"Wird Friede sein? Ich bin kein Prophet"

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Jahrzehntelang war Elias Chacour melkitischer Pfarrer im galiläischen Dorf Ibillin und für seine Versöhnungsinitiativen - einen "Trialog des Lebens" zwischen Christen, Muslimen und Juden in Israel und Palästina - weltweit bekannt. Seit einem Jahr ist er Erzbischof in Haifa. Ein Gespräch über Frieden im Nahen Osten in der herrschenden "positiven Verzweiflung".

Die Furche: Vor 20 Jahren haben Sie Ihr Buch "Und dennoch sind wir Brüder" geschrieben - ein Buch voll Hoffnung, gegen die Gewalt, für den Frieden im Heiligen Land. 20 Jahre später ist die Gewalt weiter da.

Erzbischof Elias Chacour: Es stimmt, zur Zeit gibt es noch mehr Gewalt und Verzweiflung als vor 20 Jahren. Aber es existiert auch eine Art "positiver Verzweiflung" über das Versagen jedweder militärischer Lösung. Die Juden und die israelische Armee waren nicht imstande, auch nur ein palästinensisches Kind zu überzeugen, dass es ein Freund Israels werden soll durch Krieg, Bombardements, Zerstörung, Checkpoints. Das gleiche gilt für die Palästinenser: Wir haben durch die erste und die zweite Intifada nichts erreicht. Daher müssen wir uns nach etwas anderem orientieren.

Die Furche: Israel hat eine Mauer errichtet, die die Palästinenser in Israel und den besetzten Gebieten trennt.

Chacour: Die physische Mauer ist nicht das Schlimmste. Schlimmer ist die psychologische Mauer zwischen Juden und Palästinensern. Diese verrückte Mauer hat zwei Gettos geschaffen - eines für die Juden, eines für die Palästinenser. Friede wird aber nie mit Mauern, sondern nur mit Brücken erreicht werden. Wir versuchen das durch Bildung und mit unseren Schulen. Deswegen brauchen wir mehr Schulen in Galiläa, denn an den Schreibtischen einer Schule können muslimische, christliche und jüdische Kinder sitzen.

Die Furche: Sie schreiben, dass die Lage der Palästinenser auch deswegen schwierig war, weil sie nicht einig waren. Hat sich das verändert?

Chacour: Ja und nein. In der Vergangenheit haben sie einander bekämpft, weil es zwei Gruppen gibt mit sehr unterschiedlichen Lösungsstrategien. Auf der anderen Seite ist Palästina für alle das Land ihrer Ahnen, und sie wollen einen Teil Palästinas als künftigen Staat haben. Sie haben einiges erreicht: eine Flagge, weltweite Akzeptanz, dass sie für sich einen Staat brauchen. Das Problem ist, dass Israel mehr und mehr Siedlungen auf dem besten Land Palästinas baut. Das macht eine Zweistaatenlösung praktisch unmöglich.

Die Furche: Ihre Diözese liegt aber in Israel. Sie leben also als Palästinenser und als Christ in Israel. Wird das auch in Zukunft möglich sein?

Chacour: Natürlich. Es ist ja auch jetzt schon möglich. Ich wüsste nicht, warum nicht auch in Zukunft. Ich will meine Heimat nicht verlassen. Ich will auch nicht in den besetzen Gebieten leben. Ich bin ein guter Bürger Israels. Ich liebe Israel, obwohl ich nicht mag, was sie uns antun. Nichts hält mich davon ab, zu bleiben.

Die Furche: Ariel Sharon hat Sie kurz vor seinem Schlaganfall angerufen. Gab es auch Kontakte mit Olmert?

Chacour: Natürlich. Die Lage in Israel ist viel simpler, als Sie es sich vorstellen. Es ist ja nicht so, dass die Juden die Palästinenser kontrollieren wollen, um sie umzubringen, oder dass die Palästinenser nur darauf warten, sich in einer jüdischen Menge in die Luft zu sprengen. Es gibt durchaus gute Beziehungen innerhalb Israels, nicht aber in den besetzten Gebieten: dort gibt es überhaupt keine Menschenrechte. Viele israelische Minister haben mich besucht - darunter der stellvertretende Ministerpräsident Shimon Peres. Nicht nur Sharon, auch Olmert hat mich öfter angerufen. Wenn sie kommen, dann betrachte ich das nie als eine Höflichkeitsvisite, sondern mache einen Arbeitsbesuch daraus: wie die Lage zu verbessern ist, was die Anliegen sind.

Die Furche: Es gibt Sorge, dass innerhalb der Palästinenser der - politische - Islam immer mächtiger wird.

