Wohlfühltemperatur als Zukunftscode

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In Lustenau wurde ein Bürogebäude errichtet, das ohne Heizung, Kühlung und Lüftung auskommt. Mit dem Haus, das ganzjährig ohne eigene Wärmequelle auskommt, liefern die Architekten einen Beitrag zur Diskussion über Passiv-und Niedrigenergiehäuser.

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In Lustenau wurde ein Bürogebäude errichtet, das ohne Heizung, Kühlung und Lüftung auskommt. Mit dem Haus, das ganzjährig ohne eigene Wärmequelle auskommt, liefern die Architekten einen Beitrag zur Diskussion über Passiv-und Niedrigenergiehäuser.

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"Fahrenheit 451" ist bereits ein Klassiker in der Filmgeschichte. Der Begriff steht als Code für eine - nach dem Prinzip des hedonistischen Glücksstrebens -in einer nicht all zu fernen Zukunft lebenden Gesellschaft.

2226 ist auch ein Code, allerdings ist er bereits Wirklichkeit. Er bedeutet, eine weltweit akzeptierte Wohlfühltemperatur in Innenräumen, nämlich 22-26 Grad Celsius. Und nun gibt es im Westen etwas Neues: In Vorarlberg, das ja architektonisch immer für Überraschungen und Innovationen gut war und ist, steht nun ein sechsgeschoßiges Bürohaus, das 365 Tage im Jahr ohne Heizung, Kühlung und Lüftung auskommt. Also kein nominelles "Passivhaus", sondern ein Gebäude, das auch keine Lüftung und damit keine Investitionen in teure Haustechnik benötigt. Es ist das Bürohaus (mit Galerie und einer Cafeteria im Erdgeschoß) der Architekten be baumschlager eberle in Lustenau. Nachhaltigkeitsfanatiker und Ökofreaks werden in Jubel ausbrechen -endlich beweist die Architektur, dass es doch geht: und zwar ohne hochtechnisierte Wärmepumpen, Lüftungs-und Solaranlagen, auch ohne Haustechnik. Das Haus kommt ein ganzes Jahr lang ohne eine eigene Wärmequelle aus -Menschen, Licht und Computer genügen völlig. Die Temperierung passiert einzig und allein über diese Wärmequellen, sie sind schließlich bereits im Innenraum vorhanden. Menschen haben eine Körpertemperatur von 37 Grad, Computer erzeugen Abwärme und Leuchtstoffröhren, Halogenlampen und LED strahlen auch Wärme ab. Der Geschäftsführer und Mastermind von be baumschlager eberle, Dietmar Eberle, bringt es auf den Punkt: "Statt eines Gebäudes, das auf die Haustechnik reagiert, antwortet es auf den Eintrag des Menschen. Auf seine Körperwärme, auf seine Humidität, auf seine Umwandlung von Sauerstoff in CO2." In diesem lapidaren Satz sind allerdings die Erfahrung und das Wissen von 28 Jahren Arbeit konzentriert.

Wenn man sich dem Gebäude nähert, fällt - neben der ansprechenden Optik einer kühlen, klaren und konstruktiven Linie - zuerst einmal die dicke Außenwand auf: Fast 80 cm ist sie stark, besteht aus doppelschalig verlegten "gewöhnlichen" Hochlochziegeln österreichischer Provenienz. Sie stellen ein Volumen, eine Masse dar, die verhindert, dass Wärme durch die Wände diffundiert. Gleichzeitig wird auch möglichst viel Energie in der Baumasse gespeichert. 22 Prozent dieses Energiespeicherauftrages ist der Anteil der Außenwände, 78 Prozent übernehmen die massiven Stahlbetondecken und -böden. Auf das vielfach gelästerte Dämmmaterial aus Erdöl an den Außenwänden konnte man komplett verzichten. Der hohe Luftanteil in den Ziegeln machte es möglich. Ein in Vorarlberg hergestellter, und zumeist bei Sanierungen verwendeter Kalkputz an der Wand ist außerdem in der Lage, Feuchtigkeit und Kohlendioxid zu binden. Diese langlebigen Kalkputzfassaden sorgen auch für die Diffusion von innen nach außen.

Das Ziel, ein wartungsarmes, nachhaltiges Gebäude mit weniger Technik zu schaffen, wurde von den Architekten wie ein Forschungsexperiment angegangen und in Simulationsprogrammen eines Forschungsinstituts berechnet. Natürlich kostet das auch Geld, aber dieser Betrag ist, gerade im Hinblick auf die sichtbare Verfehlung jeglicher Klimaziele, als eine sehr vernünftige Investition, als ein Kapital für das Bauen der Zukunft zu betrachten. Punkto Baukosten ist es mit 1000 Euro pro Quadratmeter um einiges billiger, als die meisten sozialen 08/15-Wohnbauten -ein weiteres Paradoxon einer Architektur, die auf das, was bisher als unabdingbar galt, verzichtet.

Computer als Wärmequelle

In dieser Architektur ersetzt die Steuerung der Energieströme im Haus die Maschinerie und eine massive Baukonstruktion dient als Speichermasse. Durch eine leichte Drehung des Baukörpers mit seinen tiefen Fensterlaibungen aus der direkten Südausrichtung reduziert sich der Wärmeeintrag. Innen angeschlagene Lüftungsflügel werden über Sensoren gesteuert, um das Raumklima behaglich zu machen. Im Winter sorgt die Abwärme für einen hohen Energieeintrag, die Lüftungsflügel gehen erst auf, wenn der CO2-Anteil im Raum steigt. Bei sommerlicher Hitze öffnen sich die Flügel nächtens, um eine natürliche Nachtkühlung zu gewährleisten. Diese alltäglichen Tätigkeit werden von Sensoren erledigt. In jedem Raum wird die aktuelle Luftqualität gemessen. Auf Displays in den Wänden sind Lufttemperatur, Feuchtigkeit und CO2-Gehalt ersichtlich. Auch die Tages-,Wochen-,Monats-und Jahresentwicklung kann man hier ablesen. Wichtig ist, dass die Kurve niemals den Bereich zwischen 22 und 26 Grad verlassen soll. Wenn es im Winter sehr kalt ist und am Wochenende keiner im Haus arbeitet, schalten sich - sensorgesteuert - von Zeit zu Zeit ein bis zwei Computer ein, um Abwärme in den Raum zu blasen: Das genügt.

Der Diskussion um die Energieeffizienz der Passivhäuser versus Niedrigenergiehäuser fügt der Bau eine weitere Variante und einen Denkanstoß hinzu: Er beweist, dass die ganze teure Technik, die in einem Passivhaus zur tatsächlichen Einsparung von Energie benutzt wird, eigentlich nicht notwendig ist. Es geht auch anders.

"Wenn es im Winter sehr kalt ist und keiner im Haus arbeitet, schalten sich -sensorgesteuert - von Zeit zu Zeit ein bis zwei Computer ein, um Abwärme in den Raum zu blasen: Das genügt."

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