"Wissenschafter brauchen Humor"

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Er hat ein Faible für das Skurrile: marc abrahams, Vater des "Ig Nobel Prize", mit dem Forscher für besonders bizarre Studien ausgezeichnet werden. Heuer wird dieser Anti-Nobelpreis am 30. September vergeben. Im Interview spricht Abrahams, der bei den Alpbacher Technologiegesprächen für Erheiterung sorgte, über den (Un-)Ernst in der Wissenschaft.

Die Furche: Seit 1991 verleihen Sie den "Ig Nobel Prize" ("ignoble" - unehrenhaft) an Personen, die mit besonders skurrilen wissenschaftlichen Studien für Aufsehen sorgen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Marc Abrahams: Damals wurde ich gerade Herausgeber des Magazins Journal of Irreproducible Results (Zeitschrift für nicht reproduzierbare Ergebnisse). Sofort haben mich alle möglichen Leute angerufen und mir in allen Einzelheiten von den großartigen Dingen erzählt, die sie entdeckt oder erfunden hätten. Viele dieser Menschen fragten mich auch nach Rat, wie sie einen Nobelpreis gewinnen können. Ich wusste überhaupt nichts darüber, aber die Leute kamen trotzdem zu mir. Bei vielen war ziemlich klar, dass sie niemals den Nobelpreis gewinnen würden. Aber manche Forschungen waren auf eine andere Art und Weise so beeindruckend, dass es eine Schande gewesen wäre, ihnen eine offizielle Anerkennung zu verweigern.

Die Furche: Wer ist Ihr liebster"Ig Nobel Prize"-Gewinner?

Abrahams: Da gibt es einige. Troy Hurtubise, der den Preis 1998 bekommen hat, ist einer davon. Troy lebt in einer kleinen Stadt in Kanada und hat zwölf Jahre damit verbracht, eine Rüstung zu basteln, die ihn vor Grizzly-Bären schützen soll. Er hat diesen Schutzanzug nicht nur gebaut, sondern auch selbst getestet. Und er hat Kollegen beauftragt, Videos von diesen Tests zu machen. Es gibt Filme, wo Troy in seinem Anzug von einem Felsen gestoßen wird, wo Riesenbaumstämme auf seinen Kopf fallen, und wo ihn Lastwägen niederfahren.

Die Furche: Was war sein wissenschaftlicher Zugang?

Abrahams: Ich bin mir nicht völlig sicher, ob diese Frage zu Troys Versuchen passt. Troy ist ein sehr interessanter Kerl. Das interessanteste an ihm ist aber sicher, dass er nach all diesen Versuchen überhaupt noch lebt. Viele sehen sich diese Filme an und denken, der Typ ist einfach verrückt. Ich selbst will das nicht beurteilen.

Die Furche: Troy könnte auch ein Beispiel dafür sein, an welch sinnlosen Problemen die Menschheit forscht. Wozu ist es etwa gut zu wissen, welche Kräfte notwendig sind, um Schafe über verschiedene Oberflächen zu ziehen? Damit beschäftigt sich eine Studie, für die australische Forscher 2003 den "Ig Nobel Prize" bekommen haben...

Abrahams: Es ist vielleicht richtig, dass viele Dinge keinen großen Wert für die Gesellschaft haben. Aber es gibt immer wieder Dinge, die verrückt scheinen und sich irgendwann einmal als äußerst nützlich herausstellen - man denke nur an den Laser. Manchmal liegt das daran, dass wir in abgegrenzten, kleinen Sphären leben: Jeder glaubt zu wissen, wo ein Problem liegt. Aber Leute außerhalb dieser Sphäre halten dieses Problem für einen Witz. Die Untersuchung über die Schafe ist ein gutes Beispiel dafür: Die meisten Leute, die von dieser - übrigens akademischen - Studie hören, denken, das ist nicht ernst gemeint. Aber tatsächlich war das nicht die Idee der Wissenschafter, sondern sie wurden von der Industrie aufgefordert, sich des Themas anzunehmen. Sie haben also hart an einer Lösung gearbeitet. Erst, als wir ihnen per Telefon mitgeteilt haben, dass ihnen der "Ig Nobel Prize" zugesprochen wurde, haben sie realisiert, dass das, was sie machen, eigentlich lustig ist.

Die Furche: Haben Sie den Eindruck, dass Wissenschafter generell zu ernst sind?

