Wunden erleiden, die keine Zeit heilt

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Jede fünfte Frau in Österreich ist mindestens einmal im Leben von häuslicher Gewalt betroffen. Gewaltopfer Nathalie R. verleiht den Zahlen ein Gesicht: Sechs Jahre lang erträgt sie die Misshandlungen ihres Mannes, ehe sie sich vom Misshandler lossagt. Ein Porträt von Angst und Machtlosigkeit.

Nathalie R. sieht nicht aus wie ein Opfer. Wenn sie spricht, huscht kein Schatten über ihr Gesicht und da sind keine Narben, die Nathalie (Name von der Redaktion geändert) als Opfer kennzeichnen würden - zumindest nicht an den offensichtlichen, unbedeckten Körperstellen. Wenn sich die Slowenin mit österreichischer Staatsbürgerschaft an die Brennpunkte ihres "alten Lebens" erinnert, wie sie es nennt, bleibt sie nach außen hin ruhig, ihr weiches Gesicht trägt eine gefasste Mine. Eine Fassade, eine Fassung, die es ihr wahrscheinlich in den Gewaltjahren möglich machte, nicht gänzlich zu Grunde zu gehen. Wenn ihre Worte aber stocken, dann bröckelt diese Fassade.

Am Anfang, erinnert sich die 42-Jährige, war in der Beziehung alles wunderbar. "Ich hatte eine lange Beziehung hinter mir und dachte, dass mit meinem neuen Freund eine gute Zeit kommt." Nach anderthalb glücklichen Jahren heiratet sie ihre österreichische Liebe. Das erste Ehejahr verläuft friedlich.

Was dann folgen soll, ist ein derartiger Weg des Leides, der eine "Neugeburt", wie Nathalie die Zeit ab dem Frauenhaus beschreibt, nötig werden lässt. Die Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser, Andrea Brem, sitzt beim Gespräch neben dem Opfer und hilft weiter, wenn Nathalie die Worte fehlen. "Frau R. war stark gefährdet und einem sehr breiten Spektrum von Gewalt ausgesetzt", weiß Brem.

Isolation stützt den Kreislauf der Gewalt

Schleichend hat alles begonnen. "Mit Druck machen, mit Schlägen. Aus Eifersucht oder was ihm gerade eingefallen war", gibt Nathalie die ersten Erfahrungen wieder. Danach ging es nur mehr bergab. "Ich dachte, ich kann nur mehr als Marionette überleben. Ja nicht anecken." Andrea Brem kennt die Willkür der Gewalt: "Entscheidend ist immer: Es gibt keinen Grund, oder: Alles ist ein Grund. Ob das Kaffeehäferl jetzt da steht, oder fünf Zentimeter weiter. Dass der Tisch nicht abgewischt ist."

Nicht selten haben Gewaltopfer wenig gesellschaftlichen Austausch, sei es auf Grund von Sprache und Herkunft oder weil der Mann den Außenkontakt unterbindet. "Die Isolation selbst ist ein Instrument der Gewalt, das den Kreislauf in Schwung hält", weiß die Diplom-Sozialarbeiterin Brem. So auch bei Nathalie: Ihr Peiniger verbietet ihr den Umgang mit Freunden, mit der Familie und - für die 42-Jährige besonders schlimm - den Kontakt zu ihrem Sohn aus der ersten Beziehung. "Er hat strengstens auf mich aufgepasst, ich sollte nur für ihn da sein. Er hat gesagt:, Wenn du gehst, bist du tot'", erinnert sich Nathalie. Immer wieder entschuldigt sich der Peiniger über die Jahre für die Misshandlungen, schwört Liebe, bringt Rosen, verspricht, dass alles besser werden würde. Nathalie verzweifelt, hofft - und glaubt. Am 3. September 2007 drückt ihr ihr Mann dann ein Messer an den Hals.

Die Bilder des Schreckens haben sich bei Nathalie in die Erinnerung eingebrannt. Sie kennt diesen Tag, wie viele andere Tage, beim Datum und erinnert sich an kleinste Details. Durch das Erzählen streift sie Wunden, die keine Zeit heilt. Die Tante ihres jetzigen Exmanns hat den Mordversuch sogar mitbekommen. Ihre Worte dazu? "Bleib bei ihm. Das wird schon wieder besser." Nathalie bleibt nicht, sie beweist Stärke - um ihres Lebens willen. Sie zeigt ihren Mann an und geht ins Frauenhaus.

