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Gefährlich nahe an Hollywood - Erzählungen aus Amerika.

Jugendliche, die - vollkommen überfordert mit ihrer Elternschaft - ihr Neugeborenes in den Müllcontainer werfen; Männer, die ihre Träume, ihre Liebe retten wollen und durch einen gewalttätigen Rettungsversuch alles zerstören; Fanatismus, der Mord provoziert: Storys, die das Leben schreibt und die Zeitungschronik erzählt. Amokläufe, wie sie täglich irgendwo passieren, herausgepickt aus den Alltagen amerikanischer Klein-, Mittel- und Großstädte, wo das Leben ansonsten wie im Fluss vorübergeht.

Plötzlich ist alles ganz anders, ist eine andere Wirklichkeit hereingebrochen, ist man Täter, ohne etwas getan haben zu wollen, ist eine Pistole zur Hand oder ein Becher mit Gift ... Keine Kriminalgeschichten, keine Kurzthriller stürzen da auf den Leser ein - und irritiert ist von den sechzehn Kurzgeschichten wohl nur, wer den Autor Boyle aus anderen Texten noch nicht kennen lernen durfte. Boyles Erzählweise lädt nicht zum identifikatorischen Lesen ein, ist nicht gefühlsheischend und herzerweichend, sondern sonderbar distanziert, aber dennoch (oder deswegen) gänsehauterzeugend. Und fast voyeuristisch schauen die Leser zu, wie Menschen aus ihren Sicherheiten stürzen.

Die Ereignisse wirken dabei streckenweise äußerst konstruiert. Oder wie sollte man es anders nennen, wenn ein auf Bewährung Freigelassener ausgerechnet bei seinem Bruder wohnen und arbeiten muss, der als Arzt in einem Krankenhaus arbeitet, das von fundamentalistischen Abtreibungsgegnern belagert und bedroht wird, und dass dieser auf Bewährung Freigelassene gerade dort dann zum Mörder wird, um den Bedrohungen ein Ende zu setzen bzw. um ein Mädchen zu schützen? Allzu dick aufgetragen, könnte mag sagen. Filmreif inszeniert sind sie alle, diese Geschichten aus der Schreibwerkstatt des Lehrers für "Creative Writing" in Los Angeles. Gefährlich nahe an Hollywood ist nicht nur der Wohnort des Autors.

Doch die Nähe zur Satire erlaubt Personenkonstellationen und Geschichten wie diese. Was auf den ersten Blick allzu skurril und aufgesetzt erscheint, bietet durchaus tiefere Einsichten in amerikanische Wirklichkeiten. Die grellen Spotlights, die Boyle auf die literarische Bühne wirft, beleuchten die kleinen Schutzräume - das traute Heim, die wahre Liebe, die glückliche Familie - errichtet, um das Leben zu meistern, aber nicht geeignet, um die drohende Gefahr fernzuhalten: die Realität.

Die Unvereinbarkeit von Traum und Wirklichkeit geistert durch alle Werke des Autors. So dominiert sie etwa auch den besonders gelungenen und empfehlenswerten Roman "América", der 1995 erschien. Der Originaltitel "The Tortilla Curtain" verrät denjenigen, die schon einmal in Kalifornien an der mexikanischen Grenze waren und offene Augen hatten, worum es geht. Eine dichte Grenze trennt Wohlstand von Armut - und viele mexikanische Flüchtlinge laufen kilometerlang durch die Wüste, um im vermeintlichen Paradies zu landen. Wie dieses Paradies dann aussieht - wenn man die Flucht durch die Hölle überlebt und falls man nicht zurückgeschoben wird - davon erzählt Boyle, indem er parallel zwei Lebenswelten entwirft, eine mexikanische im Gebüsch der USA und eine einheimische, versteckt hinter hohen selbsterrichteten Mauern, die die Grundstücksbesitzer beschützen sollen. Aus- und Eingrenzung: auch ein Thema, das immer wiederkehrt.

Die Zeitkritik ist in allen Boyle'schen Texten nicht zu überlesen. Dass dabei auch ein moralischer Zeigefinger schemenhaft am Horizont sichtbar wird, kann wohl nicht bestritten werden. Doch fuchtelt er, Boyle sei Dank, nicht in den Geschichten herum. Nicht umsonst wird das Ende oft nur angedeutet.

Dass man für die deutsche Übersetzung den Titel der Kurzgeschichte "Schluss mit cool" als Titel des Bandes gewählt hat, ist eine gute Entscheidung. Im amerikanischen Original verweist der Titel "After the Plague" allzu sehr auf das apokalyptische Szenario, das im Buch selbst tatsächlich nur eine Geschichte prägt: In einer Nach-der-Sintflut ähnlichen Situation hängt von einigen wenigen Menschen das Weiterleben der Menschheit ab - eine Situation, in der die Zahl der Überlebenden, nämlich Drei, nicht so geeignet scheint.

"Schluss mit cool" ist da für diesen Sammelband schon "typischer": Ein alternder TV-Star wird am Strand von Jugendlichen gedemütigt. Wut und Zorn stauen sich an, und in Erinnerung dieser Demütigung sieht er sich eines Tages einem Einbrecher gegenüber, dieses Mal aber ist er der Stärkere, hat er doch einen Revolver in der Hand ...

Boyle produziert Literatur am laufenden Band, einen Roman nach dem anderen, und eben auch so manche Kurzgeschichte. Als Kind irischer Einwanderer 1948 geboren, war er u.a. Rockmusiker, bis ihm mit 1981 mit "Wassermusik" der literarische Durchbruch gelang. Mit dem Roman "World's End" erhielt er 1987 den PEN/Faulkner-Preis und erlangte Erfolg auch in den deutschsprachigen Ländern. Ob Boyle ein Prophet des Weltuntergangs ist, wie es der Klappentext von "Schluss mit cool" verheißt, sei dahingestellt. Ganz sicher aber legt Boyle die Finger treffsicher dorthin, wo es weh tut: in die Wunden einer Gesellschaft, die gerne heil sein möchte.

Schluss mit cool.

Erzählungen von Tom Coraghessan Boyle. Aus dem Amerikanischen von Werner Richter.

Hanser Verlag, München-Wien 2002. 416 Seiten, gebunden, e 20,50

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