Wo den Hartherzigen Liebende begegnen

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Sozialkritisches Werk und humanistische Haltung: Laudatio anlässlich der Verleihung des Theodor-Kramer-Preises an Renate Welsh-Rabady.

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Sozialkritisches Werk und humanistische Haltung: Laudatio anlässlich der Verleihung des Theodor-Kramer-Preises an Renate Welsh-Rabady.

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Ringsum werden Mauern gebaut", mit diesen Worten eröffnete Renate Welsh-Rabady im Herbst 2016 ihre Festrede anlässlich der feierlichen Verleihung der Würdigungspreise der Stadt Wien (abgedruckt in FURCHE 46/2016). Welsh erhielt den Preis für Literatur, heuer wird ihr der Theodor-Kramer-Preis verliehen. Die beiden Auszeichnungen sind nur die jüngsten unter den vielen, mit denen Welsh dekoriert wurde, und sie zeigen zugleich auf, wie vielseitig das Werk, wie groß die literarische und sprachliche Bandbreite dieser nonkonformistischen Autorin ist.

In geradezu all ihren Büchern hat sich die Geehrte mit sozialpolitischen und zeithistorischen Themen beschäftigt. In ihrem literarischen Schaffen legt sie zumeist den Blick auf Personen, die am Rand leben, die ausgebeutet werden, die isoliert, wehr-und hilflos sind, und denen der Zugang zu Bildung verwehrt bleibt. Mauern abreißen und Grenzen überwinden, dieses Postulat ist Welshs Werk und Handeln geradezu immanent.

An dieser Stelle möchte ich auf zwei Romane näher eingehen, "Johanna" und "Die schöne Aussicht", in welchen die Autorin präzise die Lebensgeschichten junger Frauen erzählt. Zeitlich sind die beiden Bücher vor allem in den 1930er-Jahren angesiedelt, in welchen der Austrofaschismus den Weg hin zum Nationalsozialismus und seinen verheerenden Folgen ebnete. Die eine Protagonistin, Johanna, wächst als lediges Kind bei einer Ziehmutter im Burgenland auf. Mit dem Versprechen, dass sie etwas lernen darf, kommt sie nach Niederösterreich auf den Hof eines Bauern. Dort wird sie jedoch jahrelang ausgebeutet, ihre Wissbegierde wird mit schwerer, harter Arbeit niedergeschlagen und dennoch schafft es die mutige junge Frau, den Kreislauf von Unterdrückung und die Mechanismen der Macht zu durchbrechen.

Persönlich und politisch

Mit äußerster Sorgfalt verbindet Welsh diese Frauenbiographie - die zwar eine individuelle ist, aber exemplarisch für viele gelesen werden kann -mit Politik, Zeit-und Geschlechtergeschichte. Dies trifft auch auf Rosa in dem Roman "Die schöne Aussicht" zu, die als ungewolltes Kind aufwächst und einen Verlust nach dem anderen erleidet. Sie selbst glaubt irgendwann daran, anderen Pech zu bringen, was nicht zuletzt daraus resultiert, dass die Verantwortlichen systematisch Schuldumkehrung betreiben: Opfer werden zu Tätern gemacht, humanistisches Verhalten wird mit dem Tod bestraft. Renate Welsh verwebt Persönliches mit Politischem, erzählt aus der Sicht dieser jungen Frauen vom historisch und politisch bewegten 20. Jahrhundert, und vor allem zeigt sie, was Opportunismus, Konformismus und Selbstgerechtigkeit für den Einzelnen bedeuten können.

Mit feiner Beobachtungsgabe blickt Renate Welsh in Familien, in denen Kälte und Härte vorherrschen. Sie stellt hartherzigen Opportunisten jedoch liebende Menschen gegenüber, die nicht nur den eigenen Nutzen und die eigene Angst, die eigenen Vorund Nachteile sehen und danach handeln, sondern Menschen, die die Not anderer erkennen und reagieren.

Dabei zeigt sie keineswegs idealisierte Heldinnen oder Helden, verweigert die Zeichnung von Märtyrerinnen und Märtyrern, sondern erzählt von Menschen, die Gewalt, Krieg und Tod ablehnen, die für das Leben stehen, die helfen, auch wenn es sie selbst in Gefahr bringt, die nicht immer nur an sich selbst denken.

Machtzementiertes entlarven

Als etwa Rosa in "Die schöne Aussicht" nach dem Krieg auf das Bezirksamt geht und um einen Bezugsschein für eine Gemeindewohnung ansucht, da schreckt der Beamte auf, als er den Namen ihres von den Nazis umgebrachten Mannes, des Widerstandskämpfers Ferdinand Müller, hört. "Der Beamte stand auf, trat neben sie und reichte ihr die Hand. 'Ferdinand Müller: Das war ein Mensch!' Er drückte ihre Hand so stark, dass die Blase am Daumensansatz platzte. 'Sie müssen sehr stolz auf ihn sein. Es hat nicht viele gegeben wie ihn. Wenn es mehr gewesen wären, stünden wir heute anders da.' Sein Bruder, fuhr er fort, war einer der Männer gewesen, denen Ferdinand bei der Flucht geholfen hatte." Welsh zeigt aber, wie hohl dieser Stolz ist, denn Rosa vermisst ihren Mann und sehnt sich keineswegs nach einem Kriegshelden. "Wie sollte sie stolz sein, wenn die Traurigkeit sie doch aushöhlte, sobald sie nur seinen Namen aussprach oder an ihn dachte? [...] Sie hoffte nur, dass er gewusst hat, wie sehr sie ihn liebte, als sie selbst es noch nicht wusste."

