Wozu der Holzwurm notwendig ist

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Curt Stenvert alias Kurt Steinwendner "ist ein gefährlicher Mensch, denn er denkt“, sagte einst Msgr. Otto Mauer. Nun ist dem Avantgardisten und Kunstmissionar unter dem Titel "NEODADAPOP“ eine Ausstellung im Unteren Belvedere gewidmet.

Da ist der Wurm drinnen. Das trifft das Motto der künstlerischen Auseinandersetzung mit unserer Welt durch Curt Stenvert direkt. Ein brillanter Denker, ein präziser Arbeiter und ein mit viel Sendungsbewusstsein ausgestatteter Kunstmissionar tritt den Betrachtern mit Malerei, Film und Assemblagen in der Ausstellung im Unteren Belvedere gegenüber.

Als Kurt Steinwendner 1920 in Wien geboren, macht er nach dem Studium an der Akademie der bildenden Künste vor allem als Pionier des österreichischen Films der 1950er-Jahre von sich reden. Diese filmischen Arbeiten liefern ihm - nachdem er in dieses Schaffen seine malerische Erfahrung einfließen lassen hat - einige Ingredienzien für seine Bildkästen. Die Recherchen zu seinen Dokumentarfilmen konfrontieren ihn mit der "harten“ Realität, und die im Film verwendeten Materialien und Requisiten gerinnen nun wie Schnappschüsse aus den diversen Filmstreifen zu Bildkästen. Dazu baut er unterschiedlichste Gegenstände zu mit Schriftzügen versehenen Mahnmalen zusammen, manchmal in handlichen kleinen Boxen, dann aber auch, so wie etwa in der eigentlich schon zu einer Installation angewachsenen Arbeit "Stalingrad“, als massive Plastiken. 1977 übersiedelt Stenvert nach Deutschland, es beginnt eine Zeit, in der er sich wieder vermehrt der Malerei zuwendet, bei der wie bei vielen seiner anderen Arbeiten, die Auseinandersetzung mit der Bewegung von eminenter Bedeutung ist. 1992 stirbt Stenvert in Köln.

"Alpenländische Kunst ohne Gamsbart“

Neben der eigenen Biografie beruft sich Stenvert vor allem auf den Dadaismus als einen Hauptanreger für seine, wie er sie nennt, funktionelle Kunst. Wortspiele, wie etwa "ALKUOGA“ als "Alpenländische Kunst ohne Gamsbart“, erinnern insbesondere an Marcel Duchamp. Aber Stenvert fasst seine Kunst nicht als ein Spiel auf, auch nicht als Spiel mit Tiefgang. Er peilt eine Synthese aus künstlerischer Kraft und Wissenschaftsverständnis an, möchte die beiden getrennten Bereiche als Gesamtkunstwerk wieder zusammenführen. Dazu geht Stenvert von einem umfassenden Menschenbild aus, wie er es in guter alter Manier der Moderne in seinem ersten Manifest formuliert. "Interessensmittelpunkt der klassischen Kunst von Altamira bis POP ist das Bild des Menschen! Interessensmittelpunkt von Curt Stenverts Funktioneller Kunst ist die Existenz des Menschen! Für ihn beginnt der Mensch jenseits der Haut.“ Gegen das schöne Spiel mit den Oberflächen, wie Stenvert es der Popart unterstellt, setzt er als Philosoph seine missionarische Intention und möchte mit seiner Kunst durch den Schock therapeutisch wirken. Das Ziel seiner penetranten Anfragen sieht er darin, den Sinn der Welt wieder zur Diskussion zu stellen. Die Aufgabe der Kunst liegt dabei darin, den Menschen beim Überleben zu helfen, sie fungiert als Überlebenskoffer.

Im Jänner 1965 veranstaltete Stenvert eine Atelierausstellung, und Otto Mauer, eigentlich Spezialist für die von Stenvert wenig geschätzte Kunst der Ungegenständlichkeit, hielt die Eröffnungsrede, die Stenvert so wichtig war, dass er sie, wie in der Ausstellung zu sehen, in ein Objekt integrierte. Stenvert avanciert darin zum künstlerischen Kollegen des Monsignore. "Stenvert ist ein Prediger mit ungewöhnlichen Mitteln, ein Moralist, ein Exorzist.“ Mauer konstatiert, dass bei Stenvert nichts harmlos ist und dass er nicht in einer üblichen Gesellschaftskritik dort oder da über etwas meckert, sondern dass er in einer kritischen Betrachtung des menschlichen Schicksals aufs Ganze geht. Bei Stenvert findet sich das Gericht immer und überall, ständig lugen irgendwelche Folterinstrumente hervor, die nach Mauer unser schlechtes Gewissen bildlich festhalten. Eine kritische Situation für die Betrachter: Stenvert "ist ein gefährlicher Mensch, denn er denkt“. Stenvert selbst nimmt dafür Anleihen im Tierreich. "Zur endgültigen, echten Bewältigung der Vergangenheit ist der Holzwurm notwendig! Egal wo er tickt! Im Holzkopf. Im Holzbein, Im Holzkreuz. Im Sargholz.“

Curt Stenvert - NEODADAPOP

Unteres Belvedere, Rennweg 6, 1030 Wien

bis 15. 1. 2012, tägl. 10-18, Mi bis 21 Uhr

Katalog: Curt Stenvert, Neodadapop. Nürnberg 2011, 192 S., € 29,-

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