So "einfach" aber soll der Ausbruch nicht funktionieren. Wenige Tage dauert es, bis der Mann ihren Aufenthaltsort herausfindet, ihr auflauert. Dabei droht er wieder, sie umzubringen und richtet Nathalie so zu, dass sie zwei Tage im Krankenhaus verbringt. Danach und nach einer weiteren Anzeige kehrt sie zurück ins Frauenhaus. Nathalie hat zu dem Zeitpunkt Arbeit als Delikatessenverkäuferin gefunden und befindet sich im Probemonat. Von der Misshandlung ist ihr Oberkörper zerkratzt und blau. Sie bedeckt und versteckt ihn so gut wie möglich. "In der Arbeit wusste niemand, dass ich im Frauenhaus lebte. Denn dafür kann ich nichts. Ich wollte in der Probezeit nicht gleich meinen Job verlieren." Die Erlebnisse lassen sich aber nicht abschütteln und die Angst, dass der Mann wieder auftauchen könnte, ist Nathalies ständiger Begleiter. Als sie in der Firma Speck zerteilen will, rutscht sie ab und schneidet sich kräftig in den Finger. "Ich war zu nervös. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich mich verletzt habe. Ich habe nur gezittert." Im Krankenhaus wundern sich die Ärzte, dass Nathalie R. so schnell zurück ist. Ein Unfall, der zeigt, wie sehr die Frau mehr als medizinische Hilfe benötigt. In der Arbeit kündigt die Chefin Nathalie, denn mit einer frischen Verletzung an der Hand kann man im Lebensmittelbereich schwer arbeiten. Nathalie ist das mittlerweile egal, sie hat andere Sorgen - den bevorstehenden Prozess wegen Mordversuch etwa. Sie muss ihrem Peiniger gegenüberstehen.

Dass die Strafverhandlung weniger belastend über die Bühne gehen soll als die wenige Monate später folgende Scheidung, ahnt die Frau noch nicht. Denn beim Prozess über den Mordversuch bekommt Nathalie R. als Gewaltopfer kostenlos von den Frauenhäusern eine juristische und psychosoziale Prozessbegleitung zur Seite gestellt. Brem weiß über die Wichtigkeit der vom Justizministerium finanzierten Unterstützung Bescheid: "Die Prozessbegleitung erzählt im Vorfeld, was bei einer Verhandlung passiert, was ein Staatsanwalt macht, was ein Richter. Sie erklärt den Ablauf, damit die Frau nicht wieder extrem belastet wird." So ist der Prozess für Nathalie erträglich. Ihr Noch-Ehemann wird auf ein paar Monate verurteilt, bedingt auf drei Jahre. Ins Gefängnis muss er, wegen der Bewährung, nicht.

Für die Scheidung bekommt Nathalie keine juristische Begleitung mehr. Eine Maßnahme, die im zweiten Gewaltschutzpaket, das kürzlich durch den Justizausschuss des Nationalrates ging, zwar angedacht war, aber aus Kostengründen nicht umgesetzt wurde. Lediglich eine psychosoziale Begleitung wird dem Opfer zuerkannt, sofern das Zivilverfahren an ein Strafverfahren geknüpft ist. Nathalies Scheidung zeigt, was das bedeuten kann: Sie hat Pech mit dem Richter, empfindet ihn als frauenfeindlich. Die vorangegangene Verurteilung des Noch-Ehemann scheint kaum eine Rolle zu spielen.

Alleinsein ist Freiheit

Obendrein verweigert der Peiniger die Scheidung und Nathalie muss zehnmal vor Gericht. Auf sich alleine gestellt, fällt es ihr schwer, sich zu konzentrieren, sie kann den Worten des Richters kaum folgen. "Das ist wahnsinnig belastend. Man kommt zum Gericht, sitzt dort am Gang. Der Mann ist auch dort, mit seinem Anwalt. Da eine Scheidung nicht anwaltspflichtig ist, hat die Frau keine Anwältin, steht dort und fürchtet sich", weiß Brem aus jahrelanger Erfahrung.

Nathalie hat viel durchgestanden. "So etwas soll nie wieder passieren. Alles wird gut", ist sie sich sicher. "Ich muss mich hundertmal bedanken bei den Frauenhäusern,hundertmal", lächelt sie. Ihr eindringlicher Blick lässt erkennen, wie sehr dieser Dank von Herzen kommt. Mit Hilfe der Frauenhäuser hat sie vor Kurzem eine Gemeindewohnung vermittelt bekommen. Nathalie führt jetzt ein Leben ohne Gewalt, dafür mit Familie. Sie will sich dann mit ihrem Sohn treffen. Dieses Treffen ist nur eine der neuen Freiheiten, die Nathalies Leben wieder Sinn geben, es überhaupt lebenswert machen. Es sind Errungenschaften, die die Angst, dass ihr am Weg zu ihrem Sohn ihr Peiniger auflauern könnte, fast vergessen machen. Abschütteln kann Nathalie ihr altes Leben nicht. Aber sie weiß, dass mit dem Neustart vieles anders wird. Weil sie es sich selbst verspricht - und es diesmal glauben darf.

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