Wo Klischees noch Klischees sind

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"Gräfin Mariza" in Mörbisch: hohes musikalisches Niveau, ohne historischen Hintergrund.

Es ist ein lieb gewonnenes Ritual: der Verkehrsstau inmitten romantischer Weingärten; das Spalier der Einheimischen, die stoisch auf die Blechlawine starren; das Blunzngröstl und das edle Tröpfchen vor dem Festspielgebäude; die halbe Bundesregierung in der ersten Reihe; die launige Ansprache des Intendanten, die bisweilen die Grenze zur Beleidigung überschreitet; und am Schluss das obligate Feuerwerk. Wer einmal dort war, weiß wovon die Rede ist: die Premiere der Seefestspiele Mörbisch, in denen sich heuer das ganze Spektakel um Emmerich Kálmáns melancholische Meisteroperette "Gräfin Mariza" dreht.

Ein Eisenbahnzug dampft über die Bühne, ein Heer von Tänzern sorgt für berauschende Balletteinlagen (oder erheiternde, wie den Tanz des Federviehs zu Beginn) - es ist, wie in den letzten Jahren immer, eine opulente, alle Sinne ansprechende Aufführung auf musikalisch hohem Niveau. Mit reifem Schmelz betören Dagmar Schellenberger und Nikolai Schukoff als reiche, überhebliche Mariza beziehungsweise als armer, sich inkognito als Gutsverwalter durchschlagender Graf Tassilo, deren Sehnsucht letztlich doch in Glück mündet. Auch das zweite Paar lässt aufhorchen: Julia Bauer als neckische Schwester Tassilos und vor allem der sehr kultiviert singende Marko Kathol als real gewordene Phantasiegestalt Koloman Zsupán. Auch Intendant Harald Serafin ließ es sich nicht nehmen, in diesem letzten Musterexemplar einer ungarisch-wienerischen Operette aufzutreten: Als Lustgreis Populescu outriert der 72-Jährige hemmungslos, wenn er nicht gerade, durchaus achtbar, singt.

Der ungarische Kavalier mit dem unwiderstehlichen Charme, die rassigen Zigeunermädchen mit dem verführerischen Blick - bei den Seefestspielen dürfen Klischees noch Klischees sein. Mörbischs langjähriger Verantwortlicher für Bühnenbild und Kostüme, Rolf Langenfass, hat die Darsteller zwar in Mode aus der Zeit der Uraufführung (1924) gekleidet, Regisseur Winfried Bauernfeind hingegen spart leider jeglichen historischen Hintergrund aus - anders als etwa Helmut Lohner, der hier vor zwei Jahren in Kálmáns "Csárdásfürstin" das Ausbluten der Alten Welt sehr wohl in für Mörbisch angemessener Weise thematisierte. Kein Zuschauer würde verschreckt, wenn der Untergang der Donaumonarchie als Ursache dafür genannt würde, dass Tassilo in "Gräfin Mariza" nur noch "Zaungast des Glücks" ist; schließlich wimmelte es in den Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns vor verarmten Adeligen. Musikalisch bestehen ja - und das ist gut so - wesentlich weniger Hemmungen, vom "Original" abzuweichen: Rudolf Bibl, der alte Operetten-Haudegen, dirigiert auch Einlagen aus anderen Kálmán-Stücken, unter anderem zwei aus der "Herzogin von Chicago".

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