Wo war die Urküche: Im Wasser oder an Land?

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Die meisten Wissenschaftler nehmen an, dass das Leben im Meer entstanden ist. Eine neue Forschungsarbeit stellt dies infrage: Demnach liegen die Ursprünge des Lebens in Thermalquellen am Festland.

Die Entstehung des Lebens ist eines der fundamentalsten Rätsel, welche die Natur aufgibt. Während Philosophen traditionell nach dem Warum des Lebens fragen, beschäftigen sich Naturwissenschaftler mit dem Wann, Wie und Wo seiner Entstehung. Dazu wurde eine neue Arbeit vorgelegt.

Der gängigen Lehrmeinung zufolge entstand das Leben im Archaikum, also vor 2,8 bis 4 Milliarden Jahren (zum Vergleich: Die Erde bildete sich vor etwa 4,5 Milliarden Jahren). In 3,85 Milliarden Jahre altem Eisenstein auf Grönland wurden Spuren von Grafit gefunden, die einigen Wissenschaftlern als Hinweise auf frühzeitliche Mikroben gelten. Andere sehen darin lediglich geologische Prozesse am Werk. Vergleichsweise unwidersprochen blieb bisher ein Bericht britischer und australischer Forscher im vorigen Sommer über einen Fossilienfund in Westaustralien. Sie deuten die Mikrostrukturen als Spuren von 3,4 Milliarden alter Bakterien, die Stoffwechsel auf Schwefelbasis betrieben haben.

Grundsätzlich sind fossile Funde aus den Anfangstagen der Erde spärlich und Gegenstand subtiler, häufig umstrittener Interpretationen. Doch nicht nur über den zeitlichen Beginn des Lebens besteht Uneinigkeit. Auch über den Ursprungsort keimt derzeit eine Debatte unter Fachleuten auf.

Charakteristika der Zellen

Ausgelöst hat diese eine aktuelle Forschungsarbeit, die vergangene Woche im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht wurde. Darin vertritt das deutsch-russische Autorenteam um Armen Mulkidjanian von der Universität Osnabrück die These, dass der Ursprung des Lebens in Thermalquellen an Land stattgefunden hat. Dies widerspricht der vorherrschenden Ansicht der meisten Wissenschaftler, wonach das Leben seinen Anfang in heißen Quellen im Meer genommen hat und erst von dort an Land gelangte.

Kern ihrer Argumentation ist ein Vergleich des Inneren von Zellen mit der molekularen Zusammensetzung gegenwärtiger und urzeitlicher Meere. Zellen bestehen aus verschiedenen Organen wie dem das Erbgut enthaltenden Zellkern oder den die Energie liefernden Mitochondrien. Den räumlich größten Teil nimmt das Zellplasma ein. Es ist eine zähe Flüssigkeit, die neben Wasser, Eiweißen und Fetten noch weitere Elemente enthält.

Nach außen sind Zellen durch eine mehrschichtige Membran aus Lipiden abgegrenzt. Heutige Zellen verfügen über spezialisierte Mechanismen, um die Konzentration ihrer Elemente zu steuern. So gibt es winzige Pumpen in der Zellmembran, die Natriumionen nach außen und Kaliumionen nach Innen befördern. Zusätzlich enthält die Zellwand Kanäle, die selektiv bestimmte Ionen passieren lassen, andere blockieren. Solche hoch entwickelten Transportmechanismen kann es bei den ersten Zellen aber noch nicht gegeben haben, meinen die Wissenschaftler im Magazin PNAS. Deshalb muss die Zusammensetzung von anorganischen Molekülen und Ionen im Inneren der ersten Zellen die gleiche gewesen sein wie in ihrer unmittelbaren Umgebung.

