kulturelle Verhältnis zum Alter für unser Leben relevant?

Pfaller: Es ist ganz klar: Altern ist nicht einfach etwas Schönes. Als man Woody Allen fragte, was er vom Alter halte, sagte er zu Recht: "Da kann ich nur abraten.“ Aber das heißt noch lange nicht, dass man das Alter nur noch als Schrecken wahrnehmen kann. Auch ein Glas Whisky ist nicht immer bekömmlich; manchmal ekelt sogar die Whiskyliebhaber davor. Aber Kultur heißt, dass die Individuen durch Ritualisierung in die Lage versetzt werden, etwas, das sie normalerweise eklig oder anstößig oder ungesund finden, in bestimmten, meist geselligen Momenten als etwas Großartiges erleben können. Diese kollektive Dimension der Kultur geht uns durch Privatisierung mehr und mehr verloren. Darum können wir Whisky oder Altern kaum mehr ertragen. Und auch Liebe und Sex erscheinen vielen längst als etwas viel zu Beschwerliches.

Die Furche: Das heißt, wir haben nicht nur ein problematisches Verhältnis zum Alter, sondern auch zu den Genüssen?

Pfaller: Entgegen der Auffassung vom Menschen als "Lusttierchen“ glaube ich, dass Genüsse den Menschen nicht besonders leicht zugänglich sind. Und Praktiken des Genusses sind in der Regel nicht ohne eine ungute Dimension zu haben: Zuviel Alkohol macht Kopfweh, Partys kosten Zeit und Geld, etc. Aber genau das ist es, was uns in bestimmten Momenten einen Triumph verschafft. Wenn wir feiern, als ob es kein Morgen gäbe, fühlen wir uns großartig: Wir haben dann das Gefühl, nicht nur Sachbearbeiter unserer Lebensfunktionen zu sein, sondern endlich einmal auch Führungskräfte, gewissermaßen auf Augenhöhe mit dem Leben. Das ist das eigentlich Großartige daran.

Die Furche: Steht "Anti-Aging“ im Widerspruch zu einem "guten Leben“?

Pfaller: Auf jeden Fall. Gutes Leben heißt nicht, dass wir kein Altern mehr wahrnehmen müssen. Es heißt, dass wir damit umzugehen lernen.

Die Furche: Welche Hilfestellungen kann die Philosophie für den Umgang mit dem Alter anbieten?

Pfaller: Zu erkennen, dass Altwerden in unserer Gesellschaft nicht auf der Ebene der Tatsachen, sondern der Einbildungen über die Tatsachen zu einem Riesenproblem geworden ist. Es gibt Dinge, die unangenehm und schlimm sind, aber was sie wirklich ganz schlimm macht, ist unsere Einbildung. So sagt der Stoiker Epiktet: "Was die Menschen in Aufruhr versetzt, sind nicht die Tatsachen, sondern ihre Einbildungen über die Tatsachen.“ Hier liegt ein möglicher Nutzen, den die Philosophie für die Medizin haben kann: nämlich anzuregen, dass auch die Einbildungen, die über Tatsachen gehegt werden, zuweilen kuriert werden müssen.

Die Furche: Wie könnte eine solche "philosophische Therapie“ funktionieren?

Pfaller: Etwa sich die wesentliche Frage in Erinnerung zu rufen, wofür es sich zu leben lohnt: Allein das Stellen der Frage ermöglicht es, vor Tatsachen wie dem Alter nicht zu erstarren, nicht in Panik zu geraten, die Dinge nicht als obszön und unüberwindlich wahrzunehmen. Die entscheidende Funktion dieser Frage ist es, bestimmte Dinge zu relativieren, zum Beispiel auch das Gesundsein und die ständige Selbstoptimierung. Dann müssen wir nicht mehr um jeden Preis das Leben erhalten, gesund oder vernünftig sein. Wenn Gesundheit das Allerwichtigste wird, wenn wir immer nur gesund sein wollen, dann ist das doch eigentlich sehr ungesund. Wir fühlen uns dann sehr verletzlich und ausgesetzt, und fangen womöglich auch an, den Genuss der anderen zu hassen. Von daher die Angst vor den Dicken, den Rauchern, den Trinkern, etc. Das ist übrigens eines der ungesündesten Bewegmomente zeitgenössischer Individuen.

Die Furche: Was wäre für Sie dann ein "gutes Altern“ in einem "guten Leben“?

Pfaller: Es reicht schon, wenn wir schlechtes Leben mehr fürchten als den Tod, so die Formulierung von Bertolt Brecht. Wir müssen lernen, auf vernünftige Weise vernünftig zu sein und auf gesunde Weise gesund zu sein, denn sonst verhalten wir uns wie altkluge Kinder: Diese haben zwar die Vernunft für sich entdeckt, aber noch nicht gelernt, die Vernunft auch vernünftig zu relativieren. Daher sind diese altklugen Kinder völlig ratlos, wenn die Erwachsenen dann auch einmal unvernünftige Dinge tun wie zum Beispiel Alkohol trinken, sich verlieben, ironisch sprechen, etc. Wenn wir uns hingegen wie Erwachsene verhalten, dann ist es auch kein großes Problem, wenn wir ältere Erwachsene werden und irgendwann auch tatsächlich so aussehen.

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