"Wo alle nationale Mobilisierung zusammentrifft"

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Ständiges Abwarten ist der Kardinalfehler der Staatengemeinschaft im Kosovo, kritisiert die Südosteuropaexpertin des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP) Henriette Riegler - sie fordert schnelles Handeln.

Die Furche: Haben die schleppenden, andere sagen gescheiterten Verhandlungen zum Status des Kosovo den UNO-Kosovo-Beauftragten Martti Ahtisaari den Nobelpreis gekostet?

Henriette Riegler: Nein, oder doch: Wenn man überlegt, wer schon aller den Friedensnobelpreis bekommen hat, um damit guten Willen und Problemlösungskapazitäten zu unterstützen...

Die Furche: War dieses Problem für Ahtisaari überhaupt lösbar?

Riegler: Dass ein derartig politisch brisantes Problem von einer UN-Untergruppe gelöst werden kann, hat sicher niemand der Beteiligten ernsthaft geglaubt. Aber man musste die Verhandlungen vom UN-Sicherheitsrat hinunterverlagern und zuerst auf dieser Ebene führen. Und da hat sich zweierlei gezeigt: Erstens, wir haben alles probiert, es geht nicht, jetzt muss der Sicherheitsrat handeln. Zweitens hat sich bestätigt, dass sich Statusfragen nicht über technische Fragen lösen lassen.

Die Furche: Technische Fragen?

Riegler: Fragen der Dezentralisierung z.B.: Die Kosovo-Albaner wollen nicht, dass Belgrad serbische Gemeinden direkt finanziert - Pris C7tina will hier die Oberhoheit haben. Oder der Schutz serbischer Kulturgüter - wie diese schützen, ohne extrasouveräne Gebiete zu schaffen? Technische Fragen, die schnell zu Statusfragen umfunktioniert werden.

Die Furche: Die Kosovo-Albaner fordern Unabhängigkeit, Belgrad will "substanzielle Autonomie" gewähren - wo liegen die Unterschiede?

Riegler: Das weiß ich selber nicht genau, was die Serben darunter verstehen. Will man zurück zum Status des Kosovo in Jugoslawien? Doch wie will man dann mit dem umgehen, was in den letzten zwanzig Jahren passiert ist? Da hat Belgrad ein großes Glaubwürdigkeitsdefizit. Seit den späten 1980er Jahren wurden von Belgrad alle albanischen Institutionen im Kosovo demontiert, die Kosovo-Albaner aus allen öffentlichen Institutionen ausgeschlossen. Dann gab es "ethnische Säuberungen", dann gab es Krieg. Warum sollten die Albaner glauben, dass es jetzt mit der Verteilung der Souveränität besser funktioniert? Warum sollten die Serben den Albanern jetzt mehr entgegenkommen? Wer glaubt ernsthaft, dass Belgrad das überhaupt kann - von seiner politischen und ideologischen Haltung her?

Die Furche: Sie sprechen damit die neue serbische Verfassung an, die Ende Oktober den Serben zur Abstimmung vorgelegt wird?

Riegler: In dieser neuen Verfassung ist von "substanzieller Autonomie" keine Rede mehr. Serbien ist dort eine ungeteilte Republik und das Kosovo ein integraler Bestandteil davon. Die wirklichen Probleme Serbiens werden in dieser Verfassung verschwiegen, aber das Kosovo wird angesprochen. Kosovo ist der Punkt, wo sich alle nationale Mobilisierung Serbiens trifft - zum Nachteil aller Beteiligten; in den letzten 20 Jahren ist aus Belgrad nichts Positives zum Kosovo gekommen.

Die Furche: Was soll jetzt vom UN-Sicherheitsrat Positives kommen?

Riegler: Der Sicherheitsrat muss das Heft in die Hand nehmen und eine Lösung vorgeben - das ist auch politische Entwicklungshilfe für Serbien.

Die Furche: Ahtisaari plädiert dafür, die anstehenden serbischen Wahlen abzuwarten ...

Riegler: Das halte ich für sehr gefährlich. Ich rechne damit, dass die radikalen Kräfte in Serbien gestärkt werden - wie soll es dann nach den Wahlen zu einer Lösung kommen? Abwarten - das war von Anfang an der Kardinalfehler der internationalen Gemeinschaft, dieses Abwarten hat von Anfang an nur negative Effekte gehabt.

Die Furche: Was dann?

Riegler: Die internationale Staatengemeinschaft soll die Frage so schnell wie möglich lösen.

Die Furche: Lösung in Ihrem Sinn heißt Unabhängigkeit für Kosovo?

Riegler: Ich denke an eine Art von begrenzter Unabhängigkeit. Die Frage ist, wer diese kontrolliert. Während bei der substanziellen Autonomie Belgrad die Kontrolle behält, würde bei der begrenzten Unabhängigkeit die EU eine starke Rolle spielen und sich z.B. bei Minderheitenrechten ein Einspruchsrecht vorbehalten.

Die Furche: Die Kandidatur für den Friedensnobelpreis 2007 läuft - schlagen Sie was G'scheites für das Kosovo vor und Sie sind im Rennen!

Riegler: Beschränkte und von der EU kontrollierte Unabhängigkeit für das Kosovo mit einem Anschlussverbot an Albanien und strengen Auflagen für den Schutz von Minderheiten.

Die Furche: Wenn Sie gewinnen, feiern wir mit - in Pris C7tina!

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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