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Der Ausdruck Wortschatz vermittelt ein Begleitgefühl des Edlen und Werthaften. Unwillkürlich versteht man darunter ein kostbares Gut, das sorgsam gehütet und bewahrt werden soll. Doch Sprachwandel vollzieht sich beinahe unbemerkt - nicht bloß in Epochen, sondern innerhalb einer Generation und gleichsam vor unseren Ohren. Auch ein akademischer Lehrer kann erleben, dass vor Kurzem noch vertraute Vokabel von seinen Studenten nicht mehr verstanden und allenfalls nach ihrem Wortlaut seltsam umgedeutet werden.

Hoffart, einst im Kanon der Todsünden verankert, ist seinem Ursprung nach aus hoch und Fahrt gebildet und lautlich verschliffen: "Hochfahrendes Benehmen" bestätigt noch heute diese Herkunft. Aber das Substantiv ist jungen Menschen semantisch offenbar fremd geworden. Der Versuch, den Sinn aus dem Klangbild herzuleiten, führte auf eine "Art zu hoffen".

Noch weniger wussten Studierende mit dem Wort Weichbild anzufangen. Etymologisch aus "Ort, Stadt" (lateinisch vicus) und "Recht" (englisch hill) entstanden, bezeichnete das Kompositum einst den Geltungsbereich eines Stadtrechts. Die Ermunterung zu eigener Deutung zeitigte nur ein mit Weichzeichner retuschiertes Foto.

Den Hagestolz hat immerhin Adalbert Stifter als Titelfigur einer Erzählung literarisch geadelt. Der "Besitzer eines Hages", also eines bescheidenen Gutes, der keine eigene Familie erhalten konnte, mutierte alsbald zum eingefleischten Junggesellen. Und heute? Der Anklang an das Adjektiv stolz ist zu verführerisch, um nicht einer volksetymologischen Deutung aufzusitzen.

Der langen Rede kurzer Sinn: Wortschatz ist ein schönes Sprachbild, das man nicht überfordern soll. Sonst wären bei so vielen laufenden Verlusten Zweifel an der Sicherheit des Tresors angebracht.

Der Autor ist Professor für Sprachwissenschaft in Salzburg.

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