Wozu taugen Volksbegehren?

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Plädoyer gegen den Mißbrauch eines kostbaren demokratiepolitischen Instruments durch Parteipolitiker.

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Plädoyer gegen den Mißbrauch eines kostbaren demokratiepolitischen Instruments durch Parteipolitiker.

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Unser Staatssystem ist das einer repräsentativen Demokratie. Der Souverän, also das Volk, entscheidet über die gemeinsamen Angelegenheiten durch Vertreter in den Parlamenten. Daneben gibt es auch Elemente der sogenannten direkten oder unmittelbaren Demokratie, wo die Mandatare den Bürgern gleichsam den Vorrang geben müssen. Dazu gehört auch das Volksbegehren.

Hinter dem Wort, das sozusagen ein dynamisches, ja sogar emotional geprägtes Geschehen markiert, steht freilich ein eher nüchterner Vorgang. Der Nationalrat hat sich mit Gesetzesentwürfen zu befassen, die ihm entweder von seinen eigenen Mitgliedern, von der Regierung, vom Bundesrat oder eben von der Bevölkerung - genauer gesagt von mindestens 100.000 Stimmberechtigten - vorgelegt werden. Auch über einen solchen Gesetzesantrag ist aber frei und nur in der allgemeinen Verantwortung des Mandates zu entscheiden, das bei der Wahl erteilt wurde.

Ein Volksbegehren übt demnach keinen außerparlamentarischen Druck auf die Volksvertretung aus und entbindet diese in keiner Weise von ihrer absolut existierenden Verantwortung. Würde also jemand etwa ein Volksbegehren erfolgreich starten, das die Abschaffung aller Steuern zum Inhalt hätte, bestünde die eindeutige Pflicht des Nationalrates, es zu ignorieren (und diese Ablehnung natürlich auch besonnen auszuargumentieren).

Öffentliche Diskussion Ein Volksbegehren kann aber auch nicht den Sinn haben, die einmal getroffene Wahlentscheidung während der laufenden Gesetzgebungsperiode zu korrigieren. Ganz im Gegenteil: Jede Parlamentsfraktion muß grundsätzlich von der Absicht ausgehen, das politische Werk von vier Jahren in seiner Gesamtheit schließlich dem Wahlvolk zu präsentieren. Stimmungsschwankungen in der Zwischenzeit sind normal und ändern sich auch immer wieder - kein Anlaß also für pflichtbewußte Mandatare, in ängstlichem Schielen auf eine sich wandelnde öffentliche Meinung, auf geringer oder größer gewordene Zustimmung der Bevölkerung oder gar der Medien, Urteil oder Absichten flugs anzupassen. Es bedarf sogar der Betonung, daß ein solches Verhalten nicht nur würdelos, sondern auch pflichtwidrig wäre.

Dennoch hat das Volksbegehren einen über das parlamentarische Procedere hinausreichenden politischen Sinn: Es stellt Entscheidungen zur öffentlichen Diskussion, die weder von den Abgeordneten, noch von der Regierung aufs Tapet gebracht bzw. erledigt werden. Damit soll also eigentlich ein (empfundenes) Versäumnis behoben werden. Das Handeln der etablierten politischen Kräfte wird so auf ernsthafte Weise angeregt und insofern auch korrigiert. Es erfolgt ein Anstoß zu parlamentarischem Handeln, ohne dieses aber zu ersetzen oder zu präjudizieren.

Ganz klar ist damit auch, daß die Zahl der Unterstützungserklärungen zwar keine verfassungsrechtliche, aber doch eine politische Relevanz hat: Je mehr Menschen eine solche Initiative unterstützen, um so größer ist die Beachtlichkeit für die Volksvertretung, und um so weniger ist es angebracht, bestimmte Gruppen durch bloßes "Abschmettern" zu enttäuschen.

Spiel der Kräfte Aus dem bisher Dargelegten ergibt sich ein weiterer und wesentlicher Punkt: Es kann keineswegs Sinn eines Volksbegehrens sein, in parlamentarische Entscheidungen, die bereits stattfinden, derart einzugreifen, daß sich eine überstimmte parlamentarische Minderheit gleichsam Rückhalt aus der Bevölkerung geben läßt. Geschieht solches, erfolgt nämlich nicht mehr als das Sichtbarmachen eines Umstandes, der ohnedies klar ist: Es entspricht dem demokratischen Spiel der Kräfte, daß auch eine im Nationalrat vertretene Minderheit mit ihren Anliegen von einem Teil der Bevölkerung unterstützt wird. Ruft also eine Partei zu einem Volksbegehren auf, weil sie sich parlamentarisch nicht durchsetzen kann, stellt dieser Vorgang nichts anderes dar, als eine Art von Minderheitenfeststellung - dann auch unter den zu einem Votum aufgerufenen Bürgern. Nur im Fall einer Unterstützung durch die Mehrheit der Bürger wäre das natürlich ganz anders, denn dann würde klar, daß das Parlament einen manifesten Volkswillen mißachtet. Es ist dies aber unter den Umständen einer intakten Demokratie wohl eine rein theoretische Annahme.

Das Vorgehen, den Inhalt einer parlamentarischen Auseinandersetzung von einem Beteiligten zum Gegenstand eines Gesetzesantrags des Wählervolks zu machen, bringt also keinen wirklichen demokratischen Fortschritt, sondern eher - wie manche Erfahrungen zeigen - die Gefahr eines frustrierenden Mißerfolges. Dies sowohl für die Initiatoren in den Parteizentralen als auch für jene, die teilgenommen haben. Volksbegehren kann man daher nur dann als wirklich sinnvoll betrachten, wenn sich außerhalb der gängigen politischen Konfrontation - also im überparteilichen Bereich - Kräfte als Korrektiv finden, die eine angebrachte und bewußte Distanzierung vom Zustand parlamentarischen Unterlassens ausdrücken. Dies traf übrigens auch für die Initiative von Schülern zu, die nach dem tragischen Tod ihrer Kameraden für wirksamere Gesetze gegen Alkohol am Steuer demonstrierten. Sie hatten Erfolg, denn im konkreten Fall stand eine überwiegend gewünschte Entscheidung nur deswegen noch aus, weil sie einem unverständlichen parlamentarischem Taktieren zum Opfer gefallen war.

Politische Drohung Würde es hingegen - und diesen Eindruck gewinnt man immer mehr - zur Gepflogenheit, daß Parteien stets dann nach Volksbegehren rufen oder damit drohen, wenn sie im Nationalrat mit ihrer Meinung nicht durchdringen, müßten sich die Bürger auf Dauer mißbraucht fühlen. Ein "Begehren des Volkes" (!) soll eigenständiges politisches Wollen zum Ausdruck bringen. Es ist kein Mittel des Applauses oder des Buhrufens für das Agieren von Profipolitikern und darf als kostbares Instrument der Demokratie nicht einem solchen sinnlosen Verschleiß ausgesetzt werden.

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