Worte wie modrige Pilze

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist ein Jahrhundert her, dass Hugo von Hofmannsthal seinen Lord Chandos den Wortzerfall im Mund des Sprechenden beschreiben ließ. Damals, 1902, war noch nicht abzusehen, wie sehr "Worte wie modrige Pilze" das begonnene Jahrhundert bestimmen sollten. Nationalistische und antisemitische Hasstiraden schlugen in reale Gewalt um, Propaganda zerstörte nicht nur die Glaubwürdigkeit der Rede, sondern Kultur, Kunst und Leben. Hofmannsthal benannte nicht nur eine literarische Krise, sondern deutete eine schwarze politische Vision.

Das Jahrhundert der Weltkriege und der totalitären Ideologien glaubten wir hinter uns zu haben. Unterdessen stellt sich heraus, dass es wieder möglich war, mit erlogenen Behauptungen einen Krieg anzuzetteln. Und es gibt Leute, die beherzt mit dem Wortmüll des abgelaufenen Jahrhunderts spielen, mit dem Finger auf angebliche Verräter zeigen, mit Propaganda Menschen aufhetzen. Nicht überprüfbare Behauptungen machen Wahlkampf. Das Friedensprojekt Europa wird mit dem Schleimpilz vergifteter Worte überzogen.

Heute haben die Worttäter ihren Spaß, machen sich über Mahnungen lustig, während diejenigen, die es besser wissen müssten, kaum Worte dagegen finden. Worte aller Pilzarten gehen um: Hohlworte, Täuschlinge, Rauschworte, unverdauliche und giftige. Die seltenen genießbaren scheinen ausgerottet oder unverständlich wie die Reden des kranken Papstes. Waren die giftigen Wortpilze im Mund von Agitatoren nicht der Anfang des Übels? Der Missbrauch der Worte schwächt die Hemmschwelle gegen handfeste Verletzungen der Menschenwürde. Wie modrige Pilze zerfällt die öffentliche Sprache, wird Verständigung zerstört. Müssen wir uns auch in diesem Jahrhundert davor fürchten, dass zuletzt die Waffen "sprechen"?

Der Autor ist freier Publizist in Wien.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung