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Seit 1. April gibt es die Europäische Bürgerinitiative. Jetzt ist das Volk gefragt, entscheiden darf es aber nicht. Bei den Initiatoren schwankt die Stimmung zwischen Euphorie und Resignation.

Klaus Sambor ist heute nicht alleine gekommen. Er hat einen grünen Ordner, dick wie ein Lexikon, mitgebracht: Korrespondenzen in mehreren Sprachen, Notizen und Artikel hat er gesammelt. "Schauen Sie, in dieser Tabelle sind alle 27 EU-Länder aufgelistet, und alle Schlüsselpersonen, die sich dort mit bedingungslosem Grundeinkommen beschäftigen“, zeigt er den anderen am Tisch vor. Klaus Sambor ist für sie so etwas wie ein Kompass durch Neuland, das auch er noch nicht kennt. Aber er hat sich darauf vorbereitet.

Sambor ist 75 Jahre alt und war vor seiner Pensionierung Manager bei der Telekom. Jetzt setzt er sich für eine neue Gesellschaftsordnung ein und plant - gemeinsam mit Engagierten aus fünfzehn anderen europäischen Ländern - eine europaweite Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der EU. Seit sechs Jahren arbeiten Sambor und seine Mitstreiter schon daran. Jetzt wird die Idee endlich konkret.

Denn seit 1. April gibt es mit der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) ein Instrument, mit dem sich Europäer in die EU-Politik einmischen können (siehe Kasten unten). Davon erzählt er voll Enthusiasmus den anderen am Tisch. Auch sie spielen mit dem Gedanken, eine EBI zu starten. Vertreter von Natur- und Klimaschutzorganisationen sind heute da, Ehrenamtliche von sozialen Organisationen und Professionisten von Interessenverbänden oder Gewerkschaften. Wenige Tage vor dem offiziellen Start der EBI lädt das Bundeskanzleramt zu einem Workshop ins Palais Eschenbach, um über die Möglichkeiten des neuen Instruments zu informieren. Das ist auch dringend nötig. Denn obwohl alle die Europäische Bürgerinitiative irgendwie gut finden - so richtig Bescheid weiß keiner.

Der Star des Demos

Bernd Biervert aus dem Kabinett von Kommissions-Vizepräsidnet Marosˇ Sˇefcˇovicˇ erklärt deshalb zu Beginn die rechtlichen Rahmenbedingungen und meint: "Wir haben die Hoffnung, dass erstmals grenzüberschreitend ein genuiner europäischer Demos entsteht, um ein Thema der EU zu beeinflussen.“ Die EBI-Initiatoren in spe wirken nach Bierverts Vortrag allerdings ein bisschen weniger hoffnungsvoll. Denn eines ist klar: Die Bürger sind zwar gefragt, aber entscheiden dürfen sie nichts. Wenn es tatsächlich gelingt, eine Million Unterschriften einzureichen, hat das noch nichts bewirkt. Denn die Entscheidung, ob eine Initiative Folgen hat, trifft allein die Europäische Kommission.

Genau das ruft Erwin Mayer auf den Plan. Bevor er zu reden beginnt, werden Mikrophone aufgebaut und Kameras aufgefahren: Mayer ist heute der Star des Demos. Er ist Sprecher des Vereins "mehr demokratie“ und routiniert beim Referieren über direkte Demokratie: "Wir haben in dieser Demokratie wenig bis nichts zu melden. Es gibt eine Ordnung von Normsetzungsberechtigten und Beherrschten“, sagt er. "Das Instrument EBI muss man nutzen, aber gleichzeitig von Anfang an verbessern.“ Er denkt daran, eine eigene EBI zu den Spielregeln zu lancieren.

Große Hürden für kleine NGOs

Bei Kaffee und Kuchen ist Zeit über die eigenen Vorhaben zu plaudern. Daphne Rieder von Global 2000 erzählt von einer EBI zur Energiewende. "Meine Stimme gegen Atomkraft“ soll die Initiative heißen, der genaue Text wird erst veröffentlicht. Das europaweite Netzwerk von Global 2000 hilft bei der breiten Planung in fast allen Mitgliedsstaaten: Die Initiative ist in ihrer Umsetzung schon sehr weit und wird bald eingereicht.