Unterschiede der Zellen

Als ersten Schritt suchten die Wissenschaftler in hunderten Organismen, deren Erbgut bekannt ist, nach Proteinen, die alle diese Genome gemeinsam haben. Gemäß der weithin akzeptierten Theorie vom "letzten gemeinsamen Vorfahren“ heutiger Lebewesen, gab es diese Proteine auch beim hypothetischen Urahn. Viele davon vermutlich also auch bei den ersten Zellen. Anschließend untersuchten sie deshalb, welche anorganischen Stoffe für Funktion oder Struktur dieser Proteine wesentlich sind. Daraus leiteten die Forscher die wahrscheinliche Zusammensetzung der ersten Zellen ab. Demnach enthielten diese unter anderem Kalium, Zink, Mangan und Phosphate. Zuletzt verglichen sie diese Elemente mit der Zusammensetzung heutiger und urzeitlicher Meere. Das Resultat: Frühe Meere und Zellen unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht.

So enthalten Zellen etwa 20 Mal mehr Kalium als Natrium - in Gewässern ist dieses Verhältnis umgekehrt, ihr Natriumanteil ist etwa 40 Mal höher als ihr Kaliumanteil. Auch Übergangsmetalle wie Zink kommen in Meeren nur in geringer Konzentration vor. "Die Brutstätten der ersten Zellen waren daher aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Land, wo aktive geothermale Prozesse chemisch reiche Gase und Dämpfe aus dem Erdinneren auf das junge Festland beförderten“, sagt Mulkidjanian. Optimale Bedingungen haben beispielsweise in den Thermalquellen der Halbinsel Kamchatka in Sibirien oder auch im amerikanischen Yellowstone Nationalpark bestanden. Heute sind diese Quellen zu sauer, um neues Leben zu ermöglichen. Das liegt daran, dass an ihrer Oberfläche Schwefelwasserstoff und Sauerstoff aus der Luft zu Schwefelsäure reagieren. Vor einigen Milliarden Jahren gab es aber noch kaum Sauerstoff in der Erdatmosphäre, weil die Natur noch keine Photosynthese kannte.

Die neue Theorie könnte außerdem erklären, warum die Bestandteile der Erbträgersubstanzen DNA und RNA stabil gegenüber UV-Strahlung sind. Anders als in der Tiefe des Meeres wären Frühformen von DNA und RNA in terrestrischen Quellen nämlich verstärkt ultraviolettem Licht ausgesetzt gewesen. Dies könnte zu einer evolutionären Anpassung an die UV-Strahlung geführt haben.

Ganz neu ist die These vom Ursprung des Lebens an Land nicht. Charles Darwin hat sie am 1. Februar 1871 in einem Brief an den Botaniker Joseph Hooker erwähnt. Er schreibt von einem "warmen kleinen Teich mit Ammoniak und phosphorhaltigen Salzen, Licht, Hitze, Elektrizität und anderem, so dass ein Eiweißgemisch chemisch entsteht, bereit weitere komplexe Veränderungen zu durchlaufen.“

Diese historische Anekdote hält Kritiker natürlich nicht davon ab, Einspruch anzumelden. So hält es etwa Nick Lane, Biochemiker am University College in London, durchaus für möglich, dass die Urzellen Natrium aktiv aus dem Zellinneren hinausbefördert haben. Andere Wissenschaftler meinen, dass die Erde zu Beginn des Archaikums einem regelrechten Bombardement von Meteoriten ausgesetzt war. Unter diesen Bedingungen hätte sich kaum Leben entwickeln können.

Verstärkte Suche in Fossilien

Neue Untersuchungen zweifeln an diesem Meteoritengewitter. Einige Forscher stimmen mit Mulkidjanian zwar darin überein, dass der maritime Ursprung des Lebens unplausibel ist. Sie lehnen aber die vorgeschlagene Alternative ab und bevorzugen einen dritten Weg (s. u.).

Es ist möglich, dass die Suche nach Lebensspuren in Fossilien an Land künftig an Attraktivität gewinnen wird. Angesichts der Dominanz der Theorie, dass Leben im Meer entstanden ist, schien das vielen Wissenschaftlern bisher als wenig lohnendes Unterfangen. Das hat sich geändert - und das Rätsel bleibt.

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