In ihren Dialogen formt Renate Welsh ihre Figuren exakt und trifft ihre Sprache oder vielmehr Sprachlosigkeit präzise, wobei sie leere, zumeist machtzementierende Sprichwörter entlarvt, etwa wenn sie die Worte der tyrannischen Bauern und kaltherzigen Wirtinnen den armen Mädchen in den Mund legt. Dabei desavouiert sie sprachliche Behübschungen sowie den ideologischen Gehalt von Redewendungen und politischen Parolen.

Wie sehr die Sprache auf das Denken zurückwirkt, überprüft die Autorin in all ihren Büchern, so auch in "Dieda oder Das fremde Kind", um ein weiteres Beispiel zu nennen, in dem die Protagonistin das abschätzige Verhalten der anderen freilegt -die sie nämlich mit "die da" ansprechen. Erst am Ende des Buches, in jenem Umfeld, wo ihr die Menschen als Mitmenschen und nicht als Herrenmenschen begegnen, findet sie zurück zu ihrem Namen, zu ihrer Identität und Individualität. "In der Sprache liegt ein kleines Prinzip Hoffnung", betont Welsh, die nicht nur über humanistisches Engagement schreibt, sondern dieses auch zur Maxime ihres Handelns macht. Im Rahmen von Schreibkursen unterstützt sie Menschen bei ihrer Selbstermächtigung, etwa auch im VinziRast-CortiHaus, wo sie Kursteilnehmern hilft, aus der Sprachlosigkeit zu finden, denn der "Sprachlosigkeit wohnt stets auch Bedrohung inne", so die Autorin. Die Sprache gibt eine Form, das Leben gestalten zu können, - und vor allem Fragen zu formulieren, die Veränderung möglich machen.

Dass Renate Welsh der Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil verliehen wird, ist besonders erfreulich, weil sie in ihrer Literatur Menschen eine Stimme gibt, die ansonsten über keine verfügen. Das sind neben der genannten Johanna, Rosa, Dieda auch die in dem Buch "In die Waagschale geworfen" porträtierten Österreicher im Widerstand gegen das NS-Regime, das ist Lena aus "Besuch aus der Vergangenheit" oder die einsamen Schwestern Josefa und Karla in "Liebe Schwestern" sowie Pauline in "Das Lufthaus".

Grenzen in Frage stellen

Damit komme ich zum Eingangssatz zurück, denn Mauern und Grenzen beschäftigen Renate Welsh, die in ihrem Schreiben nicht nur die Illusion dieser gerade heute wieder neu gebauten Zäune entlarvt, sondern die sich ganz gezielt für alles Grenzübergreifende, für Zivilcourage und Solidarität radikal einsetzt. "Mauern können unsere Werte nicht retten, sie können sie nur gefährden", so formulierte es Renate Welsh letztes Jahr.

Dort aber, wo versucht wird, die Grenzen von Unterdrückung, Entwertung und Diskriminierung absichtlich zu verwischen, da setzt die präzise Sprache der Autorin ein und decouvriert messerscharf Vertuschungsstrategien von Ausgrenzung und Ausschluss.

Renate Welsh ist es aber auch innerhalb der Literatur gelungen, Genregrenzen und Klassifizierungen in Frage zu stellen und aufzubrechen: Wer ihr Werk kennt, weiß, dass man ihre Bücher nicht in Erwachsenen-oder Kinder-bzw. Jugendliteratur trennen kann, denn Welsh schreibt für Menschen, und sie nimmt sie ernst, unabhängig davon, welches Alter sie haben.

Auch sind die Grenzen von Geschichte und Gegenwart in ihrem Werk aufgehoben, stellen ihre Texte stets eine Beziehung zwischen dem aktuellen politischen Diskurs und historischen Bedingungen her, wobei sie differenziert Vergleiche zieht bzw. Unterschiede zeigt, so dass ihre Literatur den Blick über die Lektüre hinaus öffnet und weiterwirkt.

In diesem Verständnis ist Renate Welsh eine hochpolitische Autorin, weil sich ihre Bücher immer auch als Plädoyer für eine lebendige Demokratie lesen. Als Voraussetzung dafür gelten ein verantwortungsbewusstes Miteinander, ständiger Dialog und die Bereitschaft zum Wandel.

Lesung aus den Texten der Trägerinnen des Theodor-Kramer-Preis 2017, Renate Welsh-Rabady und Nahid Bagheri-Goldschmied - mit Musik und Autorinnengespräch

25.09.2017, Psychosoziales Zentrum ESRA, Tempelgasse 5,1020 Wien, 19.30 Uhr www.theodorkramer.at

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