"Wir wollen zumindest mitmischen"

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Bislang führt das Museum Moderner Kunst im Wiener Museumsquartier ein Schattendasein. Edelbert Köb, seit Jahresbeginn Direktor der traditionsreichen Institution, über seine Pläne, seine Ziele, sowie die Aufgaben und Grundfragen der Kunst.

die furche: Einer der ersten Schritte, die Sie als neuer Direktor des Museums moderner Kunst angekündigt haben, war die Schließung des Museums vom 21. Mai bis 18. Juni. Warum?

edelbert köb: Zur Zeit ist im ganzen Haus die Sammlung ausgestellt. Das ist für ein Museum nicht der Normalzustand. Ein Museum moderner Kunst arbeitet mit nicht gesicherten Werten. Ich muss sie immer wieder zur Diskussion stellen, austauschen, in andere Zusammenhänge bringen, sie dem Diskurs aussetzen.

Mein Vorgänger hat die Sammlung präsentiert, genau genommen neun Prozent der Sammlung, und damit das ganze Haus bespielt. Wenn ich nun den Normalzustand eines Museums moderner Kunst herstellen möchte, dann muss ich die Sammlung zeigen und Ausstellungen machen.

Wenn ich nun das Haus in Sammlungsetagen und Ausstellungsetagen einrichten möchte, dann muss ich die ganze Sammlung umstellen. Und sie können 500 Kunstwerke, von denen manche Installationen oder Raumeinbauten sind, nicht umstellen, ohne das Haus zu schließen. In dem Moment, wo einmal die Umstellung geschafft ist in Sammlungsetagen und Ausstellungsetagen, kann ich das im Wechsel machen. Einmal stelle ich die Sammlung um, dann habe ich die Ausstellung geöffnet und umgekehrt. Um diesen Normalzustand herzustellen, muss ich leider einmal schließen.

die furche: Hat die Schließung auch etwas mit dem, wie manche Kritiker meinen, misslungenen Bau zu tun?

köb: Das hat mit dem Bau überhaupt nichts zu tun. Ich muss einmal die ganze Sammlung wegräumen und neu aufstellen. Das muss ich mit Mängelbehebungen verbinden. Wie in jedem großen Haus stellt sich heraus, was man verbessern, adaptieren, umstellen muss, weil es nicht funktioniert und zwickt.

Dann gibt es natürlich noch Dinge, die mit meinen persönlichen Vorstellungen zusammenhängen, wie man Kunst präsentiert. Eine Zeitung hat geschrieben, das ist ein Wahnsinn, da kommt ein neuer Direktor und hat neue Ideen, und man soll irgend etwas umstellen. Ich bin der Meinung, dass man einen neuen Direktor holt, damit er neue Ideen verwirklicht, und die haben eben auch ihre Folgen.

die furche: Ihr Vorgänger Lorand Hegyi hatte seinen Sammlungsschwerpunkt vor allem in der mittel- beziehungsweise osteuropäischen Kunst. Welche Schwerpunkte werden Sie in der Ankaufspolitik setzen?

köb: Im Moment haben wir kein Geld für Ankäufe. Die Eröffnungsbilanz sieht, was das betrifft, ziemlich triste aus. Ich habe einen Vertrag für fünf Jahre, da kann man nicht so große Dinge bewegen. Man muss von dem ausgehen, was man hat, das heißt Lücken schließen, Ergänzungen machen.

Ich möchte im historischen Teil den Wiener Aktionismus forcieren. Wir haben noch zwei weitere Schwerpunkte, Pop Art und Fluxus, wo der Aktionismus sehr gut dazu passt. Diese sind zeitparallel, gesellschafts- und handlungsbezogen, und das können wir uns noch leisten. Sonst ist uns der Kunstmarkt bei der historischen Kunst so davon galoppiert, dass wir gar nicht konkurrenzfähig sind. Die Künstler des Aktionismus leben noch, da sind die Archivalien sehr wichtig, ob das Filme, Dokumente sind, das können wir alles noch erstehen.

Wir werden auch ein Archiv aufbauen, da gehört auch die Wiener Gruppe dazu. Das ist vielleicht der wichtigste Beitrag der österreichischen Kunst nach 1945, und ich finde es gut, wenn das Museum einen österreichischen Schwerpunkt hat. Was die Gegenwartskunst betrifft, so wollen wir vermehrt Lücken schließen, und in Zukunft wollen wir vor allem im Bereich der Medien sammeln: Foto, Video, Film und so weiter. Ich finde, dass im Bereich der Medien und der großen Videoprojektionen ganz wesentliche Dinge passieren.

die furche: Sie haben einmal von "Themenführerschaft" gesprochen? Glauben Sie, dass Sie die erreichen können?

köb: Natürlich ist die Themenführerschaft nicht unumkämpft, aber das tut der Sache gut. Das Museum moderner Kunst ist an und für sich das Haus, das die Themenführerschaft haben sollte. Es ist das größte, und in ähnlichen Städten ist es ebenso. Wir sind aber nicht mehr Marktführer wie vor vierzig Jahren. Es ist schon gut, wenn es uns gelingt, uns auf gleicher Ebene einzuklinken; sagen wir so: wir wollen zumindest mitmischen.