Schwieriger ist es für kleinere Organisationen. Elisabeth Wöran von der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende denkt über eine Initiative für Kindergrundsicherung nach. Der Workshop hat sie aber eher eingeschüchtert: "Eine Million Unterschriften und die ganzen zusätzlichen Auflagen haben mich geschreckt. Das ist eine riesige Geschichte, in nächster Zeit können wir das bestimmt nicht angehen.“

Auch für die Themen Barrierefreiheit, Tempo 30 in Siedlungsgebieten, Vorratsdatenspeicherung oder einen arbeitsfreien Sonntag finden sich Fürsprecher, die gerne Initiativen starten würden. Aber alle stehen vor großen Hürden: Woher nimmt man Ressourcen für den großen finanziellen, personellen und organisatorischen Aufwand? Der EBI-Text muss schließlich in alle Landessprachen übersetzt werden. Und die Unterschriftensammlung im Internet muss strengen Datenschutzrichtlinien gerecht werden, sonst drohen Schadensersatzklagen.

Eine Frage der Formulierung

In kleineren Gruppen werden am Nachmittag die Schwierigkeiten diskutiert. Klaus Sambor, der heute wie ein EBI-Routinier wirkt, obwohl auch seine Initiative noch nicht registriert wird, beantwortet geduldig Fragen zu Finanzierung ("Alles ehrenamtlich“), Organisation ("Wir kommunizieren nur mehr auf Englisch“) und Formalem ("Der Titel darf nicht mehr als 100 Zeichen lang sein“).

Der Wortlaut ist es auch, der vor der Einreichung der Grundeinkommens-Initiative für Diskussionsstoff sorgt. Manche Länder sind für die Formulierung "Die Mitgliedsstaaten sind verantwortlich für die Implementierung.“ Andere wollen es vager ausdrücken. Die Italiener fordern überhaupt eine "rechtlich bindende Verordnung“. Kleinlich ist die Diskussion aber nicht, erklärt Sambor. Denn die Formulierung ist entscheidend, ob die Europäische Kommission die EBI überhaupt annimmt. Wenn sie befindet, dass das Thema nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt, ist die Initiative gestorben, noch bevor die erste Unterschrift gesammelt wird.

"Die vielen Ecken und Kanten, die die EBI hat, sind der Kaufpreis dafür, dass sie so schnell umgesetzt wurde“, schmunzelt Robert Stein. Er leitet die Wahlbehörde im Innenministerium, die dafür zuständig ist, die Online-Sammlung und die Unterschriften zu kontrollieren.

Hauch von Aufbruchsstimmung

Seit Anfang April bietet sein Team Beratungsgespräche für Initiatoren an, damit die elektronische Unterschriftensammlung reibungslos über die Bühne geht. Stein kennt die Schwachstellen der EBI genau. Eine liegt in den unterschiedlichen Anforderungen der Mitgliedsstaaten, wann eine Unterschrift gültig ist. Ein Franzose, der als Unionsbürger in München lebt, darf dort eine Europäische Bürgerinitiative unterschreiben. Wenn er in Salzburg lebt, darf er das nicht. In Österreich braucht man einen österreichischen Pass oder Personalausweis.

Robert Stein spricht von der Angst vor professionellem Handel mit Unterschriften, was die österreichische Regierung dazu gebracht hat, die Unterschriftensammlung besonders rigoros zu kontrollieren. Auch für die Behörden ist das neue Instrument eine Herausforderung. Wie viele Initiativen tatsächlich eingereicht werden, wie viele davon in Österreich zu bearbeiten sind, kann keiner abschätzen. Doch sogar bei Robert Stein ist ein Hauch von Aufbruchstimmung zu erahnen.

Auch Klaus Sambor macht unermüdlich Werbung für sein Anliegen. Warum er sich die ganze Arbeit antut, obwohl es keine Garantie für Erfolg gibt? "Weil ich etwas Sinnvolles tue“, strahlt er, "und weil ich glaube, jetzt ein Instrument zu haben, das etwas bewirken kann.“

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