Chacour: Das ist die Realität, weil 90 Prozent der Palästinenser Muslime sind. Sie werden stärker, ihr Einfluss nimmt zu. Na und? Ich fürchte mich nicht davor. Wir leben seit Jahrhunderten zusammen. Natürlich ziehe ich ein demokratisches, säkulares Palästina vor, aber wie es aussieht, wird es das so bald nicht geben. Es wird ein weiterer islamischer Staat werden. Wir müssen einen Weg finden, mit der muslimischen Mehrheit zu leben.

Die Furche: Aber die Zahl der Christen in Israel wie in Palästina nimmt stark ab. Wie sollen die christlichen Gemeinden überleben?

Chacour: Wir wollen nicht, dass die christlichen Gemeinden bloß "überleben", sondern dass sie sich weiterentwickeln Wir versuchen einiges - mehr Schulen, mehr und mehr Gemeindezentren: Das ist das, was wir tun können außer predigen, beten und das Leben mit den Menschen teilen. Wir haben keine Zauberformel in der Hand.

Die Furche: Vor gut einem Jahr sind Sie, der Pfarrer von Ibillin, zum Erzbischof ernannt worden …

Chacour: … und das ist ein sehr seltsamer Ratschluss Gottes. Aber nachdem er es getan hat, wird er seine Gründe dafür gehabt haben …

Die Furche: Hat sich Ihr Engagement als Erzbischof verändert?

Chacour: Nichts an meinem Engagement, alles in meinem Terminkalender. Nichts in meinem Einsatz für die Menschen. Ich finde kaum Zeit zu lesen, zu beten, still zu werden oder zu schlafen.

Die Furche: Wie sind die Beziehungen zu Ihrem geliebten Dorf Ibillin?

Chacour: Ibillin bleibt mein geliebtes Dorf. Aber der Bischof, der Ibillin liebt, lebt nicht mehr ausschließlich dort. Ich komme einmal in der Woche dort hin.

Die Furche: Was können die Menschen in Österreich für Sie tun?

Chacour: Jeder ist aufgerufen, zu unterscheiden. Jeder kann ein wenig Solidarität zeigen. Jeder kann aufhören, nur für eine Seite zu sein. Jeder kann auch finanziell helfen - mit wenig oder mehr Geld. Und wir rufen Christen auf, niemals ins Heilige Land zu kommen, ohne die dortigen Christen zu besuchen!

Die Furche: Eine Pilgerfahrt ins Heilige Land sollte also eine Fahrt in die christlichen Dörfer beinhalten.

Chacour: Genau.

Die Furche: Werden Sie den Frieden in Ihrem Land noch erleben?

Chacour: Man lebt immer mit der Hoffnung. Friede ist nicht eine Sache von außen, sondern etwas im Inneren. Man kann Frieden der Seele haben, auch wenn man ins Gefängnis geworfen wurde. Und man kann Sklave seiner übertriebenen Ambitionen sein, auch wenn sie die Hilfe der ganzen Welt haben. Wird es Frieden geben? Ich weiß es nicht. Ich bin kein Prophet …

Die Furche: … aber voll Hoffnung!

Chacour: Hätte ich keine Hoffnung mehr, würde ich nicht mehr hier sitzen! Solange die Palästinenser am Leben sind und auch die Juden, habe ich Hoffnung.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Friedensapostel im heutigen Galiläa

1939 kam er im galiläischen Biram zur Welt. 1947 wurde seine Familie von den jüdischen Truppen aus dem Dorf vertrieben. Dennoch kämpft Elias Chacour seither gegen Gewalt und Vergeltung und für die Rechte der arabischen Bevölkerung Israels. Nach dem Theologiestudium in Frankreich wurde er 1965 melkitischer (griechisch-katholischer) Priester und Pfarrer im Dorf Ibillin. Als erster Palästinenser studierte er an der Hebräischen Universität Jerusalem und gründete in Ibillin eine mittlerweile 4500 Schüler/innen zählende Schule, seit 2003 gibt es dort auch die erste christliche Universität in Israel. Jahrzehntelang setzte sich Chacour aktiv für die Versöhnung zwischen Palästinensern und Israelis ein. Er wurde für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und erhielt 2001 dessen japanisches Pendant, den Niwano-Friedenspreis. Im gleichen Jahr wurde er in Israel zum "Mann des Jahres" gekürt. Ende Februar 2006 wurde Elias Chacour zum melkitischen Erzbischof von Akko, Haifa, Nazareth und ganz Galiläa geweiht. Hierzulande wurde Chacour Ende der 80er Jahre durch seine Erinnerungen "Und dennoch sind wir Brüder" bekannt. Die Wiener Journalistinnen Pia de Simony und Marie Czernin brachten dieser Tage die kurzweilige Biografie "Elias Chacour - Israeli, Palästinenser, Christ" heraus, welche die spannende Lebensgeschichte dieses Friedensapostels nachzeichnet.

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Elias Chacour-Israeli, Palästinenser, Christ

Sein Leben erzählt von Pia de Simony und Marie Czernin

Verlag Herder, Freiburg 2007. 224 Seiten, geb. € 20,50

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