Ich lese gerade, dass der Kollege Noever vom Museum für angewandte Kunst gesagt hat, dass er mit seiner russischen Ausstellung die Themenführerschaft hat oder der Kollege Matt sagt, dass seine Kunsthalle das wichtigste Haus für zeitgenössische Kunst ist. Die Themenführerschaft beanspruchen viele, und man muss sagen, dieses Haus hat sie auch bis zu einem gewissen Grad verloren. Die Gewichte sollten aber doch ein bisschen anders sein. Wir müssen nicht immer die aktuellsten, jüngsten Künstler machen, die macht der Matt, da kann er sagen, da hat er die Themenführerschaft. Die Sezession macht wieder diejenigen, die vielleicht in zwei Jahren bei der Biennale in Venedig auftauchen. Da da haben sie ein gutes Auge, viele von ihren Künstlern sind später bei der Documenta.

die furche: Früher einmal hatte die Kunst viele Aufgaben, bis zum Barock zum Beispiel den Transport religiöser Inhalte oder die Repräsentation herrscherlicher Macht. Ist es Ihrer Meinung nach ein Problem, dass die Kunst solche Aufgaben heute verloren hat?

köb: Die Kunst hat viele Aufgaben der Vergangenheit verloren, zum Beispiel die Aufgabe der Abbildung. Es hat keinen Fotoapparat und keinen Film gegeben. Sie hat früher Dinge erklärt und Geschichten erzählt, zum Beispiel auf Kirchenwänden oder auf irgendwelchen Blättern. Das muss sie auch nicht mehr tun, weil das die Zeitungen und der Rundfunk übernehmen. Sie hat auch die Aufgabe verloren, gemeinsam mit der Architektur zu wirken, weil die Architektur in der Moderne auch autonom geworden ist.

Ansonsten spiegelt die Kunst die ganze Heterogenität des modernen Lebens wieder. Wir haben keine verbindenden Ideologien mehr, keine verbindenden Zeichen und Symbole, und alles das spiegelt sich in der Kunst. Die Dynamik und die großartige Offenheit der Welt, die viel komplexer geworden ist. Diese ganze Komplexität ist in der Kunst enthalten. Manche empfinden ja den Globalismus und alle diese Dinge als Bedrohung, als schreckliche, völlige Orientierungslosigkeit. Um diese Welt auf Schwarzweißbilder zu vereinfachen, da hilft die Kunst natürlich nicht. Die Kunst ist so, wie die Gesellschaft sich entwickelt, und ich kann sie faszinierend finden in ihrer Vielfalt und Dynamik, wo alles das auch enthalten ist, was Sie gesagt haben, und das finde ich eben spannend.

die furche: Wo findet sich die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst? Liegt es beim Künstler allein, sein Werk als Kunstwerk zu definieren oder setzt die Gesellschaft die Kriterien, warum etwas als Kunstwerk zu gelten hat oder kommen diese Kriterien aus dem Kunstbetrieb?

köb: Zynisch könnte man sagen, was Kunst ist, das bestimmen die Gesellschaft, die Fachidioten oder das Museum. Das Museum verliert allerdings ständig an Bedeutung. Große Privatsammlungen sind inzwischen genauso mächtig, wie große Kunsthändler und große Galerien. Das alles gehört zum Kunstbetrieb. Was der Kunstbetrieb durchlässt, das ist letztlich Kunst. Das fängt damit an, dass jemand zunächst einmal den Kunstanspruch erhebt, dann muss er aber auch angenommen werden. Das nennt man Diskurs, und da kann er durchkommen oder nicht.

Diese Frage ist genauso schwierig zu beantworten, wie die Frage nach der Wahrheit. Was ist richtig, was ist falsch, was ist wahr und was ist unwahr? Ohne dass das jemand genau sagen kann, stellen wir den Sinn der Philosophie auch nicht in Frage. Genauso wenig stellen wir den Sinn der Kunst in Frage, weil die ja auch immer die Frage stellt: was ist eigentlich wahr und was ist unwahr? Oder wer sind wir, woher kommen wir und wohin gehen wir? Wie die Philosophie keine endgültige Antworten gibt oder - anders gesagt - völlig nebeneinander stehende, völlig indifferente Antworten. Sozusagen der Weg ist das Ziel, nicht die Antworten, sondern die Fragen sind das interessante.

Das Gespräch führte Wolfgang Ölz.

Zur Person: Edelbert Köb: "Museum neu definieren"

1942 in Bregenz geboren. Von 1961 bis 1965 Studium der Malerei und Grafik, Kunsterziehung und Geschichte an der Akademie der bildenden Künste, Wien. 1966 bis 1974 Assistent an der Technischen Universität, Wien. Seit 1974 Professor an der Akademie der bildenden Künste, Wien. Köb leitete von 1982 bis 1991 die Wiener Sezession, und war der Gründungsdirektor des Bregenzer Kunsthauses, welches durch ein ambitioniertes Programm internationaler Kunst schnell über die engeren Kunstgrenzen hinaus bekannt wurde (1990 bis 2000).

Seit 1. Jänner dieses Jahres ist Köb Leiter des Wiener Museums Moderner Kunst Stiftung Ludwig im Museumsquartier. Für seine neue Aufgabe hat er sich vorübergehend von seiner Professur an der Akademie der bildenden Künste in Wien karenzieren lassen. Edelbert Köb folgt Lorand Hegyi, der das Museum 11 Jahre lang geleitet hatte. Der Direktorenwechsel vollzog sich parallel mit der Überleitung des Hauses in die Vollrechtsfähigkeit und mit dessen Neustrukturierung als "wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts". Als zentrale Aufgabe sieht Edelbert Köb derzeit die funktionelle und architektonische Neudefinition des Museums.

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