Abrahams: Wissenschafter haben in der Öffentlichkeit sicher den Ruf, sehr ernst zu sein. Das hat womöglich mehrere Ursachen: Die Menschen bitten Wissenschafter um Stellungnahmen auf eine Art, wie sie auch Gott um eine Stellungnahme bitten würden - gesetzt den Fall, sie hätten die Möglichkeit, Gott zu treffen. Dazu kommt, dass der Alltag für Wissenschafter sehr hart und frustrierend ist: Sie versuchen Dinge zu verstehen, die niemand vor ihnen je verstanden hat. Meistens versagen sie dabei. Deshalb ist es wichtig, in diesem Beruf zwei Dinge zu tun: Es hilft, dann und wann eine verrückte Idee auszubrüten und sie umzusetzen. Und es hilft ungemein, einen Sinn für Humor zu entwickeln. Wenn man sich von all den Rückschlägen entmutigen lässt, dann sollte man besser mit dem Forschen aufhören. Viele Wissenschafter haben sich deshalb einen ausgeprägten Sinn für Humor angeeignet - ob sie es den Leuten zeigen oder nicht.

Die Furche: Was viele Wissenschafter - vor allem in Europa - nicht haben, ist die Fähigkeit, sich verständlich auszudrücken. Oft hat man den Eindruck, dass wissenschaftliche Publikationen umso höher geschätzt werden, je unverständlicher sie sind...

Abrahams: Ich glaube, dieses Phänomen gibt es in allen Bereichen, vor allem an den Universitäten. Wissenschafter werden ausgezeichnet und bezahlt für Dinge, die in irgendeiner Weise als beeindruckend gelten. Aber jene Leute, die entscheiden, ob es sich hier um etwas Beeindruckendes handelt oder nicht, sind selber Wissenschafter. Das ganze System wird immer bürokratischer. Also wird es für die Wissenschafter auch immer schwieriger, etwas Einfaches zu machen. Wobei es oft die einfachen Dinge sind, die sich als die wertvollsten erweisen. Das ist eine Tragödie.

Die Furche: Das Satire-Magazin, das Sie nun herausgeben, trägt den Titel "Annals of Improbable Research" (Berichte unwahrscheinlicher Forschung). Gibt es überhaupt eine wahrscheinliche Wissenschaft?

Abrahams: Gute Wissenschaft ist immer unwahrscheinlich. Wenn man ein Wissenschafter ist, will man immer eine große Entdeckung machen. Man kann aber nur Dinge entdecken, die niemand anderer schon entdeckt hat. Wenn etwas wahrscheinlich ist, heißt das aber, dass jemand anderer schon etwas davon weiß - und das macht es uninteressant.

Die Furche: Am 30. September werden die nächsten "Ig Nobel-Preise" verliehen. Wie viele Kandidaten sind diesmal nominiert?

Abrahams: Ungefähr sechstausend. Zwischen zehn und zwanzig Prozent davon haben sich selbst nominiert.

Die Furche: Haben Sie einen persönlichen Favoriten?

Abrahams: Wir sprechen nicht über Gewinner, bevor sie bekannt gegeben werden. Ich kann nur so viel sagen: Wir haben heuer eine wundervolle Ausbeute. Und es ist ein extrem gutes Jahr für Europa.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Der Meister des Bizarren

Über sieben Monate lang studierte ein Forscherteam die Reaktion von Katzen auf bärtige Männer. Über sieben Monate lang hielten sie die genervten Tiere vor Fotos von Herren mit Vollbart oder Ziegenbärtchen. Resultat: Den Katzen ist das vollkommen egal. Es sind Untersuchungen wie diese, nach denen Marc Abrahams forscht. Er publiziert sie in seinem satirischen Wissenschaftsmagazin "Annals of Improbable Research" (Berichte unwahrscheinlicher Forschung). Und er vergibt alljährlich den "Ig Nobel Prize", den Anti-Nobelpreis für besonders bizarre Untersuchungen, welche die Menschen "zuerst zum Lachen, und dann zum Nachdenken bringen". Abrahams ist der Vater und Zeremonienmeister dieses Preises, der seit 1991 in verschiedenen Kategorien verliehen wird. Als Trophäen erhalten die Auserwählten ein Plastik-Gebiss auf einer Säule. "Die Fahrtkosten zur Preisverleihung sind von den Ausgezeichneten selbst zu bezahlen", ergänzt Marc Abrahams, der selbst das Studium der angewandten Mathematik am Harvard College abgeschlossen hat. Anschließend entwickelte er ein computergestütztes Lesegerät für Blinde und gründete "Wisdom Simulators", eine Entwicklungsfirma für Unterrichts-Software. Heute verfasst Abrahams eine wöchentliche Kolumne für die britische Tageszeitung "The Guardian" - und sucht nach würdigen Forschern für seinen "Ig Nobel Prize" (die Laureaten sind unter www.improbable.com verewigt).

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